Im Rahmen eines Forschungsprojektes über Alltagserzählungen sprach die Autorin mit MitarbeiterInnen aus Kantinenküchen zweier städtischer Krankenhäuser sowie der Werkskantine eines großen Industriebetriebes. Als Ergänzung erschien es ihr sowohl reizvoll als auch notwendig, den Küchenalltag »am eigenen Leibe« zu erleben.
Köche spucken heimlich in die Suppe, das weiß man. Genaues weiß man dann allerdings doch nicht, denn in die Küchen von Gasthäusern oder Kantinen kommt man so ohne weiteres nicht hinein. Zum Ausgleich entstehen Gerüchteküchen.
Auch für nur einen Tag ist ein Gesundheitszeugnis Bedingung. Im Städtischen Gesundheitsamt muss ich als erstes 97,10 DM bezahlen. Dann werden meine Lungen ger&
ezahlen. Dann werden meine Lungen geröntgt. Anschließend untersucht eine Ärztin meinen Körper. Später muss ich noch zwei Stuhlproben abgeben, im Abstand von einem Monat. Nach weiteren drei Wochen erhalte ich das Gesundheitszeugnis mit der Post.Ich verabrede mit dem Küchenleiter der Werkskantine einen normalen Arbeitstag von 7 bis 13.45 Uhr. Kurz vor Arbeitsbeginn bin ich in der Küche und werde zunächst in den Pausenraum geschickt, weil noch Sicherheitsschuhe in meiner Größe besorgt werden müssen. Dort sitzen sechs, sieben KollegInnen schon in ihrer Berufskleidung, die anderen sind noch beim Umziehen. Die Frauen tragen Kittel, Socken, Clogs und ein Dreieckstuch für die Haare, alles in Weiß; die Männer doppelreihig geknöpfte Jacken, schwarzweiße Hosen, ein kleines Tuch um den Hals und eine hohe Kochmütze.Frau J., Kaltmamsell, leitet mich an. Sie läuft vor mir her zum Umkleideraum; auf der Tür steht »Waschkaue Frauen«. Weist mir einen der dunkelgrünen Blechspinde zu. Sucht mir einen Kittel heraus und ein Tuch. Verschwindet im Eiltempo. Später weiß ich: die Zeit von 7 bis 9 Uhr ist die intensivste Arbeitszeit.Fertig angezogen gehe ich in die Küche. Stehe ein paar Minuten herum und allen im Weg. Dann löse ich Frau J. ab beim Herstellen von Mett, fülle schnitzelgroße Stücke in einen elektrischen Fleischwolf. Unten fällt das Mett in eine Wanne aus Plastik, die etwa dreimal so groß ist wie eine Baby-Badewanne. Das Fleisch ist schon gewürzt und sehr kalt, so dass meine Hände nach kurzer Zeit steif werden. Dann tragen wir zu zweit die gefüllte Wanne zum Arbeitstisch in der Kalten Küche. Zu dritt stellen wir abgepackte Portionen für das Abendessen her: 1. Klarsichtfolie auf die Waage legen; 2. einen Kloß Mett auf die Folie tun, ungefähr 60 Gramm abwiegen; 3. die Folie über die Mett-Portion klappen und letztere auf den Tisch legen; 4. ein Päckchen falten und in einen Behälter aus Chromagan legen, dabei abzählen. Ich stehe zwischen zwei Frauen und bin für die Arbeitsschritte eins und drei zuständig. Nach wenigen Minuten stellt sich ein gleichmäßiger, dabei aber flexibler Rhythmus her, der die Arbeit leicht und angenehm werden lässt. Mein Zeitgefühl klinkt aus.Nächste Aufgabe: Tomaten waschen und in Sechstel schneiden. Den hellen Stielansatz drin lassen; ihn rauszuschneiden kostet zu viel Zeit, das mache sie nur zuhause, sagt Frau J. Wenn eine Tomate angefault ist, weg damit, nicht noch lang daran herumschnippeln. Das Messer ist riesig, zunächst erscheint es mir viel zu groß für diesen Zweck. Dazu ist es sehr scharf. Die Messer werden täglich nachgeschliffen. Auch bei dieser Arbeit finde ich schnell einen Rhythmus. Der Tomatenwalzer dauert seine Zeit, und ich höre dabei die Geräusche und Stimmen um mich herum. Da die Gerätschaften meist aus Metall sind und der Boden aus Stein, entsteht viel Lärm. Wenn dann noch eine Küchenmaschine läuft, kann man sich nur rufend verständigen. Zwischendurch, als es grad mal ruhiger ist, höre ich hinten bei den Bratpfannen jemanden virtuos Musicalmelodien pfeifen.Reinhard S.: Früher