Die Mär der Innovation durch Wettbewerb

Ideologie Wettbewerb sei die Ursache für Innovation. Doch kann das überhaupt durch Beobachtungen unterstützt werden oder handelt es sich nur um einen bequemen Trugschluss?

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Wir wuchsen alle mit dem Dogma auf, dass die menschliche Innovationskraft erst durch den Wettbewerb entfesselt wird. In praktisch jedem Interview mit einem Ökonomen wird man daran erinnert. Doch stimmt das überhaupt? Kann man diesen trivialen Zusammenhang überhaupt beobachten? Hierzu müssen wir kurz eine Perspektive mit mehr Abstand einnehmen.

Was haben Penicillin und die allgemeine Relativitätstheorie gemeinsam? Beide wurden entwickelt, weil ihre Erfinder davon überzeugt waren das Richtige zu tun. Was haben Fake News und der Niedriglohnsektor gemeinsam? Beide sind durch Wettbewerb enstanden. Gehen wir mal kurz in uns und denken ernsthaft darüber nach. Wer steht bei diesen beiden Beispielen überhaupt im Wettbewerb? Und warum?

Fake News entstehen schlicht aus der Weiterführung der Tendenz, dass Schlagzeilen die "mehr nach Skandal riechen" mit höheren Klickzahlen belohnt werden. Es wird also um die Aufmerksamkeit in der Medienlandschaft gekämpft. Der Niedriglohnsektor ist voll von Wettbewerb. Die Arbeitskraft wird verkauft von Menschen, die im Wettbewerb zueinander stehen. Die Konzerne stehen selbstverständlich im Wettbewerb mit ihren Konkurrenten. Länder wie Deutschland gewinnen den Wettbewerb gegen andere Mitglieder der EU.

Es scheint fast so als würde hinter dem Dogma des Wettbewerbs und seiner angeblichen Innovationskraft ein Trugschluss stecken. Eine alternative Formulierung könnte lauten: Was oft grundsätzlich Innovation genannt wird, sollte eigentlich Marketing bzw. Profitmaximierung heißen. Noch ein paar Beispiele gefällig? Das Smartphone wird oft als die Innovation schlechthin ins Feld geführt. Doch wo genau ist der Fortschritt? Handelt es sich nicht vielmehr um ein Tool der kapitalistischen Verwertungslogik, jeden noch so kleinen Augenblick für Kapitalinteressen zu begeistern? Ist es nicht bereits langläufig bekannt, dass die mangelnde Konzentrationsfähigkeit und Kreativität, Überwachungskapitalismus und massive Datenschutzprobleme gegen den Komfort des Konsumenten aufgewogen werden?

Aber woher kommt eigentlich der Irrglaube, es handle sich beim Smartphone um Innovation? Richtig, das war geniales Marketing! Der Herr mit dem Rollkragenpulli war schließlich Sinnbild für diesen Zeitgeist.

Wenn nun also Wettbewerb nichts mit echtem Fortschritt zu tun hat, was verursacht den Fortschritt dann eigentlich? Die Antwort ist schlicht: der menschliche Intellekt. Leute, die die notwendigen Kapazitäten haben ihrer Leidenschaft nachzugehen, erzeugen diesen Fortschritt aus eigenem Antrieb. Oder meinen Sie, dass Einstein den Photoeffekt aus Profitgier oder Konkurrenzdruck entdeckt hat?

Kausalität: Gewittert es im Sommer, so wird die zuvor draußen aufgehängte Wäsche nass.

"Logisch!", sagen Sie!

Korrelation: Gewittert es im Sommer, so wird die Milch sauer.

"Moment! ", sagen Sie! Diese Bauernregel hat doch einen wahren Kern, oder? Ja, aber sie beruht auf dem Zusammenhang, dass Sommergewitter schlicht bei höheren Temperaturen auftreten und die Milchsäurebakterien sich dort schneller vermehren können. Dieser Effekt wurde vorallem zu einer Zeit beobachtet als es noch keine Kühlschränke gab.

