Kanzler Schröder hat - möglicherweise für viele überraschend - eine deutsche Teilnahme an einem Krieg der USA gegen den Irak (auch bei einem UN-Mandat) abgesagt. Der Zeitpunkt legt verständlicherweise den Verdacht eines wahltaktischen Manövers nahe, um die Antikriegsstimmung der Wähler zu nutzen. Dennoch wäre es ein Fehler, den Vorgang darauf zu reduzieren. Allmählich dürfte auch Schröder und der SPD-Führung bewusst geworden sein, in welches Abenteuer Bush durch einen Krieg gegen den Irak nicht nur Amerika, sondern auch Europa hineinzieht. Die Ankündigung von Verteidigungsminister Struck "im Falle eines Krieges der USA gegen den Irak die sechs deutschen Spürpanzer und die 52 Bundeswehrsoldaten aus Kuwait sofort zurückzuziehen", lässt vermuten, dass die SPD-Position zu den Kriegsplänen der USA, der sich Außenminister Fischer erst nach einigem Zögern angeschlossen hat, mehr ist als Schielen auf den Wahltag.
Der durch den Präsidenten der USA geplante "Präventivschlag" gegen Bagdad stellt nach übereinstimmender Auffassung der Völkerrechtler einen eklatanten Bruch geltenden Rechts und einen Angriff auf das gesamte kollektive Sicherheitssystem der UNO dar. Ein Präventivschlag ist eine höchst gefährliche Konstruktion. "Hitler und seine Schergen", schreibt der Friedensforscher Dieter S. Lutz, "haben ihn eingesetzt, um 1941 den Überfall auf die Sowjetunion zu rechtfertigen, mit katastrophalen Folgen für Deutschland und die Welt. Natürlich stehen das demokratische Amerika und das verbrecherische Nazi-Regime nicht auf einer Ebene. Doch sind einige Parallelen in der Denk- und Argumentationsstruktur, mit denen der Präventivschlag gegen den Irak gerechtfertigt wird, zu ernst, als dass nicht vor der Gefahr eines Irrweges gewarnt werden müsste".
Die Kritik an dem von Schröder angedeuteten "Deutschen Weg" ist populistisch und unangebracht. Das Grundgesetz schreibt einen solchen Weg unmissverständlich und zwingend vor. Nach Art. 26 sind "Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig" und "unter Strafe zu stellen".
Insofern ist die Ablehnung eines Krieges gegen den Irak Verfassungsauftrag. Wer sich anders verhält, handelt verfassungswidrig. Verboten sei, merkt Lutz weiter an, "nicht nur die Vorbereitung eines Angriffskrieges, sondern jede beabsichtigte Handlung, die auch nur geeignet ist, einen Angriffskrieg vorzubereiten. ... Taten sind nicht einmal erforderlich. Bereits die Aufforderung oder Zustimmung, das bloße Wort also, genügt".
Beruht die Absage von Schröder tatsächlich auf einem Sinneswandel, dann sollte er schon jetzt - unter Verweis auf das Verfassungsgebot - der US-Regierung klar zu verstehen geben, dass im Falle eines Krieges gegen den Irak mit keiner Zustimmung für die Nutzung militärischer Infrastruktur der USA in Deutschland zu rechnen ist. Denn Handlungen, die auch nur "geeignet" sind, einen Angriffskrieg auf deutschem Territorium "vorzubereiten", verstoßen gegen die Verfassung. Um so mehr gilt dies für den Vollzug eines Angriffskrieges.
Die völkerrechtswidrigen Pläne der USA abzulehnen, ist das eine, mindestens ebenso wichtig bleibt, ob und wie Deutschland und Europa es schaffen, über die Irak-Frage hinaus endlich zu einer neuen und eigenständigen Außen- und Friedenspolitik zu kommen. Allerdings wäre dazu eine kritische Inventur deutscher Regierungspolitik nötig, die vier Jahre lang weitgehend darauf verzichtete, sich von einer Außen - und Sicherheitspolitik der USA zu emanzipieren, die außen- und friedenpolitischen Interessen Deutschlands und Europas zuwider läuft. Positionen wie die von Außenminister Fischer "Wir haben Amerika nicht zu kritisieren" und Schröders "uneingeschränkte Solidarität" nach dem 11. September haben sich offenbar als Irrweg erwiesen.
