Woher kommt der Hass?

Ordnung oder nicht? Warum Linke mit Esoterikern, Religionen aber auch mit grünen Ideen und Vollwertköstlern so große Probleme haben. Eine Grundsatzdiskussion.

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Eigentlich sieht sich die Linke ja in weiten Teilen als kooperativ an. Solidarität, besonders mit den Armen, Schwachen und gesellschaftlich Ausgegrenzten hat sie sich auf die Fahnen geschrieben.

Die Gesellschaft, so eine der linken Kernbotschaften, soll sich ihre Regeln selbst geben. Alle anderen, die meinen, es gäbe eine irgendwie natürliche Form von Regeln, denen die Gesellschaft zu folgen habe und die Menschen ein- und unterteilt, haben mehr oder weniger einen einzigen Hintergrund, sie sollen bereits etablierte Herrschaftsstrukturen weiterhin festschreiben und zementieren. Aus linker Sicht.

Denn, so die Logik, wer heute davon profitiert, dass er gesellschaftlich 'oben' ist, wird davon natürlich nicht ablassen wollen, warum auch? Da er das aber nicht so offen und ehrlich tun möchte, wird zu einem Ersatzsystem gegriffen, dem einer naturgegebenen Ordnung, die nicht geändert werden kann und die daher auch nicht zu hinterfragen ist. Weil die Natur es so 'gewollt' oder zumindest eingerichtet hat.

Das reicht eigentlich schon als Voraussetzung, ich komme drauf zurück.

Das Knacken der Politbarriere?

Unsere Zeit ist einerseits hochpolitisiert und andererseits hochaggressiv. Der Traum vieler ist wahr, alles ist politisch. Jedes Essen, jede Reise, jedes Hobby, wie ich mich fortbewege oder schreibe, alles ist ein politisches Statement. Manche scheinen das gut zu finden, andere überflüssig, ideologisch aufgeladen und diskurshemmend.

Gibt es denn, nachdem man zu wissen glaubt, was einen so trennt, eigentlich nichts was die Lager, nennen wir sie mal links und rechts, irgendwie einigen könnte?

Doch klar, gibt es und es ist seit längerer Zeit bekannt: Die Extreme berühren sich. Linke und rechte (und wie einige sagen, auch religiöse) Extremisten, die irgendwie maximal weit von einander entfernt sein sollten, finden spielend zueinander. Vereint im gemeinsamen Hass. Neudeutsch Querfront genannt. Kurz erläutert, was ich damit meine:

Wenn Menschen, die ideologischen Systemen anhängen, die sich an sich ausschließen und ansonsten bekämpfen, plötzlich zu einander finden, vereint im Hass auf einen gemeinsamen, realen oder phantasierten (meistens von beidem etwas) Feind. Oder das vernetzte Konglomerat des Feindes.

Diese sind üblicherweise: Die Finanzelite, in Gestalt dubioser Strukturen, in der Wirtschaft und Politik verflochten sind, ob als Bilderberger, mächtige Familien, verschworene Gemeinschaft und Geheimbünde. Als die Amis, das Weltjudentum, die immer auch die Presse und die Massenmedien kontrollieren und die Masse verführen und betäuben, wenn nicht offen, so doch subtil.

Manche glauben sie klar zu erkennen, andere leugnen die Existenz einer Querfront, die für die einen ein fiktionales rechtes Narrativ ist, für andere eine Realität, der von Faschisten initiierten und durchsetzten Strukturen. Was nun stimmt, liegt im Auge des Betrachters, die Moral von der Geschicht' ist für mich:

Überideologische oder -politische Koalitionen sind möglich, wenngleich ich selbst einwenden würde, dass es sich hier eigentlich um unter- oder vorideologische Formen handelt. Wut, Empörung, Hass und eine Lust daran, sie zu agieren, als verbindender Affekt. Dünn gerechtfertigt durch eine Opfer- und Empörungs-Ideologie.

Die Frage für mich lautet, kann man die Politbarriere auch nach oben knacken? Gibt es postideologische Möglichkeiten der Einigung?

Wann Linke an die Decke gehen

Zurück zum Anfang. Was lässt Linke explodieren? Warum hassen sie harmlose Körnerkauer, die doch eigentlich tief im Innern ein friedliches Miteinander wünschen? Vielleicht etwas naiv verträumt, aber doch lieb und angekitscht, in allen Menschen Brüder und Schwestern sehend.

Oft wird das irgendwie historisch versucht herzuleiten. Heimliche Koalitionen, braune Wurzeln und keiner sieht sie. Die Reformszene, die Anthros, die Geisterseher- und Stühlerücker, die Romantiker alle irgendwie tief braun, nur entweder gestehen sie sich das nicht ein oder mehr noch, sie erkennen es gar nicht.

