Teurer Jingle

INNOVATIV "Kraftwerk" und das Musikprogramm der Expo 2000

Musik ist eine Sprache, die weltweit verstanden wird", so ist in den Veröffentlichungen zum Kultur- und Ereignisprogramm der Weltausstellung zu lesen. Man könnte geneigt sein, erfreut zuzustimmen, träfe nicht das Gegenteil mindestens ebenso zu: An kaum etwas scheiden sich die Geister so heftig wie an musikalischen Vorlieben. Zwar sind die Grenzen des gegenseitigen Nicht-Verstehens nicht unbedingt die zwischen den Nationen, doch laufen sie kreuz und quer durch die Bevölkerung, spalten Schulklassen, stören nachhaltig den Familienfrieden. So zeigte sich dann auch bereits im Vorfeld der EXPO entsprechender Dissens beim kürzesten der musikalischen Ereignisse, dem wenige Sekunden dauernden Jingle. Viel zu viel Geld für so wenig Musik, und dann klingt sie auch noch nach Blecheimer - so oder ähnlich die Kritik. 400.000 DM sind zweifellos eine Menge; sie wurden gezahlt allerdings auch für die Verwertungsrechte. Wichtiger sind die Musik selbst und ihre Hersteller, die Gruppe Kraftwerk. Denn schon die Entscheidung, den Jingle-Auftrag an diese Gruppe zu geben, ist konzeptioneller, kulturpolitischer Art.

Kraftwerk, das sind die Pioniere der elektronischen Musik in den Siebzigern, die viele Entwicklungen im Bereich der Rock/Popmusik angestoßen und geprägt haben. Teils hierzulande, wie die "Neue Deutsche Welle", aber vor allem im angloamerikanischen Raum: so haben unter anderem Depeche Mode und David Bowie von ihren Experimenten profitiert, die Techno-Musik lässt sich auf die von Kraftwerk rückbeziehen, und auch viele DJs nutzen die Produktionen der Düsseldorfer Gruppe. Beim Publikum steht sie in anderen Ländern, vor allem in den USA und Japan, weit höher im Kurs als in Deutschland. Allzu viel allerdings scheint der Gruppe nicht an Publikumsresonanz gelegen zu sein: seit 1986 hatte sie keine neue Produktion mehr veröffentlicht, und auch in den Live-Auftritten entspricht "Kraftwerk" nicht den üblichen Erwartungen. Fast bewegungslos stehen die Musiker hinter ihren Tonerzeugern - heute sind es Computer - und so war es nur konsequent, dass sie bei zwei gleichzeitig stattfindenden Konzerten in New York und Paris sich selbst durch Roboter-ähnliche Figuren ersetzten.

Diese Gruppe nun ist für die Expo engagiert worden, für den Jingle und für einen Live-Auftritt. Eine respektable Entscheidung in mehrfacher Hinsicht: Kraftwerk ist beziehungsweise war innovativ, ist international anerkannt, kann mit dem Motto der Expo "Mensch-Natur-Technik" in einen Zusammenhang gedacht werden. Vor allem aber: Der Jingle ist in seiner kühlen, klaren Ästhetik gut gelungen, auf jeden Fall erfüllt er seinen Zweck. Für ein Stück Musik, dessen Funktion es ist, in ständiger Wiederholung, in unterschiedlichen Kontexten, über einen langen Zeitraum hinweg omnipräsent zu sein kann ich mir kaum etwas Geeigneteres vorstellen.

Eine weitere prägnante Entscheidung ist die Gründung des Ensembles Modern Orchestra, an der die EXPO beteiligt ist. Es handelt sich um eine Erweiterung des Frankfurter Ensemble Modern, das sich mit der Interpretation zeitgenössischer Werke einen herausragenden Ruf erspielt hat. Auch das Orchester wird sich ausschließlich der Musik des 20. und weiter dann des 21. Jahrhunderts widmen - ein solches Orchester gab es bisher noch nicht. Noch anderes ist ungewöhnlich: das "Ensemble" selbst sucht sich die Kompositionen aus, oder gibt sie in Auftrag und engagiert dazu passende Dirigenten. Das Ensemble Modern Orchestra hat sein Gründungskonzert bereits im letzten Jahr gegeben, mit Werken von Helmut Lachenmann und Heiner Goebbels. Mit letzterem steht die Expo noch in Verhandlung für ein Auftragswerk, das ursprünglich für die Eröffnungsfeier geplant war, nun aber, wenn es denn klappt, erst zum Ende der Weltausstellung uraufgeführt wird.

Kraftwerk, Ensemble Modern Orchestra, Heiner Goebbels - diese Namen, stellvertretend genannt auch für andere, stehen für das innovative Profil des Musikprogramms. Ein Profil, das allerdings in der Fülle der verschiedenartigen Angebote wieder zu verschwinden droht. Aufs Ganze gesehen wäre es jedoch für ein auf kommerziellen Erfolg ausgerichtetes Unternehmen wie die EXPO mit Sicherheit nicht zuträglich, ein allzu klares Profil welcher Art auch immer zu entwickeln. Für jeden und jede muß etwas dabei sein; das zeigt sich schon in den Eröffnungsveranstaltungen, wo das Ensemble Modern Orchestra am nächsten Abend durch Thomas Gottschalk austariert wird.

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