So liebt man auf Arabisch

Liebe . Jede Gesellschaft und Kultur, und somit auch die arabische, hat ihr eigenes Konzept von Liebe und Leidenschaft.

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Jede Gesellschaft und Kultur, und somit auch die arabische, hat ihr eigenes Konzept von Liebe und Leidenschaft. Die Sprache spielt dabei eine wichtige Rolle. Liebe und Leidenschaft in anderen Kulturen zu verstehen kann sehr schwierig sein und es stellt sich die Frage, ob die Liebe eine internationale Sprache besitzt. Doch eins steht fest: zwischen der altehrwürdigen Tradition und Geschichte der Liebe bei den Arabern und den blutigen Realitäten, wie wir sie heute im Zuge des arabischen Frühlings erleben hat sich eine große Kluft gebildet. Dies ist umso verwunderlicher, da die Araber doch auf eine tausendjährige Hochkultur und Zivilisation zurückblicken können. Unzählig sind die monumentalen arabischen Lyrik-, Erzähl- und Gedichtkünste, die ganze Kulturen und Epochen geprägt haben und die in ihren literarischen Virtuositäten stets Liebe, Leidenschaft und Sehnsucht fokussierten.

Gerade die Sehnsucht der Menschen nach der wahren Liebe ist eine beständige Größe, die sich im Verhältnis zwischen Leidenschaft und Liebe in Kultur und Sprache widerspiegelt. Schon der große arabische Literat Amr ibn Bahr al-Dschāhiz betonte, dass jede Leidenschaft Liebe ist, aber nicht jede Liebe Leidenschaft. In seinem historischen Werk "Das Buch der Konkubinen und Epheben" (Kitab Mufā‘arat al-‘awārī wa-l-ġilmān) beschäftige sich al-Dschāhiz ausführlich mit Liebe, Sehnsucht und Leidenschaft, auf eine bis dahin kaum dagewesene sinnliche und erotische Art und Weise, die seinerzeit nur unter dem wissensfördernden Abbassiden-Kalifat möglich war. Andere muslimische Gelehrte wie Ibn Qayyim al-Dschauziya (geboren 1292 in Damaskus) betrachteten das Thema aus einem völlig anderen Blickwinkel und hielten essentielle Gefühlswelten wie Leidenschaft gar für eine Krankheit, die durch häufigen Beischlaf heilbar sei. Al-Dschauziya lobte die Liebestollheit, die den Alkoholrausch weit überträfe, ohne jedoch die für ihn „negativen“ Begleiterscheinungen zu übersehen. So zitiert al-Dschauziya gerne Aristoteles mit seinem Ausspruch: „Die Leidenschaft unterdrückt die Sinneswahrnehmung für die Fehler des Geliebten.“

Einhundert Worte für die Liebe

In der deutschen Sprache ist Liebe ein zentrales Wort für das Verhalten der Menschen. Man sagt zum Beispiel „das ist lieb von dir“ oder zu einem Kind „sei lieb“. Ohne Liebe gibt es keine Gastfreundschaft. Wenn man Gäste empfängt, sagt man „herzlich Willkommen, Ihr seid uns immer liebe Gäste“. Weiterhin geht im Deutschen die Liebe „durch den Magen“ und trifft manch einen „auf den ersten Blick“.

Bei den Arabern ist Liebe eine äußerst kreative Welt. Schon vor dem Islam waren die Araber weithin als kühne Dichter und begnadete Lyriker bekannt, deren Meisterwerke die Liebesgedichte, die sogenannten „Al Razal“ waren. Sie beinhalteten viele Erzählungen über schöne Frauen und Männer und ihre Liebesabenteuer.

In der arabischen Sprache gibt es einhundert Worte für die Liebe, ein wahres Labyrinth, in dem man sich verlieren kann. Nicht jedes Wort kann interpretiert oder übersetzt werden, weil der kulturelle Hintergrund anders ist. Der Übersetzung oder Interpretation mangelt es somit häufig an Richtigkeit und Genauigkeit, weil jedes Wort auf einer Geschichte basiert. So lässt sich beispielsweise das arabische Wort „Junun“ nur bedingt mit dem deutschen Wort „Wahnsinn“ übersetzen. Und das arabische Konzept des Wortes „Hanin“ entspricht am ehesten dem deutschen Sinn der „Wehmut“, ohne es jedoch genau zu treffen. Ähnliches gilt für viele andere arabische Bezeichnungen der Liebe, wie „Lahaf“ (Gier) oder „Tatayyum“ (ekstatische Unterwerfung).