haben wir viel mehr Scherze gemacht. So wie für Herbert P., dem hatten wir einen Schweineschwanz hinten drangemacht an die Jacke, ohne dass er das gemerkt hat. Oder so eine ältere Mitarbeiterin, die hat gern alle Leute in den April geschickt. Und gesagt: Mich schickt keiner in den April. Da bin ich in die Werkstatt rüber, habe gesagt, sie sollen bei ihr anrufen, dass sie mal alle Dampfventile aufdrehen muss, wir haben Überdruck in den Leitungen, das verknotet sich da hinten schon. Na ja, die rufen dann auch an. Und Frau M. los aus dem Büro, dreht überall die Ventile auf. Ich versteh das nicht, sagt sie, ich versteh nicht, warum ich das machen soll, und dreht, und dreht, und die Küche voll unter Dampf. Ich habe mich fast kaputt gelacht. Erst dann hat sie es mitgekriegt.Pause, eine Viertelstunde. Aus dem Radio kommt leise Unterhaltungsmusik. Einige haben sich ihr Frühstück mitgebracht, andere bedienen sich vor Ort, gegen Bezahlung. Zeitung lesen mit Kurzkommentaren zu Meldungen oder Bildern. Am Tisch der Köche ein paar neue Wörter für »Warmduscher«. Kaum Gespräche. Die gibt es dann in der halbstündigen Mittagspause. Zwei Frauen erzählen sich von zuhause, von den Kindern. Die eine kommt dabei auf ihre eigene Kindheit zurück und erzählt von ihrer Großmutter, die für das Bekochen der Großfamilie zuständig war. Zum Kaffee gibt es zwei, drei Runden Kartenspiel.Reinhard S.: Ich hatte da nie dran geglaubt. Aber die Poppi fing an, mir aus der Hand zu lesen, aus dem Kaffee, und ich denk: Na? War viel Wahrheit drin, da kam ich ja ins Schleudern, mich kennt sie ja nicht. Na ja, denk ich, wer ein offenes Ohr hat und ein Auge zu blicken, der soll schauen und hören. Dann hat sie was aus der Vergangenheit erzählt, was nun wirklich keiner wissen konnte. Ich denke: Na Teufel noch mal, da sitzt doch irgendwas drin. Sie macht das auch mal sonntags nach der Arbeit. Setzen wir uns noch auf einen Kaffee hin. Wobei wir dann aber auch noch etwas länger bleiben. Wenn meine Tasse noch nicht gelesen ist, sitze ich auch um Viertel nach zwei noch hier, bis die Poppi durch ist. Muss ja wissen, was für ein Glück ich wieder habe.Vor der Mittagspause ist noch viel zu tun, aber das Tempo ist nicht mehr so hektisch, die Atmosphäre entspannt. Ich packe gefrorene Hähnchenfilets aus und schichte sie auf Tabletts; Vorbereitung für den nächsten Tag. Zwischendurch die Finger immer mal unter warmes Wasser halten, sagt die Kollegin, die mir später dabei hilft. Ich finde den Wasserhahn nicht, bis mir ein Koch den Knopf zum Drücken in der Höhe der Oberschenkel zeigt. Dann Frikadellen formen aus der anderen Hälfte Mett, die jetzt noch mit Eiern und Paniermehl angereichert wird. Ein Koch nimmt sich die Wanne vor und walkt das Gemisch kräftig durch. Er hat keine Uhr am Handgelenk. Ich löse meine auch und stecke sie in die Kitteltasche.Feijo M.: Vor ein paar Jahren war hier Hochsommer und es war Hitze, Hitze wie verrückt. Das war im August, ja, und normalerweise ist es so, dass es im Betrieb verboten ist, Schmuck zu tragen. Dann kommt eine Mitarbeiterin, die hatte einen Ring von über zweitausend Mark, mit einem Diamant. So was nimmt man nicht mit zur Arbeit. Aber sie hat es gemacht. Sie ist eine Mitarbeiterin, die gern zeigt, was sie alles hat. Arbeitet hinter der Spülmaschine. Den Müll muss man wegmachen, und man arbeitet mit Handschuhen, dünne Handschuhe. Und nach einiger Zeit hat sie ihren Ring vermisst. Der Ring war weg. Ja und jetzt such mal den Ring! Ich habe mir gedacht: Mensch, sie hat hinter der Maschine gearbeitet, das heißt, wenn sie schwitzige Hände hatte und sie die Handschuhe ausgezogen hat, dann ist der Ring auch mitgekommen. Weil sie dann feucht waren und der dann abrutscht. Das habe ich mir so gedacht. Es war eine Hitze, und