Assimilation durch Kopftuchverbot

Plädoyer für eine pluralistisch-republikanische Gesellschaft Zu Niels-Arne Münchs Artikel "Wollen wir eine Parallelgesellschaft?"

Die Reaktion von Herrn Münch auf meine Kritik des Kopftuchverbots bringt manche bisher unausgesprochenen, aber durchaus heiklen Motive der Befürworter eines solchen Verbots auf den Punkt (auch verborgene Ängste kommen zwischen den Zeilen zum Vorschein). Denkt man viele Argumente zu Ende, sind sie im Grunde genommen ein Plädoyer für eine reinrassige, zumindest aber kulturell homogene Gesellschaft. Die herrschenden Vorstellungen der Mehrheitskultur sollen als verbindlich für alle definiert werden - das heißt, Minderheiten haben sich der Mehrheitskultur zu unterwerfen, wenigstens äußerlich.

Ich halte das Kopftuchverbot tatsächlich für einen Rückschlag, der sich gegen die Integration richtet. Herr Münch bezeichnet meine These als "Unsinn", er will, anstatt die "Leerformel" Integration zu bemühen, die Frage beantwortet wissen, wie Integration in der Praxis stattzufinden hat. Sein Resümee: "Das Kopftuch betone das Anderssein" und behindere daher "die Integration". Im Klartext wird hier allen Ernstes von Einwanderern verlangt, ihr Anderssein aufzugeben, Symbole, die auf ihre fremde Zugehörigkeit verweisen, unsichtbar zu machen. Das Credo lautet: Wir - die Angehörigen der Mehrheitskultur - wollen Euch Fremde eigentlich gar nicht, wir lieben unsere einzigartige Homogenität, vielleicht haben wir auch Angst vor Veränderung und sind uns möglicherweise im Unterbewusstsein unserer kulturellen Überlegenheit gar nicht so sicher. Und Ihr, die Ihr da hergekommen seid, habt - so Ihr hier bleiben wollt - die verdammte Pflicht, uns Eure Duldung zu erleichtern. Herr Münch will im Klartext die "Assimilation", verwendet dafür aber den Begriff "Integration".

Die Mehrheitskultur hält ihr Verlangen nach Assimilation der Andersartigen moralisch für völlig legitim, sie geht wie selbstverständlich von einer Höherwertigkeit eigener Werte und Normen gegenüber den Werten und Normen der Einwanderer aus und erwartet, dass die - nicht zuletzt im eigenen Interesse - den vorherrschenden Normenkodex gefälligst zu übernehmen haben. Wenn nicht freiwillig, dann halt staatlich erzwungen. Ganz anders als die Assimilation, die von Duldung beziehungsweise Tolerierung von Minderheiten ausgeht, leitet sich die Integrationsidee aber vom Prinzip der Gleichwertigkeit der Menschen und Kulturen ab. Sie erhebt gegenseitigen Respekt zum entscheidenden Kriterium für alle Regeln und Rechtsnormen, die in der republikanischen Verfassung verankert und für ein Zusammenleben geboten sind.

Unterdrückung bis in alle Ewigkeit?

Die Befürworter des Kopftuch-Verbots beziehen sich wohlweislich weder auf das Grundgesetz noch das Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Stattdessen bedienen sie sich im Kopftuchstreit solcher Begriffe wie "christlich-jüdisches Erbe" (Angela Merkel) oder "unsere westlichen Werte", die sich jenseits von Verfassungsnormen bewegen und daher Interpretationswillkür ausgesetzt sind. Ich habe den leisen Verdacht, dass das Kopftuch islamischer Frauen inzwischen als Vehikel für einen Kulturkampf gegen die Einwanderung und für die Aushebelung der republikanischen Verfassung instrumentalisiert werden soll. Die Verbotsbefürworter meiden nicht nur geschriebene Rechtsnormen wie der Teufel das Weihwasser, sondern auch die Beschäftigung mit den Kopftuch tragenden Menschen und ihren höchst unterschiedlichen Motiven. Sie bedienen sich dabei vielmehr teilweise der absurdesten Konstruktionen, um ihre Argumentation halbwegs moralisch zu untermauern.

