Dieser Tag verdient nur einen Satz

Sprache Eine Eloge zum Tag des Schachtelsatzes

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Dieser Tag verdient nur einen Satz

Foto: janjf93/Pixabay (CC 0)

Den vor erst vier Tagen abgehaltenen oder, soweit ich das überblicken kann, zumindest anberaumten, aber weitgehend nicht aktiv und tatkräftig gefeierten, oder wenn, dann vom Großteil der Bevölkerung nur unwissend, aus Gewohnheit und mangels Alternative oder, gleich dem Ass im Ärmel eines Spielers, der nie oder nicht mehr zum Kartenspiel eingeladen wird, mangels Möglichkeit zur Utilisierung der vorhandenen Alternative(n) begangenen Tag der Muttersprache kann ich mich nicht erinnern, besonders gefeiert zu haben, vielleicht weil ich derzeit, wie fast immer, im Ausland weile, und zwar in einem Ausland, in dem man darüber streitet, ob die Muttersprache Serbokroatisch, Serbisch oder schon Montenegrinisch ist, was neben kuriosen Diskussionen zu angenehmen, ständig sprudelnden und durch Nationalismen angeheizten Einkommensquellen für Übersetzer führt, worüber ich, allerdings weder in meiner Muttersprache noch in einer der an diesem Konflikt als Parteien beteiligten Sprachen, sondern in der Welt- und Allerweltssprache Englisch, jüngst eine Kurzgeschichte verfasst habe, und weil man, womit ich mich selbst oder die Gruppe ähnlich geschichtsbewusster und kultursensibler Deutscher meine, in den einstmals beziehungsweise genau genommen vor erst zwei Generationen und damit durchaus noch im Erinnerungshorizont einiger lebender Zeitgenossen von deutschen Truppen angegriffenen, eroberten, besetzten, ausgeplünderten und misshandelten Ländern, Landesteilen und Landstrichen die diese Phase überlebt habende Bevölkerung nicht einen ganzen Tag mit Deutsch malträtieren möchte, aber als mich heute, am 25. Februar, der Deutschlandfunk oder das Deutschlandradio Kultur, die ich wie die ganzen angeblichen Superhelden aus den Marvel-Comics nie auseinanderhalten kann, aber, ganz anders als die Cartoonfiguren, beide gleichermaßen schätze und die in den fernen und leider weitgehend von deutschsprachigen oder überhaupt internationalen Presseerzeugnissen freien Gefilden die fortgesetzte Verbindung zur deutschen Kultur, die ich damit keinesfalls zur Leitkultur, nicht einmal zu meiner persönlichen, überhöhen möchte, gewährleisten, darüber informierte, dass dieser windige und eiskalte und daher, aber auch wegen einer gefährlich und bedrohlich nahenden Prüfung, dem Studium der Geschichte gewidmete Tag der Tag des Schachtelsatzes sei, machte mein sprachverliebtes Herz aus Freude einen ebensolchen, und der von diesem Herz bis jetzt zuverlässig wie von gewerkschaftlich nicht organisierten römischen Galeerensklaven angetriebene Verfasser ließ den wahrscheinlich sowieso nicht ganz wahrheitsgetreuen Bericht Hans Stadens über den Kannibalismus in Brasilien, einen frühen Vorläufer der Reiseblogs, der jedoch wirtschaftlich ungleich erfolgreicher war als zumindest meiner, ohne viel Widerstand liegen, packte Füller und Schreibblock ein, begab sich zum nächsten Café in Kotor, das sowieso wärmer als die eigene Wohnung war, bestellte eine Sachertorte und eine große Flasche Sprudelwasser und setzte sich mit sportlichem Ehrgeiz das Ziel, in der Zeit, die der Konsum vorgenannten Speis und Tranks benötigen würde, eine den Schachtelsatz, eine der Krönungen und, um im monarchischen Bild zu bleiben, Königsdisziplinen der deutschen Sprache feierne Eloge zu schreiben, wobei dem Autor oder mir, um die bisher nicht gerade handlungsreiche Geschichte durch erneuten Perspektivwechsel aufzulockern, auffiel, dass ich kein über die Grundidee hinausgehendes Konzept eingepackt hatte und deshalb, von der gerüchteweise gehörten Angst vor dem weißen Blatt Papier oder gar der Schreibblockade gänzlich unbehelligt, zwar einfallslos aber unverzüglich auf die Idee verfiel, die Gäste an den anderen Tischen des bei Beginn dieses Kurzprojekts voll besetzten, am Ende aber bis auf den Kellner und den