Fütterungszeit

Armut Eine Beobachtung im Park

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Westpark in Aachen. Vormittags um 11 Uhr. Anfang Dezember, aber noch mild und sonnig genug, um die Jacke zu öffnen, ein Buch herauszuholen und für eine 30-minütige Zigarre zu verweilen.

Im Teich wäscht sich ein Mann, so etwa 45 Jahre alt. Sein volles schwarzes Haar und Bart, mit dem er sofort in die orthodoxe Mönchsakademie aufgenommen würde, werden ebenfalls intensiv gewaschen und gepflegt. Er trägt dicke Kleidung, eigentlich etwas zu warm für den Tag.

Vielleicht ist er noch zerfroren von der Nacht. Denn wer sich im öffentlichen Park wäscht, hat höchstwahrscheinlich kein Haus, keine Wohnung, kein Zimmer, nicht einmal hilfsbereite Freunde.

Aber eine zweite Unterhose hat er. Die wäscht er jetzt ausgiebig in dem Gewässer, das ich bisher nie für besonders sauber gehalten habe. Wenn ich nah am Wasser sitze, laufen manchmal Ratten vorbei. Aber man kennt das ja aus den Dokumentationen über den Ganges oder den Senegal: Schmutziges Wasser ist besser als gar kein Wasser.

Wir sind hier jedoch in Deutschland, einem übertrieben reichen Land.

Deshalb kommt jetzt ein Vater mit Kind auf dem Rücken und Einkaufsbeutel in der Hand. Unter den großen und wachen Augen des in diesem Moment lebenslange Verhaltensweisen lernenden Kindes nimmt der Vater ein Kürbiskernbrot und zwei Schrippen aus der Tüte und reicht das Frühstück den Enten. Dem Menschen, der ein paar Meter weiter seine Kleidung wäscht, bietet er nichts an.

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Geschrieben von

Andreas Moser

Nach Abschlüssen in Jura und Philosophie studiere ich jetzt Geschichte, ziehe um die Welt und schreibe darüber.

Andreas Moser

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