der Container war voll mit Wespen. Die Mülltüten waren schon alle drin. Jetzt such mal eine bestimmte Tüte! Die Kollegin war so traurig, und das war ein Zweitausend-Mark-Ring. Na gut, ich steige in den Container rein, da haben mich noch zwei Wespen gestochen. Bringe eine Tüte raus: nix. Noch eine Tüte. Die dritte Tüte war gut, alle Handschuhe drin und tatsächlich: der Ring war im Handschuh. Das war eine große Geschichte, die ich erlebt habe.Der Koch zeigt mir, wie ich die Frikadellen zum großen Oval formen soll. Aus der Menge für eine würde ich zuhause drei Frikadellen machen. Die Kollegin an der Pfanne schimpft, dass sie die Dinger kaum wenden kann, ich soll mal nicht ganz so großzügig zulangen. Mir gegenüber kochen in einem der Riesenkessel Knochen mit Suppengrün. Der Sud wird später aus dem Kessel durch ein feines Sieb in eine Plastikwanne geleitet. Soßenfond. Es riecht sehr kräftig, auf Dauer unangenehm.Petra H.: Manchmal kriege ich den Gestank schon nicht mehr los.Margrit J.: Ja, da müssen wir jeden Tag die Haare waschen. Also, es geht gar nicht anders.Petra H.: Hier ist auch gar keiner mehr jetzt, glaube ich, der lange Haare hat. Wir haben sie alle kurz schneiden lassen, die Haare, es hat gar keinen Zweck. Denn es riecht, das setzt sich ... wenn Sie über der Pfanne stehen den ganzen Tag, drei Stunden, sage ich mal, das reicht ja schon. Das setzt sich doch in die Haare rein. Auch in die Nase, man hat das immer, den Geruch von hier. So Küchengeruch. Wenn ich ins Auto steige und abgeholt werde von meinen Männern, dann sagen sie immer: Miss Pommes kommt.Um zwölf Uhr wird die Kantine geöffnet. Ein Teil der Kolleginnen steht an der Theke und gibt das Essen aus, die anderen sorgen für Nachschub. Die gesamte Theke ist aufgeheizt, damit das Essen heiß bleibt. Anlehnen oder mit der Hand abstützen geht nicht. Trotzdem: das Essen auszuteilen, an dessen Herstellung man beteiligt war, ist schön. Die Leute haben Hunger, freuen sich aufs Essen, und du versorgst sie. Es gibt vier verschiedene Menüs; bei mir gibt's Hähnchen mit Pommes.Elisabeth M.: Ganz früher mussten wir ja noch die Tabletts von den Tischen holen.Lydia K.: Das hat mich nicht gestört.Elisabeth M.: Oh, Lydia, und dann hatten wir noch diese alten, schweren Clogs. Und wenn man dann gegangen ist, und man ist gegen so ein Stuhlbein gekommen, und der Kollege zusammengezuckt, und hat er einen dummen Spruch gemacht. Sooo ein' Kopf habe ich jedesmal gekriegt.Lydia K.: Weißt du noch, der die Zähne auf dem Tablett hatte!?Nach der Essensausgabe ist die Arbeit beendet, jedenfalls in dieser Küche, in der der Abwasch an eine Fremdfirma delegiert ist. Die Küchenarbeit wird niedrig bezahlt, geht auf die Knochen, hat kein hohes soziales Ansehen.Das ist ja nicht anders als bei der Hausfrauenarbeit, sagt Arthur S., Personalrat und früher Koch. Dabei ist das Essen so wichtig: Wenn es schmeckt, fühlt man sich wohl, wenn es nicht gut war, ist der Tag versaut. Ganz abgesehen von den gesundheitlichen Folgen. Gleichzeitig ist die Arbeit abwechslungsreich, kooperativ und ganzheitlich, hat also viele attraktive Seiten. Wenn nicht weiter Personal abgebaut wird, wenn nicht noch mehr vorgefertigte Tiefkühlware an die Stelle von selbst hergestellten Produkten tritt. Die gute Atmosphäre bei der Arbeit, das Selbstbewusstsein und der Witz der Küchenleute haben eine gute Basis.M. T.: Wie alt sind Sie, Herr S.?Reinhard S.: Sechsundvierzig.M. T.: Ich dachte, Sie wären ein bisschen jünger.Reinhard S.: Schön!Regina S.: Das ist die Küche.Agnes G.: Ja, das macht die Luft.M. T.: Meinen Sie das wirklich im Ernst?Alle drei: Ja.Reinhard S.: Viele Menschen nehmen Fettcremes, Feuchtigkeitscremes, und wir haben das immer in der Luft.
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