Der historische Rückbezug ist jedoch m.E. bereits ein unnötiger Kunstgriff (zumal sich in 150 Jahren ja durchaus auch etwas geändert haben kann), denn im Kern geht es um etwas anderes. Um den – vermeintlich oder tatsächlich – antiaufklärerischen und fortschrittsfeindlichen Charakter von eso, öko, Gesundheitsaposteln und den Religionen.

Möglich ist das, weil man sich selbst in folgende Kette einreiht:

Leistung, Fortschritt, Wachstum, Wissenschaft und Technik, Moderne, Humanismus, Fleiß, Vernunft und Differenzierung, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat.

Damit können sich viele Linke identifizieren, ausgenommen das Wachstum. Daraus ergibt sich ein Teil meiner Kritik:

Die Kette dieser Begriffe ist selbst nicht rational, sondern wird rein assoziativ zusammen gehalten. D.h. man spürt so etwas wie eine innere Verbindung der Begriffe (philosophisch umschließt 'Begriff' die Kenntnis um die situationsadäquate Praxis und meint also nicht nur die Aneinanderreihung von Buchstaben), aber diese Verbindung ist rein der Gewohnheit geschuldet und rational nicht haltbar. Damit ist sie selbst nicht der Vernunft und Aufklärung genügend, kritisiert aber genau das auf der anderen Seite.

Denn der eigentliche Affront den Rechte und Faschisten, ebenso wie Naturköstler und Wassertreter, Ökoholisten, aber auch Esoteriker, religiöse Menschen, sowie auch Naturheilkundler und Ganzheitsmediziner begehen, ist, dass sie sich alle auf eine (eventuell karmisch oder göttlich vorgeprägte) Ordnung der Natur beziehen.

Die Natur hat es dann, gemäß dieser Ansicht, so und so eingerichtet (oder eben ihr Schöpfer) und daran lässt sich nun mal nichts ändern, so ist es eben. Das steht quer zu der linken Idee, dass der Mensch dazu aufgerufen ist, sich seine Ordnung und Gesetze selbst zu geben.

Zugespitzt stehen also die Auffassungen gegen einander, dass sich auf der einen Seite alles auf eine große Ordnung im Hintergrund bezieht, seien es Gottes Gesetze, oder die weise natürliche Ordnung von Gaia oder Mutter Natur, dem Karma oder eben dem Kosmos, der oder das jeden an den richtigen Platz gestellt hat. Nein, es gibt überhaupt keine Ordnungen in oder aus der Natur (oder eines Schöpfers, der ohnehin nur Projektion ist) an die man sich zu halten hat, das macht der Mensch/die Gesellschaft/die Gemeinschaft alles mit sich selbst aus, allenfalls hat man sich im Rahmen der Vernunft der Einsicht in die Notwendigkeiten zu beugen (wir können nicht qua Wunsch die Schwerkraft abstellen), aber das ist dann eine Reflexionsleistung des Menschen, mit der es gelingt, die zwar natürlichen, aber von keiner höheren Macht oder tieferen Intelligenz geprägten Gesetzmäßigkeiten (Regularitäten) zu erkennen.

Gibt es eine Fusion, die uns weiter bringt? Ein letzter, aber wichtiger Schlenker

Esoteriker, religiös Gläubige, einige Psychosomatik- und Ökotheoretiker sehen das anders. Für sie ist die Natur, ist der Kosmos im Ganzen intelligent und wir sind aufgefordert und sollen in der Lage sein, mit ihm, nicht nur metaphorisch, sondern in einem tieferen Sinne direkt zu kommunizieren. Weil er lebt und denkt und alles irgendwie verknüpft ist.

Für Linke und Naturalisten (das Denkgebäude hinter den Naturwissenschaften) ist das ein fundamentaler Irrtum, denn intelligent ist allein der Mensch (vielleicht noch einige höhere Tiere) aber sonst auch nichts und niemand. Die Einheit der Natur oder des Kosmos und ihre scheinbar so präzisen Gleichgewichtssysteme sind kein Ergebnis einer sensationell genauen Feinabstimmung (die nur ein Gott oder weise Kraft vollbringen kann), sondern einfach eine Mischung aus Zufall und stabilen Gleichgewichtssystemen, die sich ab einem bestimmten Stadium selbst reproduzieren und erhalten. Sieht intelligent aus, ist aber reine Systemtheorie.

So ganz klar ist die Trennlinie nicht. Freud spielt verwirrender Weise in beiden Lagern, mancher Dialog mit der ehernen Ordnung ist eher metaphorisch gemeint, das nimmt Schärfe und Wutpotential, andere sind ziemlich wörtlich gemeint. Man könnte an manchen modern-linken Bewegungen kritisieren, dass sie nahezu jede Ordnung auflösen wollen und dabei den Bogen überspannen und den Glauben an die kulturelle Überformbarkeit der Natur dabei überstrapazieren.