Schönheit ist die Morgendämmerung der Seele

Mit der Liebe eng verknüpft ist die Schönheit, über die auch im Islam viel gesprochen wird. Bei den Arabern heißt es in einigen Überlieferungen der Hadith des Propheten Mohamed, dass er die Schönheit liebte. Viele seiner überlieferten Aussprüche drücken dies sehr deutlich aus. „Schönheit ist die Morgendämmerung der Seele, die über der reinen Natur aufgeht“ bekundet er an einer Stelle. Ein andermal wird er folgendermaßen zitiert: „Es gibt drei Dinge, die den Blick schärfen: auf eine schöne Landschaft oder auf ein schönes Gesicht oder auf fließendes Wasser zu schauen.“

Auch das Konzept der Schönheit hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert. Jede Epoche hat ihr eigenes männliches oder weibliches Ideal. So gilt heutzutage z.B. in den USA ein großer Mann als schöner Mann, während eine korpulente Frau mit imposanter Nase das gängige Schönheitsideal in den schwarzafrikanischen Ländern ist. Hingegen träumten die Jugendlichen in Bagdad während der glorreichen abbasidischen Zeit von schönen gebildeten Mädchen. Die Schönheit ist mit dem Erscheinungsbild verbunden, obwohl der Schein trügerisch bleibt. In seinem Buch „Erzählungen über Frauen“ zeichnet Ibn Qayyim al-Dschauziyaein Porträt des weiblichen Schönheitsideals im 16. Jahrhundert: ein soschöner runderBauchnabel, den meine Phantasienicht beschreiben kann, und darunter einkauerndesHäschen oderdie Stirn einestückischenLöwen, opulente Oberschenkel und stramme Waden, dieüber Fußkettchen wachen, sowie feineFüße.“ Ibn Hazm al-Andalusi, ein arabischer Gelehrter aus Cordoba, der im 10. Jahrhundert lebte, sagte dazu sehr trefflich: „Bei der Liebe geht es nicht um äußerliche Reize, aber es beginnt damit“.

Gefährliche Verführung

Jeder, der über Liebe spricht oder sie erlebt, kann das Thema der Verführung nicht ausklammern. Die Araber messen der Verführung und der Anziehungskraft eine Bedeutung bei, die in anderen Kulturen, wie z.B. der deutschen, weniger ausgeprägt ist. In der arabischen Welt zählt die Verführung zu den unverzichtbaren Merkmalen der kollektiven Persönlichkeit. Sie ist aber auch die gefährlichste Eigenschaft, erläutert der Anthropologe Malek Chebel in seiner Enzyklopädie der Liebe im Islam, weil sich in ihr zwei Gefühle, nämlich Aufruhr und Betörung, vereinigen.

Verführung und Liebe sind nicht nur eine Frage der kulturellen Unterschiede sondern auch der klimatischen Differenzen. Der islamische Politiker und Historiker Ibn Chaldun wies schon im 14. Jahrhundert darauf hin, dass das Klima ein wichtiger Faktor sei, den man nicht vergessen dürfe. Noch heute fragen Wissenschaftler wie die marokkanische Autorin Fatema Mernissi in ihrem Buch „Die Liebe in den muslimischen Ländern“, ob das „Klima eine solche Bedeutung für den Platz der Verführung in einer bestimmten Kultur hat.“

So hat jede Gesellschaft ihre eigene Interpretation der Liebe. Ibn Hazm al-Andalusi, erklärt in seinem Buch „Das Halsband der Taube“, dass „die Liebe manchmal vollkommen rätselhaft ist“. Die Sehnsucht, einen Sinn in der Liebe zu finden, bleibt somit ein reizvolles Anliegen. Liebe passiert einfach und sie ist natürlich, aber laut der Soziologin Eva Illouz hat fast jeder Mensch eine traurige Erfahrung mit der Liebe gemacht. Und das liegt nah, denn es gibt eine unmittelbare Beziehung zwischen Liebe und Glück einerseits und Depression andererseits. Die Liebe macht nicht immer nur glücklich, sondern stürzt eine Person auch oft in tiefe Traurigkeit und Selbstzweifel. In diesem Sinn sagt man auch, auf Liebe folgt Leid. Trotzdem kann der Mensch nicht ohne die Liebe, und ein Leben ohne Liebestrunkenheit gilt weithin als sinnlos. Die Menschen brauchen unbedingt einen Traum der Liebe, in den sie flüchten können. Über die Liebe muss geredet werden, ohne dadurch eine wunderbare Erfahrung der Liebe zu erwarten. Schon Abu Bakr Al-Shibli, ein Sufi der im 9. Jahrhundert lebte, bemerkte, dass der Liebende stirbt, wenn er schweigt. Bei den Arabern birgt der Entwurf der Liebe viele unsichtbare Gesichter und ist, wie Antoine de St-Exupery in seinem Buch „Der kleine Prinz“ sagt, wie das Wesentliche für die Augen unsichtbar.

Was bedeutet nun Liebe?

Die Liebe schützt uns vor dem Tod und ist eine Waffe gegen Hass und Neurosen. Sie ist wie ein bunter Blumenstrauß, in den jede Kultur und Religion eine Blume mit besonderer Farbe und Duft hineinsteckt. Nur in der Teilhabe kann diese Blume gedeihen, niemals in der Abgrenzung. Werden die Menschen in den Ländern der arabischen Revolutionen das Lied der Liebe singen oder erstarren sie in der aktuellen Situation von Hass und Tod, ohne den Strahlen der Sonne der Liebe Beachtung zu schenken? Viele in der arabischen Welt sehnen einen neuen zivilisatorischen Beitrag zur Menschheitsgeschichte. Seit der Verbrennung der Bücher des Philosophen Averroes im 12. Jahrhundert besteht in der arabischen Welt eine offene Wunde, in die durch die Kolonialgeschichte noch Salz gestreut wurde. Ein Weg zur Heilung könnte die Liebe sein, die die Schiffbrüchigen in den Hafen des Friedens führt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Mohamed Nabil

Journalist und Filmmacher

Mohamed Nabil

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