Banken, Giralgeld und Kredite

Geldschöpfung Geschäftsbanken sammeln das Geld von Sparenden und verleihen es als Kredit an andere weiter, so eine populäre These. Aber stimmt das wirklich? Eine Spurensuche

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Woher nehmen Banken das Geld, wenn sie einen Kredit vergeben? Die herkömmliche Antwort lautet: Natürlich von den Kunden, die das Geld bei ihnen angelegt haben. Banken käme daher eine Vermittlungsfunktion zu, da sie das Geld von ganz vielen Sparwilligen einsammeln und es wiederum an ganz viele Kreditsuchende verteilen. Da dieser Prozess aus irgendeinem Grund zu einer Ausweitung des von der Zentralbank ausgegebenen Geldes führt, bedient man sich der Theorie des Geldschöpfungsmultiplikators, um die von den Geschäftsbanken maximal schöpfbare Buchgeldmenge zu beschreiben. Was auch überhaupt nicht seltsam ist: Indem etwas verliehen wird, wird es auf wundersame Art und Weise mehr.

Es wird nämlich davon ausgegangen, dass Banken von den Kundeneinlagen die sogenannte Mindestreserve zurückhalten und den Rest als Kredit einem anderen Kunden zur Verfügung stellen würden; nach Überweisung auf eine andere Bank wird aus dem Kredit eine neue Kundeneinlage, von der wiederum die Mindestreserve einbehalten wird usw. Ausgangspunkt der maximalen Geldmenge sei dabei immer die Zentralbank, weshalb sie die volle Kontrolle darüber habe, wie viel Geld tatsächlich im Umlauf ist. Aus diesem Grund kann sie auch direkt Einfluss auf die Inflationsrate nehmen, um je nach Bedarf das Wirtschaftswachstum zu stimulieren oder zu drosseln. Soweit die althergebrachte graue Theorie.

Angesichts dieses kurzen Abrisses ergeben sich einige Fragen:

1) Es existiert Zentralbankgeld, das in Form von digitalen Reserven und physischem Bargeld vorliegt und nur von der Zentralbank erschaffen werden kann, und Buchgeld, das von den Geschäftsbanken selbst erschaffen wird. Wird Bargeld von einer Bank zur anderen Bank transferiert, kann die Empfängerbank damit tatsächlich ihre Mindestreservepflicht erfüllen. Wie aber will sie an Zentralbankgeld kommen, wenn die zahlende Bank ihr lediglich Buchgeld überweist?

2) Die Reserven, die eine Geschäftsbank auf ihrem Konto bei der Zentralbank hat, können von ihr jederzeit in Bargeld umgetauscht werden und umgekehrt. Analog kann ein Kunde sein Kontoguthaben jederzeit bei seiner Bank in Bargeld umtauschen und umgekehrt. Wenn eine Geschäftsbank nun lediglich einen Teil einer Kundeneinlage als Mindestreserve behalten muss und den überschüssigen Rest problemlos weiterverleihen kann – wie stellt sie dann sicher, dass sie genügend Bargeld hat, wenn der Kunde eine Auszahlung wünscht? Da sie selbst ja nur die Mindestreserve hält, befindet sich der Großteil der Kundeneinlage bei anderen Banken und wurde als Kredit vergeben. Müssen Banken nun ihre Kredite an Kunden kündigen, wenn der allererste Kunde in der Geldschöpfungskette eine Barauszahlung wünscht?

3) Die maximale Geldmenge ist aufgrund der Mindestreserve auf das Vielfache ihres Kehrwerts begrenzt – bei einer beispielhaften Mindestreserve von 10 Prozent könnten etwa aus 1000 Euro Zentralbankgeld maximal 10.000 Euro entstehen. Heißt das also, dass bei voller Geldmengenauslastung ein Kreditsuchender erst wieder warten muss, bis andere Kunden Einlagen in ausreichender Höhe bei seiner Bank eingezahlt haben? Kredit wäre dann unter Umständen ein knappes Gut, dass nicht immer und überall zur Verfügung steht.

4) In Australien, Kanada und Schweden existieren zur Zeit keine Mindestreservevorgaben für die Geschäftsbanken. Können die Banken dort also vorhandenes Zentralbankgeld unendlich oft vervielfältigen? Wie soll das funktionieren, wenn sie nur dann Kredite vergeben können, sofern Kundeneinlagen in ausreichender Höhe vorhanden sind?

