Es war der Oktober 2015 und eine Zäsur für die Linken. Der Reformer und Rockstar der Partei, Gregor Gysi, zieht sich in die hinteren Reihen zurück. Verärgerung und Verwunderung die Folge, einige linke Reformer enttäuscht. Wer hier ein Déjà-vu-Erlebnis hat, liegt nicht ganz falsch.
Auf den allerersten Blick verbindet den Linken Gregor Gysi und den Grünen Cem Özdemir nicht viel. Özdemir der Sohn türkischer Einwanderer und gelernter Erzieher, Gysi Anwalt und aufgewachsen in der DDR. Auf den zweiten Blick zeigen sich doch parallelen auf: Beide sind Reformer, gelten als äußerst charismatisch, sind brilliante Redner, über Parteigrenzen hinaus beliebt und richtungsweisend in ihrer Partei.
Und: Beide verlassen Spitzenpositionen ihrer Partei, wenn ihre Beliebtheit Spitzenwerte erreicht.
Doch heisst das für Gregor Gysi lange nicht, dass er sich seitdem aus der Politik, geschweige denn der Öffentlichkeit, heraushält. Mit „Missverstehen Sie mich richtig“ hat Gysi eine eigene Show, gibt regelmäßig Interviews und mischt sich in Parteiinterne Debatten ein. Kurzum: Er ist selbst ohne großen Posten unersetzlich. Seine Ideen, sein Charisma, seine Bekanntheit werden gebraucht. Ähnliches kann man sich bei Özdemir vorstellen.
Zugegeben: Özdemir ist noch deutlich jünger als Gysi und wird seine politische Karriere nicht mit seinen 52 Jahren beenden. Muss er aber auch gar nicht. Die Möglichkeiten bei den Grünen sind vielfältiger denn je. Ein Blick nach Özdemirs Heimat Baden-Württemberg reicht aus. Dort hat es die Partei geschafft, dem CDU-Stammland den Ministerpräsidenten abzujagen und erfolgreich und mit hohen Zufriedenheitswerten Politik für das Land zu machen. Und Ministerpräsident Winfried Kretschmann wird – so erfolgreich er aktuell ist – nicht auf Ewig Ministerpräsident bleiben.
Doch erklärte Özdemir, erstmal im Bund bleiben zu wollen. Als Hinterbänkler kann man sich Özdemir jedoch nur äußerst schwer im Bundestag vorstellen. Fraglich ist, ob das letzte Wort hier schon gesprochen ist.
Im Wahlkampf haben die Grünen und Cem Özdemir für das Programm "Zukunft wird aus Mut gemacht" geworben. Es täte Ihnen gut, sich daran zu erinnern.
Offenlegung: Der Autor ist Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen, jedoch ohne Mandat.
Kommentare 2
Nun, die Grünen haben die CDU hervorragend ersetzt. Man bemerkt kaum einen Unterschied. Daher ist selbst unter CDU Anhängern die Zustimmung groß. Auch bei Stuttgart 21 singen, wie man hört, nicht wenige "Wer hat uns verraten..." und diesmal ist nicht die SPD gemeint.
Insofern ist anscheinend in diesem Bundesland alles wie gehabt. Daher war die Angst vor den Grünen unbegründet.
Nuja – und was will uns der Artikel mit dem Artikel sagen? Dass Rockstars rocken?
In Wirklichkeit hat Özdemir eine peinliche Nummer hinter sich gebracht und die grüne Anbiederung an den bürgerlichen Mainstream auf die Spitze getrieben. Hat, dank seinem Duz-Freund Lindner, nicht geklappt. Jetzt schmollt er eben eine Weile – als sei nicht er die Gurke, sondern die Partei habe es vergurkt.
Ob die Platte Gysi noch so rockt wie vor 20 Jahren, sei einmal dahingestellt. Ich persönlich würde sagen: gut abgehangener Kuschelrock. Will heißen: Sicher gibt’s Schlimmeres. Aber die Innovationen finden heute woanders statt – politisch beispielsweise bei Parteien wie Podemos.
Ansonsten: Ob der Gysi wegen dem kuscheligen Artikel hier zu den Grünen rüberwechselt, wage ich zu bezweifeln. Zuzuraten wäre ihm ebenfalls nicht unbedingt. Bei der Linkspartei mag zwar auch der ein oder die andere mit den Bürgerlichen kuscheln wollen. Die Grünen sind in dem Metier jedoch eine GANZ andere Liga ;-).