Arbeit auf dem sinkenden Schiff

EIN LANGER ABSCHIED Das Bochumer Schauspielhaus nähert sich dem Ende der Ära Haußmann

Ich bin nicht wehleidig", ruft Leander Haußmann. Und leidet. Er rauft sich die Haare, verbirgt sein Gesicht in seinen Armen, die er auf dem Tisch verschränkt hat. Ansonsten rechnet er mit der deutschen Theaterwelt ab: "Ich gehe, weil innerhalb dieser Theater nur noch Idioten und Arschlöcher rumlaufen." An den entscheidenden Positionen jedenfalls. Daran seien die Fehlentscheidungen inkompetenter Kulturpolitiker schuld. Und die hätte wiederum das missgünstige Feuilleton mitzuverantworten, weil in den Verwaltungen ohnehin nur anhand des Pressespiegels entschieden werde.

Haußmanns Auftritt bei einer Podiumsdiskussion, zu der das NRW-Kultursekretariat eingeladen hatte, ließ keinen Zweifel: Der Bochumer Intendant hat die Nase voll. Wenn sein Vertrag Ende dieser Spielzeit ausläuft, will er mit dem Theatermachen erstmal aufhören, sich mit etwas anderem beschäftigen - mit Kino vielleicht. Die Arbeit an seinem Ost-Erinnerungsfilm Sonnenallee muß wohl dankbarer gewesen sein als der Intendantenjob.

In der Tat hat die Bochumer Stadtverwaltung Haußmann recht unhöflich abserviert. Die Kritik hat ihn erst emporgehoben und dann schnell fallenlassen. Als Matthias Hartmann zu Haußmanns Nachfolger bestimmt wurde, jubelten manche Kritiker, endlich lohne es sich wieder, zu Bochumer Premieren anzureisen. Zu allem Überfluss macht sich jetzt auch das Publikum rar. Bei der Podiumsdiskussion fragte Haußmann als erstes in den gut gefüllten Zuschauerraum der Bochumer Kammerspiele: "Warum kommen Sie denn nicht zu Vorstellungen so zahlreich?"

Das schlägt auf die Stimmung. Auch Haußmanns jüngste Inszenierungen waren seltsam gedämpft. Die Uraufführung von Edward Bonds Verbrechen des 21. Jahrhunderts am Ende der vergangenen Spielzeit fiel respektvoll aus, fast zu brav. Haarklein hat Haußmann den Text umgesetzt. Von der gewohnten Kalauer- und Destruktionslust keine Spur.

Mit skandinavischer Schwermut, Ibsens John Gabriel Borkmann, fing der Intendant dann die aktuelle Saison an. Wieder ist Leander Haußmann sehr pfleglich mit dem Text umgegangen, hat seinen Schauspielern Zeit für lange, gewichtige Dialoge gegeben. Nur selten, geradezu zurückhaltend wurde zwischendurch gewürgt und "Scheiße" geschrieen. Nicht besonders mitreißend das Ganze, aber schön trist.

Trotzdem wiederholte ein Kritiker den bekannten Vorwurf, Haußmann benutze kanonische Autoren nur dazu, sie lächerlich zu machen und sein Spaßtheater anzuheizen. Da muss man den charmanten Intendanten doch mal bemitleiden. Dass er paranoid sei, hieße noch lange nicht, dass man ihn nicht verfolge, hat er kürzlich in einem Interview gesagt.

Aber auf der anderen Seite hat er treue Mitstreiter. "Mir ist niemand weggelaufen", hat er bei der Podiumsdiskussion stolz erklärt. Zwei seiner Weggefährten haben gerade wieder zugepackt, damit das Schauspielhaus in dieser letzten Spielzeit nicht wegdöst. Zuletzt hatten Jürgen Kruses Inszenierung von Shakespeares Sturm und Goethes Stella unter der Regie von Uwe Dag Berlin Premiere.

Letzterer hatte die Produktion kurzfristig von Armin Holz übernommen. Da war wohl keine Zeit mehr für große Umschweife. Jedenfalls ist seine Stella eine knappe, klare Angelegenheit. Fast erschrickt man, wenn auf der Bühne das Licht angeht, so karg und weiß ist der Kasten, den Annette Murschetz in die Kammerspiele gebaut hat. Das Gegenteil der gemütlichen Gerümpelbühnen, die da in letzter Zeit oft zu sehen waren.

Ebenso sparsam ist die Besetzung. Abgesehen von der Postmeisterin (Henriette Thimig), bleiben nur die zentralen Personen: Stella (Steffi Kühnert), ihr geliebter Fernando (Horst Kotterba), seine Frau Cäcilie (Friederike Kammer) und seine Tochter Lucie (Susanne Weber).

