Vergangene Nacht wurde offensichtlich der geplante Titel des Spiegel kurzfristig gekippt. In der Online-Ankündigung hieß der Titel noch: "Das Ende des Atomzeitalters".
An den Kiosken liegt aber ein ganz anderer Titel: "Unser feindlicher Planet".
Dass Redaktionen - gerade angesichts der sich überschlagenden Ereignisse - neue Schwerpunktsetzungen vornehmen und die Cover ihrer Zeitungen ändern, ist nichts Außergewöhnliches.
Aber hier wurde die politische Aussage fundamental geändert. Angesichts der Äußerungen von Angela Merkel, nach denen der GAU in Fukushima ein Zeichen dafür sei, "dass es Kräfte in der Natur gibt, vor denen wir machtlos stehen und die von uns immer wieder ein Stück Demut erfordern", könnte man den Schluss ziehen, dass der Spiegel über Nacht auf Regierungslinie eingeschwenkt ist.
Es wäre interessant zu erfahren, welche Debatten dieser Entscheidung vorausgingen.
Kommentare 25
Bei Spiegel online heißt der Titel just im Moment immer noch 'Das Ende des Atomzeitalters' :-)
Das ist ja ein Hammer,
Danke für den Hinweis:
Steht doch gerade das Atomzeitalter als Ausgeburt des kalten Atomaren krieges gegen die menschheit und die natur unseres Planeten.
Mit dem neuen Titel des Spiegels klingt es so, als ob die Natur das Atomzeitalter stört und nicht umgekehrt
Die Zeiten, da ich den SPIEGEL als aufklärerische Blatt schätzte und gern las sind längst vorbei. Mich wundert dies nicht. Im einstigen Flaggschiff des investigativen Journalismus feiern Euphemismus und Neusprech fröhliche Urstände. Der Bedarf an Vertuschung ist im Moment sicher so groß wie schon lang nicht mehr. Ein Boykott wäre sicher das Beste – andererseits gilt auch der Satz, don’t feed the troll.
"Ullrich Läntzsch schrieb am 13.03.2011 um 11:48
Die Zeiten, da ich den SPIEGEL als aufklärerische Blatt schätzte und gern las sind längst vorbei."
Dem schließe ich mich gerne an und ich habe seit vielen Jahren kein Exemplar mehr gekauft. Allerdings nutze ich häufig die Online-Ausgabe, weil ich noch keine aktuellere Seite gefunden habe. Sollte jemand etwas gleichwertiges kennen, bin ich für Hinweise dankbar.
..mich wundert es nicht, wenn ein blatt mit diesem gewicht bis zur letzten minute versucht, die mitte des vermuteten leserinteresses abzuwägen. warten wir doch einfach noch bis morgen, mal schauen, wie dann das titelblatt aussieht. den weltkatastrophen ist es schließlich egal, was der spiegel schreibt :O
Da ist viel telefoniert und gemailt und gesimst worden, vermute ich.
Man darf auch nicht den aufwand unterschätzen, bzw. das geld, das sich der spiegel diese änderung hat kosten lassen: mein kioskhändler hier in berlin hat nur eine kleinen teil der üblichen lieferung bekommen, weil der titel quasi über nacht erneuert wurde - von einem angemessenen fazit hin zu einer sagenhaften verdrehung.
vor allem vor dem hintergrund der großen BILD-schelte vor zwei wochen ist das interessant. und wenn es dann im zweiten teil des titels (der übrigens vom unpolitischsten aller ressorts abgehandelt wird, nämlich wissenschaft und technik) heißt, vor allem ältere meiler seien für naturkatastrophen schlecht gerüstet, vermisst man bei all den vermeintlichen parallelisierungen mit tschernobyl doch den hinweis darauf, dass ein großteil der deutschen akws (14 der noch betriebenen) ebenfalls in den siebzigern gebaut wurde. darunter sind auch mehrere siedewasserreaktoren - wobei man wiederum nicht so tun darf, als sei allein dieser reaktortyp gefährdet.
Es wäre interessant zu erfahren, welche Debatten dieser Entscheidung vorausgingen.
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Wieso Debatten? Es würde m.E. ein Befehl ausreichen. Oder ggf. ein Deal. Das mit Debatten kann ich mir ziemlich schlecht vorstellen.
Wenn der Planet gegen uns ist, dann machen wir ihn eben fertig!
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Die neoliberale Phalanx wäre längst auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet, wenn ihnen die (und da beißt sich der Hund in den Schwanz – die neoliberalen) Mainstream-Medien nicht das Überleben sicherten. Seit Scholz die Wahlen in HH gewonnen hat, kann der Seeheimer Kreis vor Kraft kaum gehen. Das bemerkt man auch in der Berichterstattung durch die Tagesschau-Redaktion (war gestern über den Tag verteilt minutiös zu beobachten, wie Ursache und Wirkung verdreht wurden). Der Spiegel befindet sich also in allerbester Gesellschaft.
Diese Schlussfolgerung lag mir auch nah... ich meine, im Bezug auf Artikelüberschrift im Spiegel.
dito
kann ich mir lebhaft vorstellen, aber auch die systemerhaltenden Kräfte der verinnerlichten Schere im Kopf.
