Befreien Sie Afrika!

Medientagebuch Das Kleine Fernsehspiel im ZDF

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger«, wer erinnert sich noch an die legendären Worte Heinrich Lübkes auf einer seiner zahlreichen Afrikareisen. Die Wahrnehmung des Fremden bereitete nicht nur dem ehemaligen Bundespräsidenten Schwierigkeiten, selbst der philanthropische Albert Schweitzer prägte für das Verhältnis zwischen Schwarzen und Weißen den Ausspruch: »Ich bin dein Bruder; aber dein älterer Bruder.«

Diese Voreingenommenheit hat eine lange Tradition. Die Betrachtung indigener Gesellschaften als per se irrational findet sich bereits in den Zeugnissen der Kolonialzeit. Der Mythos des Fremden in der westlich-europäischen Kultur findet sich als ein Vorläufer der Stereotype vom »schwarzen Kannibalen« oder »wilden Eingeborenen« bereits im mittelalterlichen Bild des »wilden Mannes«.

Zu nachtschlafender Zeit macht es sich nun »Das Kleine Fernsehspiel« im ZDF zur Aufgabe, in einer dreiteiligen Reihe der Frage nachzugehen, woraus sich heute unsere Bilder vom »Schwarzen Kontinent« speisen. Den Auftakt bildet Martin Baers Filmcollage Befreien Sie Afrika!: Der deutsche Blick auf Afrika, ein interessantes Phänomen, denkt sich der Berliner Filmemacher und sammelt in pingeliger Recherche alles, was ihm dazu einfällt. Auf diese Weise sind über 500 Ausschnitte zusammengekommen aus Spielfilmen, Reportagen, Dokumentationen, Comics, Werbefilmen, Musikvideos und - wie der Dokumentarfilmer betont - »darunter bisher nie gesehenes Material aus ost- und westdeutschen Archiven«. Der untersuchte Zeitraum der deutsch-afrikanischen Beziehungen reicht vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Kriegsveteranen, Legionäre und Offiziere erzählen in Interviews von ihren Afrika-Erlebnissen, deutsche Staatsoberhäupter - Lübke und Honecker - kommen zu Wort. Fehlen dürfen weder der »Wüstenfuchs« Rommel mit seinem Afrika-Corps und die alten Spielfilmausschnitte mit Hans Albers (Carl Peters), noch Heinz Rühmann (Quax in Afrika) in bedrückend deutscher Kolonialherrenmanier, noch Roberto Blanco, der schließlich schon in den sogenannten »Aufarbeitungsfilmen« der fünfziger Jahre zum deutschen »Vorzeigeneger« (Der Stern von Afrika) gemacht wurde - und in dieser Rolle heute immer noch durch deutsche Fernsehshows tanzt.

»Fröhliche Menschen, die noch nicht wissen, daß sie arbeiten müssen, um Geld zu verdienen«, heißt es in einer Dokumentation über Entwicklungshilfe aus den sechziger Jahren. In den Abenteuer- und Söldnerfilmen der siebziger Jahre hingegen ist die Rede vom Befreiungskampf, der Errettung der westlichen Freiheit in den vom Umsturz bedrohten afrikanischen Ländern. In der Söldnersprache heißt das: »Laßt uns die Idioten retten, bevor sie gebraten werden.«

In Zeiten des Kalten Krieges hatte Afrika vor allem geopolitisch-strategische Bedeutung: den »Primitiven« wurde deshalb mit Waffenlieferungen - in Westdeutschland als »Ausrüstungshilfe«, in Ostdeutschland als »internationale Solidarität im bewaffneten Kampf« deklariert - unter die Arme gegriffen.

Martin Baer montiert die Ausschnitte zu einem erdrückenden Bild der Vorurteile und Zuschreibungen. Die Klischees und Stereotype liegen offen zu Tage, insofern ist der Verzicht auf jeglichen Off-Kommentar, Zwischentitel und belehrenden Habitus nur konsequent.

Abgeleitet ist der Titel Befreien Sie Afrika! von einem militärisch-strategischen Gesellschaftspiel: »Erobern Sie Afrika«, so lautete noch in den siebziger Jahren die Aufforderung bei »Risiko«. Das Ziel in dem seinerzeit in Deutschland sehr beliebten Brettspiel war es, »Kontinente und die Welt zu erobern sowie die Gegner zu schlagen. Sieger ist, wer zuerst die Weltherrschaft erringt.«

»Befreien Sie Afrika«, die Zeiten ändern sich, auch »Risiko«. Seit den neunziger Jahren ist das Spielziel weitgehend entkolonisiert, der Befreiungskampf hat auch in der Spieleindustrie Einzug gehalten. »Kontinente von Besatzungsarmeen zu befreien und in die Unabhängigkeit zu führen«, das scheint allemal zeitgemäßer. Die Spielanordnung und Ausführung hat sich indes nicht geändert.

Der Einfluß des Afrika-Bildes auf »politische Haltungen und Handlungen« ist offensichtlich: Die Bilder vom »Schwarzen Kontinent« sind weniger davon geprägt, was die Deutschen tatsächlich vorgefunden haben, sondern vielmehr davon, was sie sich unter Afrika vorgestellt haben und was sich in populären Mythen festgesetzt hat. Der ungebrochene Rückgriff auf die Stereotypie der »Kolonial-Ethnologie« ist kaum zu übersehen: Nicht ohne Grund geistern die Bilder vom »schwarzen Kannibalen«, »Buschmann« und »Menschenfresser« durch die zahllosen Ausschnitte. Die »afrikanische Identität« ist eine europäische Erfindung, eigentlich haben, so schreibt der in Ghana geborene Philosoph Kwame Anthony Appiah, »erst die afrikanischen Nationalisten den westlichen Bildern von Afrika tatsächlich Leben eingehaucht.«

Befreien Sie Afrika, so Martin Baer, will die »Wechselwirkung von Politik und Populärmythen« entlarven. Ein ehrgeiziges Projekt, keine Frage. Daß dem Filmemacher dabei manchmal die dramaturgischen Mittel entgleiten, gerade die erste Etappe - das Afrikakorps im Zweiten Weltkrieg - an Überlänge leidet, ist weniger erfreulich: Einem Parforceritt gleich werden in kürzester Zeit über 500 Schnipsel und Einwürfe auf die Zuschauer losgelassen. Den deutsch-afrikanischen Beziehungen der letzten 50 Jahre hätten, um dem Vorwurf der Beliebigkeit zu entgehen, weniger Aufzählungen und Aneinanderreihungen gutgetan.

Befreien Sie Afrika!, Montag, 1. Februar 1999, 23.55 Uhr

Rostov - Luanda, Montag, 8. Februar 1999, 0.05 Uhr

Die Macht der Wörter, Montag, 22. Februar 1999, 0.05 Uhr

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