Cholerischer Charismatiker

Porträt Mohammad Zarif hat sich als iranischer Außenminister zum Rücktritt vom Rücktritt durchgerungen
Ausgabe 11/2019
Zarif stand stets von vielen Seiten unter Beschuss. Das allein hat ihn wohl kaum zermürbt
Zarif stand stets von vielen Seiten unter Beschuss. Das allein hat ihn wohl kaum zermürbt

Foto: Michael Brochstein/Zuma/Imago

Wenn man kryptischen Gerüchten, die in Teheran kursieren, Glauben schenkt, dann soll sich Ayatollah Ali Khamenei als oberster Entscheidungsträger des Landes direkt an Mohammad Javad Zarif gewandt haben. Seine Botschaft: Der Außenminister möge wissen, dass sein beabsichtigter Rücktritt nicht „angebracht“ sei. So hat der immer lächelnde Chefdiplomat des Iran in der letzten Woche zusammen mit Präsident Rohani eine Delegation aus Armenien begrüßen. Und das öffentlich. Die Frage bleibt, warum sich Zarif jäh entschlossen hatte, auf Instagram dem „geliebten und ehrenwerten iranischen Volk für die vergangenen 67 Monate“ zu danken und sich dafür zu entschuldigen, dass es ihm unmöglich sei, das Außenressort weiter zu führen. Zarif stand stets von vielen Seiten unter Beschuss, das allein dürfte ihn kaum zermürbt haben, daran war er gewöhnt. Seit Jahren wird der 59-Jährige von den einen dafür bewundert und von den anderen dafür gehasst, dass er die Positionen seines Landes vor der Welt in fließendem Englisch zu begründen vermag, und verstanden hat, wie westliche Medien funktionieren.

Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, soll das Verhalten von Präsident Rohani gewesen sein. Der setzte den Minister nicht vom Besuch des syrischen Staatschefs Baschar al-Assad in Kenntnis, als dessen erste offizielle Visite seit Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges anstand. Verärgert darüber, derart ausgegrenzt zu werden, soll Zarif explodiert sein. Und das, obwohl er als begabter Taktierer und kontrollierter Verhandler bekannt ist – sei es in den fünf Jahren (bis 2007) als UN-Botschafter oder während der entscheidenden Gespräche vor Abschluss des Nuklearabkommens im Frühsommer 2015.

Dabei sind dem Rechtsgelehrten Zarif, der an der Universität von Denver in Colorado Völkerrecht und Politikwissenschaft studierte, gelegentliche Temperamentsausbrüche nicht gänzlich fremd. Nicht zuletzt die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini musste sie erdulden. Während einer besonders harten Gesprächsrunde vor dem Atomdeal wurde ihr in Wien von Zarif kundgetan, sie solle „niemals einem Iraner drohen“.

„Mit Zarif hätte Iran wohl den charismatischsten Vertreter seiner Außenpolitik verloren“, so Ali Fathollah-Nejad vom Think-Tank Brooking Doha Center. Dies wäre vor allem für die EU eine schlechte Nachricht gewesen.

Sicher hat sich der Druck erhöht, dem das iranische Außenministerium angesichts einer heftigen Feindseligkeit der USA ausgesetzt ist, seit Präsident Trump im Vorjahr den Atomvertrag aufgekündigt hat. Ebenso dürfte auch das Scheitern der Europäer bei ihrem Versuch, die Folgen der US-Politik gegenüber Teheran abzumildern, kaum folgenlos geblieben sein. Nachdem es der Islamischen Republik nicht gelungen ist, den versprochenen Lohn für die vielen Konzessionen beim nationalen Atomprogramm einzufahren, besteht eine Konsequenz darin, dass sich die Hardliner ermutigt fühlen. Sie mussten befürchten, an Einfluss zu verlieren, wäre es Rohani und Zarif wirklich gelungen, ein belastbares Agreement mit dem „Großen Satan“ USA aufrechtzuerhalten. Seit aber Donald Trump zerstört hat, was sich zerstören ließ, verliert in Teheran die Kritik an dem beliebten Außenminister zuweilen jedes Maß. Jüngst erklärte ein früherer Kommandeur der Revolutionsgarden, Zarif solle sich „zur Hölle scheren“. Die Iraner würden auf all jene spucken, die das Atomabkommen noch unterstützen.

Unter diesen Umständen wächst die Zahl der Personen, die sich zu Außenpolitikern berufen fühlen. Wenn man an Khameneis außenpolitischen Berater und Rohanis Stabschef (zufällig ein alter Freund Zarifs) denkt, entsteht der Eindruck, es gebe einen Bruch in der Diplomatie des Landes. So wollte Zarif wohl auch deshalb zurücktreten, weil er die Integrität des diplomatischen Apparates bedroht sah. Als er noch auf seiner Demission beharrte, hieß es in einem seiner Instagram-Posts: „Als demjenigen, der dafür verantwortlich ist, die Außenpolitik voranzutreiben, indem er nationale Interessen verteidigt, ging es mir einzig und allein darum, das Ansehen des Außenministeriums hochzuhalten.“

Wie praktisch alles, was die iranische Politik betrifft, ist es nicht leicht, diesem Anspruch zu genügen. Während die Empörung des Außenministers aufrichtig schien, war er dann offenbar doch nicht in der Lage, der Unterstützung durch die iranische Öffentlichkeit und einen Teil der politischen Eliten seines Landes zu widerstehen. „#ZarifBleib“ auf Persisch wurde auf Twitter zu einer Plattform, die sich bei vielen Iranern zunehmender Sympathie erfreut, auch wenn sie nur über virtuelle private Netzwerke erreichbar ist. Wäre man zynisch, könnte man die unvollendete Geschichte des Zarif-Abgangs auch so deuten: Hier hat einer innenpolitisch mit dem Feuer gespielt, der diese Kunst bei zahllosen Verhandlungen mit weitaus stärkeren Mächten als Iran seit langem perfektioniert hat.

Auf jeden Fall wurde deutlich, dass Zarifs Erfahrung als Außenminister seine Persönlichkeit in den zurückliegenden Jahren verändert hat. Der in den USA ausgebildete Diplomat, der es stets streng vermieden hat, sich in die Innenpolitik seines Landes einzumischen, gehört der Vergangenheit an. Wie Zarif auch immer aus den Debatten um seine Person hervorgeht – er hat bewiesen, dass er willens und fähig ist, sich ins Getümmel zu stürzen. Und das mit mehr Entschlossenheit und Autorität als jemals zuvor.

Mohammad Ali Shabani berichtet für das Nachrichtenportal Al-Monitor aus dem Nahen Osten und ist vorrangig für Iran zuständig

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