HipHop auf Staatsbesuch

STREETDANCE Choreographien aus der französischen Vorstadt infiltrieren die Hochkultur auf Festivals im Ruhrgebiet

Ilse Brusis blieb nicht viel Zeit für ihre staatstragenden Worte über deutsch-französische Freundschaft, kulturellen Austausch und so weiter. Ihre Zuhörer unterbrachen die NRW-Kulturministerin mit Pfiffen und rebellischen Klatschsalven. "Anfangen!", rief es von den Rängen der Dortmunder Oper, die mit ungewöhnlich jungen Menschen besetzt waren. Sie waren nicht gekommen, um Politikerreden zu hören. Und die von Ilse Brusis war schon die dritte beim Festakt der Internationalen Kulturtage in Dortmund. Das Publikum wartete auf das Streetdance-Spektakel Macadam, Macadam und duldete keinen Aufschub. HipHop kann selbst nach Fanta Vier und Fettem Brot noch subversiv sein. Zweifler mögen sich an die Protokollabteilung der Stadt Dortmund wenden.

Für Macadam, Macadam - was etwa "Asphalt" bedeutet - hat die Choreographin Blanca Li Amateure und Profis am Theater der Pariser Satellitenstadt Suresnes versammelt und ihr Können zu einer Show verarbeitet. Als Bühnenbild dient eine Halfpipe, ergänzt durch zwei weitere Rampen und ein Baugerüst. Die Produktion folgt dem Prinzip Zirkus, ist in verschiedene Nummern gegliedert, die vor allem auf Effekte abzielen. Zwei Jungs mit Rollerblades und einer mit Fahrrad schwingen in der Halfpipe hin und her, Tänzer zeigen klassische Breakdance-Tricks. Aber sie bleiben nicht nur in der HipHop-Tradition. Alles, was etwas hermacht, ist erlaubt: eine hektische Verfolgungsjagd wie aus einem Trickfilm zum Beispiel und sogar Steppen zu "Singing in the Rain".

Am Schluss: stehende Ovationen. Nur ein paar Jugendliche sind etwas enttäuscht: Sie wollten gerne mittanzen. Sie sind selbst Breakdancer, gehören zur Szene in der Dortmunder Nordstadt. Erst zwei Tage vorher haben sie gezeigt, was sie können, bei einem HipHop-Festival im Dietrich-Keuning-Haus. In dem Begegnungszentrum nördlich vom Bahnhof treffen sich seit zehn Jahren Jugendliche aus diversen Nationen, um Streetdance zu üben. Ab und an werden sie für irgendwelche Feste angeheuert, von der Deutschen Bahn zum Beispiel, die die Kids mit Sicherheit wegjagen würde, wenn sie einmal ihren Ghettoblaster im Bahnhof auspacken sollten. Ein paar der Breakdancer aus der Nordstadt leben mittlerweile vom Tanzen. Aber mit einer großen Produktion durch Opernhäuser touren - so weit ist es in Deutschland noch nicht. Festivalleiter, die eine professionelle Truppe mit dem Schuss authentischer Straßenkultur wollen, müssen sich in Frankreich bedienen.

Dort hat die Hochkultur den HipHop fest in die Arme geschlossen. Macadam, Macadam war im vorigen Sommer beim Festival d'Avignon zu sehen, einem noblen Schaufenster der darstellenden Kunst. Und immer mehr Tanzcompagnien integrieren HipHop-Elemente in ihre Choreographien. Der Streetdance zieht von den banlieues, den tristen Hochhaus-Vorstädten, in denen er sich entwickelt hat, auf die Theaterbühnen. Damit entfernt er sich auch von der politischen Haltung des HipHop, die zumindest viele Rapper pflegen. Mit Protesten gegen die Gewalt in den banlieues will die Truppe von Macadam, Macadam nichts zu tun haben: Während der Show tritt einer der Rollerblader an die Rampe und erklärt in ironisch bravem Französisch, er wolle als Zeichen gegen die Gewalt ein Gedicht aufsagen. Dann deklamiert er grinsend ein paar lächerliche Verse, bis ihn seine Kollegen von der Bühne jagen. Sie wollen nicht dagegen, sondern dabei sein: da wo die Musik spielt. An der Basis in der Nordstadt ist das nicht anders. Beim HipHop-Festival bekam der deutsche Rapper Curse auf seine Frage nach dem Lieblingsbier seiner Zuhörer deutlich mehr Reaktionen als seine französische Kollegin Bams, die ins Publikum rief: "Do you accept to be a victim?"