"Schleier und Kopftuch sind", sagt Herr Münch, "Instrumente patriarchalischen Herrschaftsanspruchs und nicht bloßes Symbol". Soweit so gut. Diese historisch richtige Feststellung wird jedoch in dem Moment zur Konstruktion, indem - wider jegliche Empirie - Emanzipation und Kopftuch für immer als miteinander unvereinbar erklärt werden. Millionen muslimischer Frauen mit Kopftuch in der islamischen Welt als Vorgesetzte Hunderter Männer in Hospitälern, Universitäten, Banken, Versicherungen, Administrationen und in der Industrie sorgen für den Gegenbeweis: Muslimischen Frauen gelang es sehr wohl, sich trotz des Kopftuchs von patriarchalischen Strukturen zu emanzipieren.

Es ist übrigens ein historisch ganz und gar normaler Vorgang, dass der Inhalt sich vor der Form emanzipiert - lange bevor seine alte Hülle verschwindet. Diese dialektische Wechselbeziehung sollte Herrn Münch als Sozialwissenschaftler bekannt sein. Die republikanischen Lebensstile wurden im Schoß religiös beherrschter Staaten in Europa geboren und haben sich Jahrhunderte lang entwickelt, bevor die mittelalterliche Hülle verschwand.

Wenn Herr Münch Frau Ludin zu einer Kompromissfrau "zwischen familiärem Druck und dem Wunsch, sich in die Gesellschaft einzufügen", zurecht definiert, um ihr dann durch das Kopftuchverbot den Weg zu ebnen, sich dieses Kompromisskorsetts zu entledigen, ist das nicht nur arrogant, sondern auch menschenverachtend, weil er ihr und vielen anderen Musliminnen einfach nicht abnimmt, dass sie keine Kompromissfrauen sind, sondern sich nur aus religiöser oder individueller Überzeugung für das Kopftuch entschieden haben. Selbstverständlich gibt es auch Musliminnen mit Kopftuch, die in das Muster einer verinnerlicht Unterdrückten (Münch) passen. Es gibt eine Minderheit von ihnen, die vor allem die symbolisch-missionarische Bedeutung des Kopftuchs ausdrücken will und auf persönliche Entfaltung durch Beruf und Aufstieg in die Mehrheitsgesellschaft bewusst verzichtet. Merkwürdigerweise sehen die Verbotsbefürworter ausgerechnet Letztere auf dem Vormarsch, während die trotz des Kopftuchs längst emanzipierten Musliminnen ignoriert werden.

Ablehnung des Kopftuchverbots heißt im Übrigen keineswegs Zustimmung zum Kopftuch, erst recht nicht Zustimmung zum Kopftuchzwang durch patriarchalische Väter oder Ehemänner. Dieses Missverständnis spielt bei vielen Verbotsbefürwortern - auch in einigen Leserbriefen an den Freitag - eine wichtige Rolle. Das Kopftuch mag einigen nicht ansehnlich erscheinen, es geht aber in diesem Streit um die Schönheit des Rechts.

Die Auswirkungen des Verbots sind hinsichtlich der Ausgrenzung aller muslimischen Frauen über die Schulen hinaus in Frankreich schon jetzt verheerend. Dort wird Frauen mit Kopftuch der Zugang zu öffentlichen Einrichtungen - etwa einer Bank - verwehrt. In Kassel fertigte die Passbehörde eine Frau nicht ab, weil sie ein Passfoto mit Kopftuch mitgebracht hatte. Erst ein richterlicher Bescheid gebot der Behörde Einhalt. Berichte über das Anpöbeln von Musliminnen häufen sich.

