Hüben und Drüben von Außen betrachtet

DDR So sahen britische Besucher die beiden deutschen Staaten

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Ein Tondokument gewährt seltene Einblicke
Ein Tondokument gewährt seltene Einblicke

Foto: Steve Eason/Hulton Archive/Getty Images

Früher, vor Erasmus, war das mit dem akademischen Auslandsaufenthalt noch kompliziert: Visum, Krankenversicherung, Geld wechseln. Außerdem gab es kein Internet, so dass man nicht schon aus der Ferne eine Wohnung suchen konnte. Die erste Woche schlief man also im Hotel und telefonierte täglich die Kleinanzeigen der örtlichen Zeitung ab. Wenn man als ausländischer Student nach Deutschland wollte, trat eine zusätzliche Schwierigkeit hinzu: Man musste sich entscheiden, in welchem der beiden Deutschlands man studieren wollte.

Wen der letzte Satz überrascht, der ist entweder zu jung oder wurde (wie ich) in Westdeutschland sozialisiert, wo man ganz selbstbewusst davon ausging, dass jeder, der es sich aussuchen könne, den Westen dem Osten vorziehen würde. „In die DDR konnte man doch gar nicht so einfach“, werden viele einwerfen, aber gerade habe ich ein Tondokument aus dem Jahr 1988 gehört, das diese und weitere meiner diesbezüglichen Annahmen zunichte macht.

Der Deutschlandfunk interviewte im letzten vollständigen Jahr der deutschen Teilung britische Germanistik-Studentinnen, die Auslandssemester in der BRD und der DDR verbracht hatten, teilweise alternativ, teilweise kumulativ, und so von beiden deutschen Staaten aus erster Hand berichten und vergleichen konnten. Ich empfehle, die Sendung selbst anzuhören. Die erfrischende Offenheit und treffenden Beobachtungen der Studentinnen sind es wert. Und man wird doch immer wieder überrascht, schon von der Tatsache, dass es zwischen der DDR und Großbritannien einen Studentenaustausch gab. Den britischen Studierenden erschien die DDR exotischer als die BRD und letztere konnte man ja immer noch als Tourist bereisen, so dass sich viele von ihnen für den Aufenthalt in einem sozialistischen Land entschieden.

Wie es auch heute noch in Deutschland so ist, fanden die britischen Kolleginnen die BRD-Universitäten als anoyme Masseneinrichtungen vor, in denen sie sich alleingelassen fühlten. Es war schwer, Anschluss oder gar Freunde zu finden. „Die Deutschen hatten kein Interesse, mit uns zu sprechen“, erzählten sie, und viele, die sich derzeit in Deutschland zu integrieren versuchen, nicken wissend. In der DDR hingegen war die Aufnahme besser organisiert, aber auch freundlicher und herzlicher. Die britischen Studentinnen selbst vermuteten, dass es daran gelegen haben mag, dass sie als Westeuropäer in der DDR einen Exotenstatus genossen. Denn sie berichteten auch, dass die Gaststudenten aus „sozialistischen Bruderländern“ (z.B. Bulgaren und Polen) gar nicht brüderlich, sondern mit deutschnationalstolzer Überheblichkeit behandelt wurden.

Jeder, der aus dem Ausland nach Deutschland kommt, hat Angst vor der Bürokratie (auch heute noch). Bürokratisch waren beide Staaten. Aber in der DDR erklärte sich immer jemand bereit, zu helfen, während die in der BRD Studierenden am häufigsten die Sätze „dafür sind wir nicht zuständig“ und „das ist Dein Problem“ hörten.

Besser fanden sie in der BRD aber das Studium an sich. Zwar war die Freiheit an den bundesdeutschen Hochschulen am Anfang verwirrend, aber die Veranstaltungen lagen auf hohem wissenschaftlichen Niveau. In der DDR fühlten sich die Germanistinnen unterfordert und fanden den Unterricht sogar „kindlich“ in seiner antikapitalistischen Propaganda.

