Wie wird man Schriftsteller?

Literatur Haruki Murakami und Andrzej Stasiuk im direkten Vergleich

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Bücher von Schriftstellern darüber zu lesen, wie man Schriftsteller wird, anstatt selbst zu schreiben, das ist Prokrastination auf Metaebene. Um die Ablenkung von der eigenen kreativen Arbeit noch ablenkender zu gestalten, habe ich zwei Autoren in den Ring steigen und gegeneinander antreten lassen: den Bestsellerautor Haruki Murakami mit seinem Von Beruf Schriftsteller und den „Versuch einer intellektuellen Autobiographie“ des polnischen Autors Andrzej Stasiuk, Wie ich Schriftsteller wurde.

Rein organisatorisch legt Murakami ganz professionell vor. Schön gegliedert in elf Kapitel, deren Überschriften „Wie ich Schriftsteller wurde“ oder „Wie schreibe ich einen umfangreichen Roman“ die Hoffnung auf wertvolle oder zumindest motivierende Insidertipps aufkommen lassen. Das Buch von Stasiuk dagegen ist eine optisch abschreckende Bleiwüste. Punkt und Komma kennt er gerade noch, aber der Hebel für den Zeilenumbruch war an seiner Schreibmaschine anscheinend kaputt. 134 Seiten in einem Blocksatz. Keine Kapitel, keine Absätze, das ist doch eine Zumutung.

Also beginne ich mit Murakami.

Für jemanden, der Schriftsteller werden will, ist es zunächst äußerst wichtig, viel zu lesen. Tut mir leid, wenn das banal klingt, aber meines Erachtens ist lesen die wichtigste Übung für einen angehenden Schriftsteller, die er keineswegs vernachlässigen darf. Um einen Roman schreiben zu können, muss man als unbedingte Grundvoraussetzung wissen, wie ein solcher aufgebaut ist. Das ist ebenso selbstverständlich wie die Tatsache, dass man, um ein Omelette zu machen, zuerst einmal die Eier aufschlagen muss.

Ja, das klingt wirklich banal. Selbst mir fällt auf, dass sich das griffiger und weniger umständlich formulieren ließe. Der schiefe Omelettevergleich weckt weder Vertrauen noch Begeisterung.

Was sagt Stasiuk dazu?

Um mich auszulüften, fuhr ich in die Berge. Ich dachte mir, ich arbeite ein bißchen körperlich wie ein richtiger Mann. Die Vorbilder bezog ich aus der Schundliteratur, denn die aus der besseren Literatur waren ungemein kompliziert und im sogenannten Alltagsleben absolut nicht zu realisieren. In den Bergen konnte man in der LPG oder im Wald arbeiten. Ich entschied mich für den Wald, der stand in der romantischen Mythologie doch etwas höher als die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft. Der Förster war sympathisch. Er trank eigentlich mit allen und verließ das Forsthaus praktisch nie. Man könnte sagen, er übte die geistige Schirmherrschaft aus. Er kontrollierte nie, wieviel jemand geschafft hatte. Er glaubte einem aufs Wort und notierte es in den Papieren. Ich wohnte in so einer Baracke, und im Grunde war es ganz in Ordnung. Bei Regen ging ich nicht zur Arbeit, und niemand machte einen an. Damals regnete es viel. Nicht so wie heute. Im ersten Monat regnete es eigentlich ununterbrochen. Ich bekam einen Lohn, daß mir die Knie weich wurden. Die anderen auch. Das waren gute Kumpel, nur nach der Lohnzahlung veränderten sie sich immer, und ich zog für ein paar Tage aus der Baracke aus. Wenn sie keine Kohle mehr hatten, kam ich zurück. Das ging ziemlich schnell. Zum Lesen hatte ich mir Kierkegaard mitgenommen. Furcht und Zittern. Ein guter Titel. Besonders um den Zahltag herum. Eines Tages fand ich Kierkegaard nicht mehr. Der Umschlag lag im Scheißhaus. Ich war zu jung, um die metaphorische Bedeutung dieser Tatsache zu begreifen. Überhaupt war ich damals ziemlich schwach in der übertragenen Deutung der Wirklichkeit.