Gleiches gilt auch für die Haltung der Bundesregierung zum Nahostkonflikts und das Schielen nach Signalen aus Washington. Kalte Krieger im Weißen Haus haben die oft kaum nachvollziehbare Befangenheit der Bundesregierung und das Fehlen einer gemeinsamen EU-Friedenspolitik als Freibrief für US-Hegemonialbestrebungen und Partikularansprüchen der eigenen Rüstungs- und Ölindustrie missverstanden. Diese Kräfte gehen jetzt sogar so weit, die weltweite Solidarität mit den Opfern der Verbrechen vom 11. September in der internationalen Anti-Terror-Allianz heute für einen Angriffskrieg gegen den Irak und morgen vielleicht gegen ein anderes Land zu missbrauchen. Bisher durften sie sich darin durch die unkritischen Haltungen europäischer Regierungen bestärkt fühlen.
Der Irrweg begann mit der deutschen Teilnahme am NATO-Krieg gegen Jugoslawien unmittelbar nach der Regierungsübernahme von Rot-Grün. Deutschland und Europa wurden in den Augen der Weltöffentlichkeit zur Putzkolonne der NATO degradiert und haben dazu beigetragen, das Milos?evic´-System um mindestens zwei Jahre zu verlängern. Dessen Zusammenbruch wurde erst durch externen Beistand für die serbische Opposition und das Versprechen großzügiger Wirtschaftshilfe im Falle eines Machtwechsels beschleunigt. Dies hätte ohne das Desaster im Kosovo aller Wahrscheinlichkeit nach schneller und reibungsloser erreicht werden können, als Milos?evic´ schon 1998 mit dem Rücken zur Wand stand. Tausende von zivilen Opfern in Serbien und im Kosovo wären vermieden worden.
Für die Bundesregierung ist es an der Zeit, ein Stück Glaubwürdigkeit für die deutsche Außenpolitik, die nach eigenem Anspruch Friedenspolitik sein sollte, zurückzugewinnen. Entgegen manch irriger und selbstunterschätzender Meinungen, verfügen Deutschland und die EU über einen erheblichen friedenspolitischen Aktionsradius. Als Leitbild gilt es, eine Politik der auf die Unteilbarkeit der Menschenwürde gerichteten Kooperation mit den europäischen Nachbarn, mit dem Balkan, dem Nahen Osten, mit Zentralasien und der islamischen Welt zugrunde zu legen. Wäre die EU für eine aktive Friedenspolitik in Europas Nachbarregionen nicht geradezu prädestiniert, weil sie auf die Erfahrung eigener Integration zurückgreifen kann? Das Europa der Union ist dank der in den vergangenen 50 Jahren gewonnenen moralischen Kraft und seiner hohen Akzeptanz durchaus in der Lage, der aggressiven, zusehends auf Hegemonie ausgerichteten Außenpolitik der USA ein eigenes friedenspolitisches Gegengewicht entgegen zu setzen. Nur dadurch lässt sich der Handlungsspielraum besonnener politischer Kräfte in Amerika stärken.
Als ersten und entscheidenden Schritt in dieser Richtung müsste die Europäische Union den Frieden im Nahen Osten zu ihrem außenpolitischen Hauptthema machen. Die Vereinigten Staaten sind offensichtlich dazu nicht fähig oder nicht sonderlich daran interessiert. Sie können warten, Europa und der Nahost-Frieden jedoch nicht. Schließlich spielt sich zwischen Israel und Palästina eine menschliche Tragödie sondergleichen ab. Die EU wäre eine wichtige - vielleicht die einzige politische Kraft - die durch behutsame, gleichwohl entschlossene Schritte die selbst tragende Dynamik eines Friedensprozesses herbeiführen könnte. Deutschland sollte dabei vorangehen, gerade wegen der historischen Verantwortung, auch im Interesse der Existenz Israels.
Mohssen Massarat ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Osnabrück. Er gehört zu den Mitinitiatoren des Offenen Briefes Eine Welt der Gerechtigkeit und des Friedens sieht anders aus, mit dem sich im Mai namhafte deutsche Intellektuelle gegen die - bezogen auf Afghanistan - kriegsbejahende Position von Kollegen in den USA ausgesprochen hatten.
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