Die Ganzheitsbewegungen dieser und jener Art bringen m.E. einen wichtigen Aspekt ein, den man vermutlich aber gut in eine Vision oder Utopie der Zukunft einbauen kann: Das Element der Verschmelzung oder Einheit. Ihre Botschaft ist radikal und einfach: Es gibt nichts, was groß zu verbessern wäre. Du bist immer schon am richtigen Ort. Das hört man mehr oder weniger deutlich, doch immer schimmert es wenigstens durch. Etwa, wenn der Mensch sich endlich bescheiden und in die Ordnung der Natur wieder demütig einfügen soll, statt diese – als einziges Tier – zu (zer)stören. Aus linker Sicht gibt es jede Menge auf der Welt zu ändern, keine intelligente Ordnung und allein Fortschritt und Vernunft können es richten, die Welt schrittweise immer besser zu machen, wenn irrationale und reaktionäre Kräfte dies nicht sabotieren.

Darum ist so ein scheinbares Großverbrechen, wenn jemand Sulfur C 30 Globuli einnimmt. Für die einen, wird ein antrainiertes Feindbild aktiviert, man weiß auch nicht so genau warum, aber in dieser Begriffsreihe

Leistung, Fortschritt, Wachstum, Wissenschaft und Technik, Moderne, Humanismus, Fleiß, Vernunft und Differenzierung, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat

findet man sich irgendwie wieder. Man höhnt und fragt spottend, wie dumm und irrational man eigentlich heute noch sein kann. Für diejenigen, die etwas weiter sind, wird hier der Rekurs auf die Ordnung dahinter sichtbar.

Aber warum hält sich dieser Rekurs auf die Einheit und die Möglichkeit der Verschmelzung eigentlich so hartnäckig, wenn es nur vorsinnflutlicher Unsinn ist? Weil es keiner ist. Erlebnisse von der Einheit und Verschmelzung sind real, waren früher und sind heute erlebbar und es gibt ganz verschiedene Zugänge zu ihnen. Es gibt die Möglichkeit über Sex, Drogen und Erfahrungen in der Masse (im Stadion, Konzert, religiöser Zusammenkunft, Ritual und Party – aber eben auch im Krieg, der Entscheidungsschlacht und dem Empfinden Teil einer Schicksalsgemeinschaft zu sein) diese Einheit, dieses Gefühl der Verschmelzung zu erleben, aber eben auch über Meditationen und andere spirituelle Übungen, die in dem Sinne privat stattfinden können, sogar durch einen radikalen Rückzug aus der Gesellschaft, etwa wenn man sich in die Natur zurückzieht und zutiefst beeindruckt ist. Und bis auf eher wenige Ausnahmen ist es eigentlich egal, welchen Zugang zu dieser Empfindung man wählt: Sie fühlt sich so gut wie immer großartig an.

Der Weg dahin? Er ist oft diametral anders, als der der Verbesserung durch Vernunft und steten Fortschritt. Lass dich fallen, ankommen, räum' aus dem Weg, was dich hemmt und dir die Sicht versperrt, lass los, du bist längst da. Ich glaube, wir können die Realität dieser Erfahrungen schlecht bestreiten und überdies auf ihre Qualität schlecht verzichten. Ich denke, es ist der Funktionalismus, der alles zu Tode optimieren will und die Existenz von Sinn und Wert, sowie Tiefe und Qualität leugnet und einebnet. Wo Schnelligkeit und Effizienz regieren, da haben Einheitserfahrungen, Überwältigungen und alles was einen erst mal umhaut keinen Platz. Zur Not wird es irgendwie optimiert und eingebaut, damit man auf lange Sicht noch besser funktioniert.

Let's talk about it.

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Diese Diskussion war und ist als Begleitung zu einer dreiteiligen Artikelfolge gedacht gewesen, die Ideen waren damals schon weitreichend fertig, nur die Artikel nicht alle.

In Die falsch erzählten Geschichten der großartigsten Empfindungen – Verschmelzungen und Einheitserfahrungen (1)

wird dargestellt, dass Verschmelzungen und Einheitserfahrungen wunderbare Erfahrungen sind, die wir alle suchen und oft genießen können, sie sind das, was uns den Alltag erträglich werden lässt, dennoch sind sie bei uns tendenziell entwertet oder gelten als irgendwie zweitrangig oder nachgeordnet, nicht als das, worum es im Leben geht.

In Die politisch-ideologische Fehldeutung – Verschmelzungen und Einheitserfahrungen (2)

ist die größte Annäherung an das Thema zu finden und es geht um eine nähere Begründung der im Freitag darstellten Thesen.

Schließlich ist Das Ende der Geschichte 2.0 – Verschmelzungen und Einheitserfahrungen (3)

als Abschluss und Möglichkeit der Anregung gedacht, wie man Verschmelzungen und Einheitserfahrungen so ins private und gesellschaftliche Leben einbauen kann, dass sie eher dienen als schaden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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