Inzwischen wurde der AKW-kritische Titel bei Spiegel-Online wieder eingestellt. DIe erste Auflage, die ausgeliefert wurde, hat noch den alten über den "feindlichen Planeten". Die Hauptauflage wird dann wohl die - angesichts der Ereignisse politisch klarere - Stoßrichtung haben, wie ursprünglich geplant. Die Spekulation, es habe da eine Art "Rückzieher" gegeben, war wohl verfrüht.
Vielleicht haben die diesen Blog gelesen, und kamen sich "erwischt" vor, hehe
why not
Naja, der Ersatztitel war reicht weinerlich. Mama, der böse Planet hat wieder zugeschlagen. Larmoyant. Heftiges Klagen. Wahrscheinlich sind sie von selbst drauf gestoßen. So BLÖD wie BILD sich sie ja noch nicht.
Keine Debatte ein einfacher Anruf der Bilderberger meinungsmacher Gereichte hier mehr Brauchtte es nicht.
Liebe Frau Zinkant,
1. Was qualifiziert denn den Alternativtitel Ansicht nach zu einer »sagenhaften Verdrehung«? Ich habe den Spiegel nicht gelesen, denn das tue ich schon geraume Zeit nicht mehr, aber ich könnte mir durchaus vorstellen, daß nicht nur die Überschrift, sondern auch der zugrundeliegende Schwerpunkt ein anderer gewesen sein könnte: der liegt einmal bei der Atomkraft und das andere Mal bei der Naturgewalt.
Am Tsunami und den Verwüstungen, die er hinterließ, sind ja nun weder die AKW noch die Politik schuld, insofern muß der Umstand, den Schwerpunkt auf die Naturgewalt zu legen nicht schon heißen, der anderen Debatte, nämlich der über die AKW, aus dem Wege zu gehen.
2. Offen verblüfft hat mich eine Nebenbemerkung von Ihnen: Seit wann sind denn Wissenschaft und Technik, ob nun als Zeitungsressort oder anders, unpolitisch?
Diese Auffassung, Frau Zinkant, stammt aus genau der Zeit, als man sich für großtechnische Anlagen wie eben: die AKW höchst interessiert zeigte. Einen letzten Nachhall hatte sie noch Mitte der 1970er-Jahre, als man sie unter dem Stichwort »Finalisierungsthese« diskutierte.
Selbstredend sind Wissenschaft und Technik genausowenig unpolitisch wie etwa die Ökonomie, auch wenn sich Wissenschaftler und Techniker diese Ideologie nur zu gerne selbst zuwidmen. Sie liegt auf einer Ebene mit den anderen großen gesellschaftlich formbestimmenden Machinationen unserer Epoche und selbstredend gehörte es sich auch, sie genauso zum Thema (i.e. mit ihr Schluß) zu machen wie die Atomkraft selbst.
Das ist kritische Vernunft, die man von den Wissenschaftlern und Technikern im Zuge der aktuellen Entwicklung erwarten und durchaus energisch einfordern sollte, denn eben weil die Wissenschaft keine völlig separate Sphäre der Gesellschaft ist, kann sie nicht einfach weiterhin so tun, als ginge sie all das, was draußen vor der Labortür passiert, gar nichts an.
Viele Grüße
Josef Allensteyn-Puch
Mhmm. Hat der Spiegel seine Änderung nicht wieder zurückgenommen? Auf der Spiegel-Seite ist jedenfalls weiterhin der Titel "Das Ende des Atomzeitalters - Fukushima 12. März 2011, 15.36 Uhr" zu sehen.
Eventuell- würde mir komisch vorkommen, aber möglich wärs- kommt der Spiegel auch mit zwei verschiedenen Titelblättern (aber natürlich derselben Titelgeschichte) heraus. Das ist in der Vergangenheit auch schon öfters vorgekommen, jedoch meistens bei anderen Titel-Geschichten.
Ach ich bin mal wieder zu spät. Es wurde hier auch schon gemerkt. Ich gelobe das ich mir beim nächsten Mal alle Kommentare durchlese, bevor ich was dazu schreibe.
Auf Spiegel Online ist die Ankündigung für Heft 11/2011 immer noch mit dem Titel "Das Ende des Atomzeitalters".
Zufall oder doch Zivilcourage?
Entschuldigung - ich habe den Kommentar 240095 von Michael Pickardt am 13.03.2011 um 14:06 nicht gelesen bevor ich meinen Kommentar gepostet hab.
Aktualisieren sollte man eben bevor man was schreibt...
Vorschnelle Verurteilung. Die Titel wurden in umgekehrter Reihenfolge gemacht. Erst kam "Unser feindlicher Planet", und dann das Ende des Atomzeitalters. Ist auch logisch, dass die Online-Ausgabe den neuen Titel zeigt.
Und woher solche Informationen? Arbeiten Sie für Spiegel? Die Frage ist nicht ironisch gemeint und kein Angriff. Man möchte nur wissen, ob die Informationen glaubwürdig sind.