Die Folgen des Kopftuchverbots können wir am besten studieren, indem wir auf die laizistische Türkei und die Islamische Republik Iran blicken. In der Türkei sind die traditionellen islamischen Frauen (mindestens 50 Prozent) faktisch aus der gesellschaftlichen Öffentlichkeit verbannt. Im Iran wiederum werden westliche orientierte Frauen durch Schleierzwang erniedrigt und teilweise diskriminiert.

Die Schule - ein ideologiefreier Raum?

Die Schule sei der Ort, in dem neben der Wissensvermittlung auch positive Werte der Gesellschaft wie individuelle Freiheit, Gleichberechtigung der Geschlechter und anderes mehr vermittelt werden - so eine häufig bediente These, die - in Verbindung mit der Annahme, das Kopftuch sei Symbol der Unfreiheit und Frauenunterdrückung schlechthin - von Protagonisten wie Frau Schavan (CDU/*) vorgetragen wird, um ein Kopftuchverbot in der Schule moralisch zu rechtfertigen. Nur ist die Schule durchaus nicht der neutrale Ort, wie das die Verbotsbefürworter suggerieren. Vielmehr sind unter der Lehrerschaft nicht selten gläubige Christen, Juden, muslimische Männer oder Anhänger von Weltanschauungen, denen ein patriarchalisches, frauenfeindliches und fremdenfeindliches Denken eigen ist. Es ist daher vollkommen weltfremd, die Schule ausgerechnet dann zum religionsfreien Raum zu erklären, wenn es um muslimische Lehrerinnen mit Kopftuch geht. Außerdem bleibt die Schule ein ungemein wichtiger Ort der geistigen Auseinandersetzung, wenn unterschiedliche Kulturen und Religionen aufeinander treffen. Vielfach wird sie zum wichtigsten Korrektiv für die Erziehung in der Familie.

Allerdings ist die Schule nur dann für die freie Erziehung der Kinder unverzichtbar, wenn sie die gesamte Gesellschaft mit all ihren positiven und negativen Seiten widerspiegelt. Diese herausragende Funktion müsste eigentlich den von Amts wegen für Bildung und Erziehung verantwortlichen Ministerinnen Schavan und Bulmahn (SPD), aber auch der Hannoveraner Bischöfin Margot Käßmann geläufig sein und sie ein Kopftuchverbot ablehnen lassen. Stattdessen wird mit der absurden Behauptung, muslimische Lehrerinnen mit Kopftuch könnten durch ihre Vorbildfunktion junge Mädchen missionieren, die Angst der Mütter und Väter vor der Gefahr eines islamischen Fundamentalismus geschürt.

Bundespräsident Rau hat sich mit seiner klaren Stellungnahme gegen ein Kopftuchverbot nicht nur gegen die einseitige Diskriminierung muslimischer Frauen und eine möglicherweise unheilvolle Entwicklung gewandt, er hat mit seiner Position auch vielen widersprochen, die ansonsten als überzeugte Befürworter einer pluralistischen Demokratie gelten. Es bleibt zu hoffen, dass Bundestagspräsident Thierse und andere, die gern Respekt gegenüber fremden Kulturen predigen, die Folgen ihres Votums für ein Kopftuchverbot zu Ende denken. Parallelgesellschaften, die Herr Münch befürchtet, können am wirksamsten durch die konsequente Verbreitung republikanischer Werte verhindert werden, die von einer Gleichwertigkeit der Kulturen und Religionen ausgehen. Eine Assimilation in die Mehrheitskultur oder die künstliche Erzeugung kultureller Homogenität sind der falsche Weg.

Eine nüchterne und faire Analyse würde zeigen, dass ein Kopftuchverbot dem Grundgesetz und der politischen Vernunft widerspricht. Sollte es diese Analyse eines Tage geben, wird die jetzige intensive und aufgeregte Debatte als ein überfälliger Beitrag erscheinen, um das republikanisch-pluralistische Denken in der Gesellschaft zu vertiefen.

(*) Annette Schavan ist Ministerin für Jugend, Kultur und Sport in Baden-Württemberg


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