Es wäre gewiss kein Beitrag zur politischen Kultur, dem Liberalismus als einem Stützpfeiler westlicher Demokratien den suggestiven Zusatz "Fanatismus" anzuhängen, gäbe es nicht Josef Joffe, seines Zeichens Chefredakteur eines Wochenblatts mit liberalem Anspruch, der nur allzu gern am Feindbild Islam strickt. In der Zeit vom 18. März nahm er den Terror gegen Zivilisten in Madrid zum Anlass, das Schreckensbild eines "Islamo-Faschismus" an die Wand zu malen: "Nennen wir´s nicht Islamismus oder Dschihadismus, sondern Faschismus ohne Duce oder Führer." Um verständlich zu machen, was gemeint ist, empfiehlt der Autor den Europäern, "in den Spiegel des Islamo-Faschismus zu blicken und darin die Fratze der eigenen Geschichte auszumachen."
Eine perfidere Verharmlosung von Faschismus und Holocaust hinter der liberalistischen Maske ist kaum vorstellbar. Es gehört ein gehöriges Maß an Geschichtsblindheit und anti-islamischer Hysterie dazu, um die systematische Ausrottung von sechs Millionen Juden mit den Verbrechen des al Qaida-Netzwerkes gleichzusetzen. Da entlastet jemand wirkungsvoller als gestandene Antisemiten die deutsche Verantwortung für die systematische Vernichtung der Juden, der ansonsten stets jedwede Kritik an Israel in die Nähe des Antisemitismus zu rücken versucht.
Joffe setzt sich mit seinem "Islamo-Faschismus" nicht nur an die Spitze einer Bewegung, die mit der These des islamischen Antisemitismus mächtig Geschichtsklitterung betreibt - er erklärt auch kurzerhand das spanische Wählervolk und die gewählte sozialistische Regierung zum Handlanger des Terrors: "Bislang hat sich jede westliche Demokratie im Angesicht des Terrors um ihre Führung geschart - ob in England, Amerika, Italien oder Israel - nicht aber in Spanien." Dabei haben die Spanier nicht nur politische Reife bewiesen, sondern eindrucksvoll den Nachweis erbracht, dass es durchaus möglich ist, der Instrumentalisierung menschlicher Wut und Trauer für Machterhalt und Krieg eine Absage zu erteilen - bravo, Amigos!
Alle europäischen Befürworter des Irak-Krieges, besonders aber George Bush, befürchten nun das Abbröckeln der Kriegsallianz, die Joffe in "Anti-Terror-Allianz" umbenennt, weil Massenvernichtungsmittel als Kriegsgrund auch ein Jahr nach dem Einmarsch immer noch nicht gefunden wurden. Diese "Allianz" bediente sich von Anfang an nicht nur der Lüge und Erpressung, sondern auch der perfidesten Rechtfertigungsmethoden, die jemals demokratisch verfassten Gesellschaften zugemutet wurden. Tatsächlich handelt es sich weder um eine Kriegs- noch um eine Anti-Terror-Allianz. Wir haben es schlicht mit einer Terror-Allianz zu tun, und zwar in doppeltem Sinne: Weil die US-Bomben auf Tausende unschuldiger irakischer Zivilisten nicht weniger terroristisch waren als al Qaida-Anschläge in New York, Casablanca, Istanbul, Madrid oder auf Bali - und weil sie die psycho-soziale Basis des islamistischen Terrorismus auf eine neue, gefährliche Stufe gehoben hat, nicht nur für Europa, vor allem für den Irak selbst. Die Parteigänger dieser Allianz benehmen sich jetzt wie Kinder, die ihre Augen verschließen und glauben, man könne sie nicht sehen.
"Warum meucheln die Killer unschuldige Spanier?", stellt Joffe die rhetorische Frage, um ihr angeblich auf den Grund zu gehen: "Zur Logik des Terrors gehört das Übel als Überlebensgarantie ... Das Ziel des islamo-faschistischen Terrors ist ein totales, der apokalyptische Endsieg." Mit "Erkenntnis" hat derlei "Ursachenforschung" nicht das Geringste zu tun. Diese redundante wie falsche Begründung dient einzig und allein der Ablenkung vom Desaster der amerikanischen Irak-Politik.
Gehen wir einmal davon aus, Osama bin Laden ginge es nicht um die Befreiung des heiligen islamischen Landes von der US-Besatzung, und der Hamas-Führung in Palästina ginge es nicht um das Ende der israelischen Besatzung, sondern nur um Mord an unschuldigen Zivilisten - es bliebe immer noch die Frage offen, warum sich - viel mehr als vor dem Irak-Krieg - nicht nur Araber im Irak, sondern auch Moslems aus aller Welt, die in London, Rom, Madrid und anderswo leben, dem islamistischen Terror-Netzwerk anschließen. Die Antwort auf diese Frage ist ziemlich einfach: Es ist die Demütigung einer ganzen Kultur, die junge Moslems in das Lager des Terrors treibt. Wie diese Erniedrigung aussehen kann, haben die Amerikaner vorgeführt, als einer ihrer Militärärzte Saddam Hussein vor laufender Kamera wie einem Pferd mit der Taschenlampe in den Hals leuchtete und auf seinem Kopf nach Läusen suchte. Die Botschaft war eindeutig - jeder Araber, jeder Moslem sollte wissen: wir haben die Macht, um notfalls euer Land zu besetzen, eure Ressourcen zu kontrollieren, in eure Häuser einzudringen - und diese Botschaft ist angekommen.
Ariel Scharon hat mit der Ermordung von Scheich Yassin auf seine Weise die Seele der Palästinenser wie der Moslems in aller Welt getroffen und damit eine neue Eskalation der Gewalt ausgelöst.
Die Demütigung einer traditionsreichen Kultur ist der Hauptgrund für die terroristische Gegengewalt und den "asymmetrischen Krieg". Selbst gutwillige Politiker im Westen haben diese simple Tatsache immer noch nicht begriffen, ganz zu schweigen von Bush und seinem Anhang, nicht zuletzt in Europa. Angesichts der Arroganz und offenkundigen Unfähigkeit - oder richtiger Unwilligkeit - diese Konfliktursache zur Kenntnis zu nehmen, muss man wegen der Zukunft des Irak ernsthaft besorgt sein. Driftet das Land in einen Bürgerkrieg, ist es nicht auszuschließen, dass den US-Truppen die Kontrolle völlig entgleitet und sie Hals über Kopf von Bord gehen. Leider hat es das "alte" Europa bisher versäumt, für den Aufbau eines durch die UNO legitimierten, islamisch-europäischen Sicherheitskorps als Alternative zur US-Besatzungsmacht einzutreten, um dem Terror zu begegnen und den Aufbau eines neuen Iraks auf eine legitime Basis zu stellen. Jetzt könnte es schon zu spät sein - vielleicht aber auch nicht.
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