Schreibtischtäter selbst leeren Cafés zu beobachten, wobei mir auffiel, dass Menschen heutzutage nur als Paar ausgehen, um immer jemanden parat zu haben, der sie fotografiert, die grässlich gestellten Spontanschnappschüsse sogleich online stellt, liked und shared, oder wie man das in unserer Muttersprache auch nennt oder schreibt, und zu diesem Zweck den geduldigen Kellner noch vor einem Blick auf die Speisekarte oder in die Kuchenvitrine mit Fragen nach Passwörtern zu sogenannten Netzwerken nerven, dass Menschen in vom Tourismus heimgesuchten Gebieten eine verzerrte Vorstellung von Mitteleuropäern und Nordamerikanern haben müssen, von denen auffallend viele allergisch gegen Eier, Laktose, Gluten und Glukose sind, aber trotzdem ein natürlich extra für sie von diesen Zutaten befreites Stück Torte wünschen, das wiederum fotografiert und auf Instagraph und SnapApp veröffentlicht wird, um anschließend alle paar Minuten die Reaktionen darauf zu verkünden, die live aus Seattle, Edinburgh oder Heilbronn eintrudeln und die ebenso erwartet wie unkreativ ausfallen („it looks amazing“), dass der dies zwangsweise mithörende Autor, der sich in solchen Momenten der Schaffenskraft trotz Unveröffentlichtheit und Brotlosigkeit seiner Passion als Schriftsteller oder zumindest als Sprachkünstler sieht und dem Vokabular und Syntax so schnell aus der Hand fließen, dass der Füller diese zu Papier zu bringen kaum hinterherkommt, nur müde lächeln kann angesichts der sprachlichen Einfältigkeit, die, wenn man länger zuhört, oft mit intellektueller Einfalt einhergeht, und ich mich nicht zum ersten Mal frage, wieso manche Leute eigentlich reisen (vielleicht für die Fotos fürs Facebook-Profil?), wie man so unvorbereitet und unbelesen sein kann (wer von weit her kommt, müsste doch im Flugzeug erst recht Zeit haben, ein Buch über den Balkan zu lesen) und wieso man sich, nachdem man Tausende von Dollars und Kilometer zurückgelegt hat, lieber über die Kinder der Nachbarn, die neue Tiefgarage beim Krankenhaus oder englischen Fussball unterhalten muss, anstatt das derzeit bereiste Land mit einem über Klischees hinausgehenden Gespräch zu bedenken, werde dann aber versöhnt, als mich zwei Nordamerikanerinnen beim Verlassen der wohlig warmen Kaffeestube mustern und eine der anderen deutlich hörbar anerkennend zuraunt „you don’t see this anymore“, wobei sie vermutlich nicht einen attraktiven Mann, sondern einen Mann, der mit nachdenklicher und angestrengter, von Zeit zu Zeit jedoch von einem für die Außenwelt unverständlichen Lächeln durchzogenen Miene mit einem antik anmutenden Instrument die aus Walblut und Baumrinde gewonnene Tinte auf mittlerweile schon acht Seiten zu einer kommadurchsetzten Symphonie werden lässt und dabei so tut, wie wenn er sie nicht gehört hätte oder kein Englisch verstünde, um den beiden Damen die Illusion eines montenegrinischen Sonderlings zu erhalten, und um sich und damit den Lesern die für diese Erzählung überflüssige Aufklärung darüber zu verweigern, wie die beiden Damen ausgesehen haben, womit ich mich ganz bewusst der Möglichkeit beraubt habe, eine der Damen auf den ersten Blick sympathisch zu finden und ihre Faszination für den Schreiberling schamlos auszunützen, um, nein, nicht was der hollywoodklischeeübersättigte Leser jetzt erwartet, sondern um ein zweites Stück Schachtelsatzsachertorte zu schnorren, womit sich die anfangs selbst gesetzte Zeitgrenze hinausschieben hätte lassen, in Ermangelung der Wahrnehmung dieser Möglichkeit die gleich einer Sanduhr unerbittlich abgelaufene 0,75-Liter-Sprudelflasche jedoch das Ende dieses kleinen Ausflugs ins Satzbaulabyrinth signalisiert, zu dem mir nur mehr bleibt, ein Hoch auf den deutschen Schachtelsatz auszurufen, auf dass er lange wird und lange währt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Moser

Nach Abschlüssen in Jura und Philosophie studiere ich jetzt Geschichte, ziehe um die Welt und schreibe darüber.

Andreas Moser

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