Unter diesem Licht scheint es fast so, als würde es sich mit unserem Wettbewerbsdogma wie mit einer klassischen Bauernregel verhalten. Die Ideologen der freien Märkte und Konkurrenz scheinen schlicht und einfach Korrelation mit Kausalität zu verwechseln. Die Menschen sind aus sich heraus kreativ und daran interessiert Dinge zu verbessern. Der Kapitalismus nimmt sich einfach das Recht heraus diese Kreativität zu kommodifizieren! Und nicht nur das. Viele Ökonomen reden sogar davon, dass erst durch den Kapitalismus der Wohlstand und der Fortschritt möglich wurden. Doch dass diese Korrelation auch eine Kausalität ist darf angezweifelt werden. Es ist schlicht eine funktionierende Strategie die Erfolgsgeschichte des menschlichen Intellekts einem System anzurechnen das allumfassend ist.

"Moment!", sagen Sie! Not macht doch erfinderisch. In der Tat können durch äußere Einschränkungen alternative Problemlösung stimuliert werden, doch handelt es sich nicht vielmehr um eine bloße Beschneidung der sonst freien Entfaltung der menschlichen Leidenschaft für bestimmte Themen? Wenn Künstler gezwungen sind ihre Stücke kurz zu fassen, dann kann doch auch daraus ein interessantes Genre entstehen. Wenn Leute keinen Überfluss an Ressourcen haben, sind sie gezwungen sparsame Lösungen für ihre Probleme zu finden.

Ja, das kann man tatsächlich beobachten. Und ist dann der durch Wettbewerb induzierte Druck nicht genau so ein Anreiz für Innovation? In den meisten Fällen wohl eher nicht. Er ist eher ein Anreiz zu schummeln und durch Tricks mehr aus dem eigenen Produkt zu machen als es eigentlich ist.

Wie war das nochmal mit großartigen Liedern? Echte Kunst ist heutzutage nicht mehr radiotauglich! Songwriter haben sich dem Wettbewerb zu beugen und bitte unter drei Minuten zu bleiben. Es scheint fast so, als würde sich wie in jedem Markt irgendwann eine Sättigung einstellen und der Wettbewerb zwingt die Teilnehmer die Qualität ihres Outputs zu reduzieren. Klar, Freddie Mercury hat großartige Kunst und Popmusik kreiert. Doch diese Zeit kann man leicht mit dem Boom der dazugehörigen Medienindustrie in Verbindung bringen. Die Tendenz, dass Produkte mit der Zeit so verändert werden, ihren Konsumenten so wenig wie möglich negatives Feedback zu geben, hat einen Namen: Kasualisierung. Dieses YouTube Video (Achtung: informelle Sprache!) versucht den Sachverhalt so zu erläutern: Konsumenten neigen zur leichter verdaulichen Kost. Ist der Anspruch des Films zu hoch oder macht der Artikel den Leser eventuell auf eigene Schwächen aufmerksam, so wird der Leser eher dazu neigen, den Konsum eben jenes Produkts zu reduzieren, das ihm negatives Feedback entgegen bringt. Beginnt man nun seine Produkte zu kasualisieren, kann man immer beobachten, dass die Qualität stetig dabei abnimmt. Man möchte meinen, es handelt sich um das Gegenteil von Fortschritt! Oder wie die Partei DIE PARTEI bereits treffend skandierte: Inhalte überwinden!

Übrigens, der Coronaimpfstoff und die nicht erfolgreiche Immunisierung der Weltbevölkerung ist auf so ziemlich jeder Ebene durch den Wettbewerb zu erklären. Die Forschungsunternehmen standen im Wettbewerb, konnten somit schlechter Forschungsergebnisse austauschen. Die jetzigen Lizenzinhaber weigern sich schlichtweg die Produktion in der dritten Welt durch Drittanbieter zuzulassen. Nicht zuletzt, das Phänomen der "Querdenker" ist ein direktes Resultat der sogenannten sozialen Netzwerke und dem Wettbewerb um die Aufmerksamkeit ihrer Nutzer.

Denken Sie an diesen Artikel, wenn Ihnen das nächste mal ein Ökonom oder Politiker etwas über Innovationskraft erzählen will. Was meist mit Fortschritt bezeichnet wird, ist eher sogenannter Fortschritt. Sprich: eine Verminderung von Fortschritt. Als Alternative steht auch dieses 4-minütige Video zur Verfügung (Achtung: informelle Sprache!).

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Geschrieben von

morf mit Meinung

Dr.-Ing. & Dipl.-Phys. morf. Akademisch, aber ohne je Marx gelesen zu haben. Ein Nerd mit alternativen Perspektiven die zu ähnlichen Schlüssen führen.

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