Grell heben sich die drei Frauen, die alle, auch die Tochter, den knackigen Fernando begehren, vom weißen Hintergrund ab. Ihre Kostüme (Claudia Skoda) sind pink und orange wie vom Barbie-Ausstatter, von dem sie auch ihre Liebe beziehen. Über ihre überschwenglichen Schwärmereien müssen sie selbst manchmal lachen, aber sie spulen sie gnadenlos ab. Mit präzisen Bewegungen kreisen sie Fernando ein, der von der Situation sichtlich überfordert ist.

Nach nicht einmal zwei Stunden hat das Drama ein Ende - ein harmloses: Berlin hat nicht die bürgerliche, sondern Goethes stürmische Jugendvariante inszeniert. Statt in Selbstmorden mündet die Begegnung der Rivalinnen im Entschluß, sich den Mann zu teilen. Überrumpelt steht Fernando da, von den frohlockenden Frauen umschwirrt und geherzt.

Auf dem Weg zum Ende war Stella die kleine nette Überraschung zwischendurch. Schlank und geradlinig konstruiert, wie man in letzter Zeit selten etwas in Bochum gesehen hat. Jürgen Kruse hingegen servierte die volle Dröhnung aus seinem vertrauten Drogenschrank. Wenn sich der Vorhang zum Unwetter am Anfang des Sturms hebt, donnert unmittelbar der Pop-Rock-Soundtrack los, der in den nächsten dreieinhalb Stunden selten verstummen wird. Es gibt wenig Licht, aber das ist hart. Gestalten hasten und rufen durcheinander.

Steffi Bruhn hat nicht nur einen hoch aufragenden Schiffsbug auf die Bühne gestellt und rechts an der Rampe ein Spinnennetz aus Takelage aufgespannt, sondern auch ein üppiges Dekorsortminent für alle Shakespeare-Fälle zusammengetragen. Ein Schädel findet sich genauso wie eine venezianische Maske, ägyptische und griechische Statuen.

Dementsprechend hat Kruse den Text mit mehr oder weniger intakten Brocken anderer Shakespeare-Dramen durchsetzt. Schon im allgemeinen Getöse am Anfang meint man, Rufe zu hören wie: "Auch du, meine Tochter Brutus!" oder "Mein Pferd für einen Anker!" Später grüßen Hamlet, Othello und Genossen. Und die Kalauermaschine steht nicht mehr still. Die simple Floskel "Ay, ay" ist etwa für Ariel (Judith Rosmair) Anlass, ein weißes, rundliches Ding vorzuzeigen und auf den Boden zu schleudern, wo es nicht, wie es sich für ein Ei gehört, zerschellt, sondern sich als Flummi entpuppt und in die Höhe schnellt. "Eisprung!", verkündet Ariel zufrieden.

Kruse hat all die poppigen Bausteine vorgeholt, mit denen er, unermüdlich inszenierend, die Ära Haußmann geprägt hat. Dafür liebt ihn die treue, junge Fangemeinde auf den hinteren Reihen. Aber der Sturm zeigte auch Kruses nervige Seiten: Manchmal wirkte die Inszenierung konfus, konzeptionslos zusammengewürfelt. Man stand an der Rampe herum und blödelte.

Das Ende der Spielzeit ist noch weit, aber schon hat Kruse ein Abschiedsstück inszeniert. Der Sturm wird ja immer wieder als Shakespeares letzter Gruß an die Bühnenwelt gelesen. Am Schluss verzichtet Prospero (Manfred Böll) auf seine Illusionskünste. Er stellt sein Schicksal seinen ehemaligen Feinden anheim, seinem Bruder und dessen Mitverschwörern, die ihn auf hoher See ausgesetzt haben. Eben hatte er sie noch mit seiner Magie im Griff, jetzt hofft er auf ihre Milde: "Verdammet mich nicht durch einen harten Spruch."

Schließlich verschwindet Prospero müde in der Tiefe der Bühne, eine aufblasbare Plastikinsel im Schlepptau. Zuvor entlässt er noch seinen Gehilfen Ariel in die lang ersehnte Freiheit. Judith Rosmair, die wieder unermüdlich über die Bühne gefegt ist, schnallt sich ihre Luftgeiststelzen ab. Und benutzt sie als Krücken. Rosmair, die sich für Kruse durch so viele Texte gehüpft, gequietscht und gewitzelt hat, humpelt in eine herrenlose Zukunft. Wahrhaftig ein Bild des Leidens.

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