Erbrecht und Urheberrechtsdebatte

Urheberrecht Der Irrsinn liegt im Erbrecht, nicht in den urheberrechtlichen Schutzfristen.

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Die Urheberrechtsdebatte ist schon so vielstimmig und verkompliziert, dass sie meiner zusätzlichen Stimme nicht unbedingt bedarf. Aber eine Sache wurmt mich grundsätzlich: wenn in juristischen Diskussionen verschiedene Argumente in einen Topf geworfen und bis zur Unkenntlichkeit vermischt werfen, die bei getrennter Betrachtung viel feinsinniger, sachlicher und ergebnisorientierter diskutiert werden können. Systematisches Denken ist bei rechtlichen wie philosophischen Fragen der Schlüssel zum Erfolg.

Als Beispiel greife ich das auf, was auf einer gleichlautenden Website "Schutzfristen-Irrsin" genannt wird: Da das Urheberrecht nach § 28 I UrhG (Urheberrechtsgesetz) vererblich ist und gemäß § 64 UrhG erst 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers erlischt, "können die Erben des Autors ... ohne jemals selbst eine Leistung zum Werk erbracht zu haben, anderen die Nutzung des Werkes verbieten." So die dramatisierende Aussage auf vorgenannter Website.

Ganz abgesehen davon, dass die Nutzung eines rechtmäßig erworbenen Werkes (z.B. eines Buchs oder Films) natürlich nicht verboten werden kann, werden hier zwei verschiedene Rechtsgebiete in einen Topf geworfen: das Urheberrecht und das Erbrecht.

Das Argument mit den nichtstuenden Erben, die von den Schutzfristen im Urheberrecht profitieren, finde ich nicht überzeugend, wenn es auf das Urheberrecht beschränkt wird. Denn diese Situation liegt in der Natur des Erbrechts und damit der Lotterie des Lebens, nicht des Urheberrechts. Erben von Grundstücken, Fabriken oder Aktienpaketen profitieren genauso ohne eigene Leistung. Auch ein Grundstückseigentümer schließt für die Dauer seines ererbten Eigentums alle anderen von der Benutzung dieses Grundstücks aus oder verlangt eine Gegenleistung hierfür. Außerhalb des Urheberrechts ist die Geltung dieses Rechts nicht einmal auf die 70 Jahre, also circa zwei Generationen, nach dem Tod des Erblassers beschränkt, sondern gilt - das Vorhandensein von Nachkommen vorausgesetzt - ewig bzw. bis zum Untergang des jeweiligen Rechtssystems.

Diese Situation kann man durchaus für ungerecht halten. Ich tue dies. Wer aber die Vererbbarkeit von Urheberrechten bestreitet und gleichzeitig die Vererbbarkeit von anderen Sachen und Rechten nicht beanstandenswert findet, argumentiert und denkt inkonsequent. Wer noch dazu selbst im ererbten Haus sitzt oder auf das spätere Erbe eines Sparguthabens hofft, argumentiert verlogen.

Und um jetzt doch wieder auf die Urheberrechtsdebatte und die Schutzfrist von 70 Jahren zurückzukommen:

  • Ist es denn wirklich so schlimm, dass ich die Bücher von Thomas Mann, Heinrich Mann, Hermann Hesse, Bertolt Brecht, Heinrich Böll oder Hans Fallada (noch) nicht frei kopieren kann, dafür aber kostenlos in jeder Stadtbibliothek erhalte oder sie für ein oder zwei Euro gebraucht erwerben kann?
  • Ich wüßte nicht, woraus ich einen Anspruch auf die kostenlose Nutzung des von einem anderen geschaffenen Werks herleiten könnte, genausowenig wie ich einen Anspruch auf die Nutzung Ihres Hauses, Autos oder Kühlschranks habe.
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Geschrieben von

Andreas Moser

Nach Abschlüssen in Jura und Philosophie studiere ich jetzt Geschichte, ziehe um die Welt und schreibe darüber.

Andreas Moser

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