Kräftig lodernde Stammesfeuer

Gaza-Krieg Der Gaza-Krieg stellt Israels kritische Intelligenz vor große Probleme. Muss die Muse schweigen, wenn die Kanonen donnern?

Sämtliche Kriege, die Israel in der Vergangenheit geführt hat, stellten seine kritische Intelligenz stets vor ein Problem. Zum einen war sie Teil eines Kollektivs im Ausnahmezustand und damit verpflichtet, an den vorhandenen Ängsten, Nöten und Hoffnungen teilzuhaben, zumal ja – so das traditionelle Klischee – die Musen ohnehin zu schweigen haben, wenn die Kanonen donnern. Zum anderen wusste aber gerade diese Intelligenz um den gravierenden Schuldanteil der israelischen Politik an der periodisch ausbrechenden Gewalt und ihrer Eskalation.

Gewaltzirkel des Nahostkonflikts

Es war eine Frage der intellektuellen Redlichkeit und des Selbstbildes als Platzhalterin des kritischen Bewusstseins, sich gängigen Konsenszwängen und ideologischen Vorgaben reflektiert zu widersetzen. Dabei war mit dem ersten Libanonkrieg 1982 und der einige Jahre später folgenden ersten Intifada eine neue Legitimationsmatrix für das Selbstverständnis eines kritischen Bewusstseins entstanden, quasi eine öffentliche Anerkennung des Überdrusses, mit dem die sich fortwährend perpetuierenden Gewaltzirkel des Nahostkonflikts reflektiert wurden. Eine Legitimation, die dann durch den Oslo-Prozess und die geschlossenen Verträge der neunziger Jahre zur vollen Entfaltung gelangen sollte. Mit dem abrupten Ende dieses Prozesses und dem Ausbruch der zweiten Intifada im Jahr 2000 brach jedoch das Fundament dieses politisch-moralischen Kompasses im öffentlichen Diskurs kläglich zusammen. Die gesamte zionistische Linke schien aufzuatmen und sich an der eigenen Verwirrung nachgerade zu delektieren. Sie nahm die Erklärungen der israelischen Oslo-Politiker – es habe sich nunmehr erwiesen, dass es auf palästinensischer Seite keinen Gesprächspartner gebe – bereitwillig an. Man gefiel sich in der Rolle, des heimkehrenden verlorenen Sohns und wärmte sich wieder am nunmehr besonders kräftig lodernden nationalen Stammesfeuer.
Das kritische Bewusstsein wurde zu Grabe getragen bzw. an die marginalisierte israelkritische Linke delegiert. Dies fiel umso leichter, als die neuen Feinde – Hisbollah und Hamas – in der Tat weniger »sympathisch« waren, gleichsam untauglich für linke israelische Solidarität und gutmenschliche Empathie. Es machte sich eine Mentalität unter den Intellektuellen breit, sich selbst zu bemitleiden und als Opfer zu verklären. Dabei wurden das brutale Okkupationsregime und die systematische Unterdrückung der Palästinenser ebenso verdrängt wie der Verlust und die um sich greifende Entseelung jeglicher Friedensperspektive.

Gleichschaltung und Entmächtigung

Und so stellt sich auch der Gaza-Krieg als bedrückender Bankrott der kritischen Intelligenz Israels dar. Was sich bereits im zweiten Libanonkrieg abzeichnete, ist nunmehr an seinen Kulminationspunkt gelangt: die selbst auferlegte Gleichschaltung und freiwillig angenommene Entmächtigung. Es wird allenthalben viel geschrieben, viel geredet, aber die kritische Reflexion über die Wirkzusammenhänge der neu ausgebrochenen Barbarei ist mit wenigen, auf eine Feigenblattfunktion reduzierten Ausnahmen kaum noch zu hören und zu lesen. Partei- und lagerübergreifend schweigt man im noch besten Fall, suhlt sich aber ansonsten genüsslich im patriotischen Konsens der vermeintlichen Alternativlosigkeit zum Nun-mal-so-Geschehenen. Jahrelang Erprobtes dominiert den öffentlichen Raum. Es ist eine Mischung aus medialer Selbstgefälligkeit und narzisstischer Betroffenheit, aus gewachsener Verhärtung gegenüber dem Leid der Zivilbevölkerung im bombardierten Feindesland, der offenen Feindseligkeit gegen die Araber im eigenen Land, einer im Kollektivkitsch aufgehenden Sentimentalität und »volkstümlichen« Überspanntheit. Überlagert wird dies alles von einer schier unerschöpflichen Selbstgerechtigkeit.
Früher oder später wird die Eule der Minerva wieder ihren Flug beginnen. Welche nahöstliche Dämmerung dabei eingebrochen sein wird, muss sich erst noch erweisen. Mit einem Ruhmesblatt der kritischen Intelligenz Israels wird es auf alle Fälle nichts zu tun haben.

Moshe Zuckermann ist ein israelischer Soziologe, er lehrt als Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv und ist Autor zahlreicher Bücher.

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