Große materielle Unterschiede konnten sie übrigens nicht feststellen. Wie wir im Westen hatten die Britinnen Geschichten von langen Schlagen vor leeren Geschäften in Ostdeutschland gehört und waren dementsprechend überrascht, als sie davon nichts sahen. Sie fanden zwar die Menschen in der BRD materialistischer (wenn sie das in den 1980ern schon feststellten, was würden sie heute sagen?), die Lebensqualität in der DDR aber etwas höher. Dort waren die Restaurants besser und für Durchschnittsbürger zugänglich. Selbst Studenten kochten nicht selbst, sondern gingen essen. Das Mensa-Essen war in beiden deutschen Staaten identisch: „Jeden Tag Kartoffeln, Fleisch und irgendeine Soße. Und in beiden Ländern das gleiche billige Plastikgeschirr. So habe ich mir immer eine Gefängniskantine vorgestellt.“

Außenstehende sind natürlich die idealen Gesprächspartner, um zu eruieren, was die Westdeutschen über die Ostdeutschen und umgekehrt dachten. Die Germanistinnen, die in Großbritannien anscheinend beide deutschen Staaten landeskundlich untersuchten, waren in der BRD schockiert über das mangelnde Wissen, ja das mangelnde Interesse an der DDR. Man hatte ein unumstößliches, negatives Bild, das nicht durch eigene Erfahrungen zustande gekommen war und das man auch gar nicht durch eigene Erfahrungen ins Wanken bringen wollte. Diese Schilderungen kamen mir sehr vertraut vor, denn noch heutzutage entspricht dies dem Osteuropa-Bild vieler Deutscher. Es ist arm, es ist negativ, man will nicht dorthin, man will niemanden von dort kennenlernen, und man will es auch gar nicht besser wissen. Eine der Studentinnen beschrieb, dass sie immer die gleiche Reaktion erhielt, wenn sie in der BRD erzählte, dass sie vorher in der DDR gelebt hatte: „Oh“ und dann Schweigen. Genauso geht es mir, wenn ich in Deutschland von Rumänien oder Litauen erzähle. „Oh“ und dann ein leerer Gesichtsausdruck, der die östlich der Oder-Neisse-Linie leere geistige Landkarte offenbart.

In der DDR hingegen herrschte ein mit der Realität nicht übereinstimmendes positives Westbild vor. Eine lustige Anekdote: Die britischen Jungakademikerinnen erzählten von der Arbeitslosigkeit in Großbritannien. Die ostdeutschen Kommilitonen waren ganz erstaunt, denn „wir haben davon immer in unseren Büchern gelesen, aber wir dachten, das sei antiwestliche Propaganda und haben es nicht geglaubt.“

Am Ende noch ein überraschender Moment (ab Minute 42:25). Die Interviewerin fragt die Studentinnen, die beide deutsche Staaten kennengelernt haben, wo sie lieber arbeiten würden, wenn sie zwischen der BRD und der DDR wählen müssten. Die Wahl ist eindeutig. Diese intelligenten, gebildeten Deutschlandexpertinnen (wie wir dank John le Carré wissen, rekrutierte der britische Geheimdienst damals vorzugsweise Germanisten) entscheiden sich alle für den Staat, der im darauffolgenden Jahr nicht mehr so bestehen wird, auch dank des Beitrags ihrer Kommilitonen.

(Der Deutschlandfunk bietet noch drei weitere Sendungen mit Aufnahmen aus dem Jahr 1988, darunter mit Demonstranten aus Wackersdorf (mal hören, ob meine Eltern darin vorkommen) und den ersten Hackern jener Zeit.)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Moser

Nach Abschlüssen in Jura und Philosophie studiere ich jetzt Geschichte, ziehe um die Welt und schreibe darüber.

Andreas Moser

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