Zu den Pionieren, die den HipHop in Frankreich salonfähig gemacht haben, gehört die Formation Black Blanc Beur, entstanden aus einer Initiative des Arztes und Psychologen Jean Djemad. Er hatte die Idee, einen Tanzwettbewerb für die schwarzen, weißen und maghrebinischen Jugendlichen, die blacks, blancs und beurs aus den Pariser Vorstädten auszuschreiben. Daraus entstand eine Compagnie, die mittlerweile enorm populär ist und von einem Festival zum nächsten reist. Vergangene Woche war sie in Recklinghausen, bei den Ruhrfestspielen.

Black Blanc Beur hat sich einen deutlichen Schritt weiter von der Straße entfernt als die Truppe von Macadam, Macadam. Das Akrobatische des Breakdance, das sicherste Mittel, die Kollegen in der banlieue zu beeindrucken, tritt in den Hintergrund. Die Choreographin Christine Coudun hat für die Tänzer zusammenhängende Stücke entworfen, die sich aus einer einfachen Ausgangssituation entwickeln und über lange Spannungsbögen wieder zu ihr zurückkehren.

Black Blanc Beur - der Name ist Motto; die Kulturen werden demonstrativ gemischt. Die Musik zu der Choreographie "Lambarena" lässt Bach und westafrikanische Perkussion ineinander fließen. Mal pflanzen sich die Tänzer in Afro-Manier breitbeinig auf die Bühne und lassen die Schultern vor- und zurückzucken, mal nehmen sie ironisch eine Ballettpose ein. Bei "Wartane", einem Duett, das Christine Coudun im vergangenen Jahr für Lamine Diouf und Iffra Dia choreographiert hat, wechseln sich arabische Saiteninstrumente mit spanischen Gitarren ab.

"Wartane" ist ein Wort aus einem senegalesischen Dialekt und bedeutet Dialog. Zwei Freunde begegnen sich, begrüßen sich mit Handschlag und Umarmung wie in der banlieue, nur eleganter. Sie diskutieren mit schnellen Schwüngen aus dem Ellenbogen, tauschen Sticheleien aus. Die Tänzer zeigen, wie harmonisch Streetdance-Bewegungen ein traditionelleres Gestenrepertoire ergänzen können. Etwa wenn Lamine Diouf sich aus einem Lauf heraus in Breakdance-Manier seitlich abrollt und seinen Körper kunstvoll kreisen lässt.

Nach der Premiere verteilt Hansgünther Heyme Rosen an die Tänzer - wie es sich gehört. Aber dann dreht sich der Leiter der Ruhrfestspiele zum Publikum und macht eine seltsame Ansage: "Sie können jetzt herunterkommen." Tatsächlich steigen ein paar Jugendliche von der Zuschauertribüne, während unten ein DJ seinen Tisch herein schiebt. Lamine Diouf und die Amateure aus dem Publikum wechseln sich mit Breakdance-Kunststücken ab, bis schließlich die anderen von Black Blanc Beur Durchschnittszuschauer zum Tanzen nach vorne zerren. Party auf der Festspielbühne. Auch wenn dieser HipHop nicht mehr rebelliert: das Protokoll kann er gründlich durcheinander bringen.

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