Das ist schon ein ganz anderer Beat, oder? Mittlerweile ergibt auch der sich über das ganze Buch durchziehende einzige Absatz Sinn, denn bei Stasiuk will ich gar keine Pause machen. Bei Murakami hingegen merke ich schnell, dass ich nur mehr querlese, ein paar Seiten auf einmal umblättere oder zum nächsten Kapitel springe.

Dabei macht Stasiuk genau das, was Murakami empfiehlt:

Als Nächstes – wahrscheinlich auch noch vor dem eigentlichen Schreiben – sollte man sich unbedingt darin üben, Menschen, Dinge und Ereignisse, alles um sich herum, ganz gleich, was es ist, aufmerksam und gründlich zu beobachten. Und es sich durch den Kopf gehen lassen.

Und so weiter, und so weiter, Murakami führt auch diesen Gedanken in mehrfachen Wiederholungen aus, wie wenn er zu einem Doofkopf spräche.

Bei Stasiuk geht das Beobachten (hier im Falle eines einem buddhistischen Guru zugeneigten Freundes) so:

Krosbi wurde ein Jünger von Guru Maharadschi. Er nervte endlos damit. Er bastelte sich einen Altar und machte davor Verbeugungen, Kniebeugen und Liegestütze. Ich war gar nicht dagegen, bis er mir ein Foto seines geistigen Meisters zeigte, da stieg ich aus. Ein Meister, wie ich ihn mir vorstellte, sollte mager sein, sollte etwas von einem Asketen haben, der hier aber war fett wie ein Schwarzhändler, dazu im orangefarbenen Nachthemd. Und grinste wie ein Wonneproppen. Nein. Das war zuviel für mich. Ich war an christlichen Heiligen erzogen, an Alexij, an Simon dem Säulenheiligen, das Ebenbild dieses Schnullergurus riß mich nicht hin.

Murakami nervt unterdessen mit seiner mittlerweile siebten Beteuerung, dass es ihm wirklich, wirklich, wirklich –

Sie müssen mir das einfach glauben!

– überhaupt nichts ausmache, nie den Akutagawa-Literaturpreis gewonnen zu haben. Keine Sekunde glaube ich ihm das. Stasiuk glaube ich alles. Der bekiffte und besoffene Selbstmordversuchvortäuscher –

Mein Kollege Maciek kam auf die Idee, Selbstmord wäre ein guter Ausweg. Ich war einverstanden. Begehen sollte ich ihn in Miedzylesie. Dort findet mich dann eine befreundete Krankenschwester und benachrichtigt sofort den Notarzt, der mich ins Krankenhaus bringt, wo ich als Selbstmörder für unzurechnungsfähig erklärt und auf der Psychiatrie untergebracht werde, alles Weitere in Gottes Hand. Der Plan war so gut wie jeder andere. Maciek behauptete, das sei sicher wie eine Bank, ich würde sogar noch eine Medaille kriegen, vielleicht sogar Kriegsrente. Ich sagte: „Okay, ich mach’s.“

– aus Polen ist glaubwürdiger und authentischer als der disziplinierte Marathonläufer aus Japan. Der Plan, sich verblutend und im Schneehaufen liegend von der Krankenschwester finden zu lassen, ging übrigens nicht ganz auf. Der fahnenflüchtige Stasiuk kam für eineinhalb Jahre ins Gefängnis.

Der Unterschied zwischen den beiden Autoren wird schnell klar: Stasiuk kann schreiben, weil er erzählen kann. Und er kann erzählen, weil er etwas erlebt hat.

Ich jedenfalls war begeistert von einem mir bisher unbekannten Autor und enttäuscht von dem weltbekannten Autor. Gleich heute noch laufe in die Bibliothek, um mir weitere Werke von Stasiuk zu holen. Murakami hingegen kann schreiben was er will, von dem alten Langweiler fasse ich kein Buch mehr an.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Moser

Nach Abschlüssen in Jura und Philosophie studiere ich jetzt Geschichte, ziehe um die Welt und schreibe darüber.

Andreas Moser

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