Wer sich auf den Weg macht, diese Fragen zu beantworten, wird sehr schnell feststellen, dass das Modell des Geldschöpfungsmultiplikators die Dinge derart stark vereinfacht, dass seine Schlussfolgerungen mit der Realität kaum mehr etwas gemein haben. Gehen wir daher die aufgeworfenen Probleme der Reihe nach durch und schauen uns an, mit welchen schlüssigen Erklärungsansätzen sie sich auflösen lassen.

Wie Geld als Kredit in Umlauf kommt

a) Es ist tatsächlich so, dass zwei voneinander getrennte Geldkreisläufe existieren: Erstens der Reservenkreislauf, an dem nur die Zentralbank, die Geschäftsbanken und die Regierung beteiligt sind, und zweitens der Buch- bzw. Giralgeldkreislauf, an dem nur die Geschäftsbanken und der Privatsektor beteiligt sind. An Reserven bzw. Bargeld gelangen Geschäftsbanken, wenn sie einen Kredit bei der Zentralbank aufnehmen; analog gelangt der Privatsektor an Buchgeld, wenn er einen Kredit beim Bankensektor aufnimmt. Dieses Buchgeld verbrieft einen Herausgabeanspruch des gesetzlichen Zahlungsmittels Zentralbankgeld, weshalb der Privatsektor sein Kontoguthaben bei den Geschäftsbanken jederzeit in Bargeld eintauschen kann. Aus diesem Grund beschreibt Geld immer ein doppeltes Schuldverhältnis: Der Bankensektor schuldet der Zentralbank Reserven, die Zentralbank den Geschäftsbanken im Gegenzug Bargeld; seinen Kunden schuldet der Bankensektor dagegen Bargeld, während sie ihm im Gegenzug Buchgeld schulden. (Auch die Regierung kommt in erster Linie nur an Reserven, wenn sie sich durch die Ausgabe von Staatsanleihen verschuldet; die verzinsten Staatsanleihen werden dabei an die Geschäftsbanken verkauft, die ihre von der Zentralbank ausgeliehenen Reserven der Regierung übergeben – die Geschäftsbanken tauschen also ihre Pflicht zur Zinszahlung gegen das Recht ein, Zinsen aus Steuermitteln zu erhalten. Natürlich könnte die Regierung ihre Staatsanleihen auch direkt an die Zentralbank verkaufen – aber dann würden die Geschäftsbanken leider keine Steuersubventionen mehr erhalten, weshalb der Vertrag von Lissabon das für die Eurozone strikt verbietet). Wenn ein Kunde nun sein Guthaben von einer Bank zu einer anderen Bank auf elektronischem Wege überweist, dann verändern die Banken auf Kundenebene zunächst nur die Buchgeldbestände der entsprechenden Konten. Für den Zahlungsausgleich auf Bankenebene dagegen müssen sie entweder auf Zentralbankgeld zurückgreifen (die Transaktion wird dann über die Konten beider Banken bei der Zentralbank verrechnet) oder aber sich gegenseitig einen Zahlungsaufschub gewähren (der dann über das sogenannte Bankenkontokorrentkonto abgewickelt wird). Im ersten Fall hat die Empfängerbank also tatsächlich Reserven erhalten – im zweiten Fall dagegen nicht. Um nun einer eventuellen Mindestreservepflicht nachzukommen, muss sie sich die Reserven also entweder bei anderen Banken oder der Zentralbank leihen, was bei einem funktionierenden Interbankenmarkt oder über die sogenannte Spitzenrefinanzierung jederzeit problemlos möglich ist. Während der Geldschöpfungsmultiplikator also unterstellt, dass der Geldkreislauf geschlossen sei (da aus vorhandenem Zentralbankgeld ohne Probleme ein Vielfaches an Buchgeld entstehen könne), finden wir in der Realität einen offenen und flexiblen Geldkreislauf vor, in dem Banken zu jeder Zeit an zusätzliche Reserven gelangen können, wenn sie ausreichende Sicherheiten vorweisen können.

b) Aus den soeben genannten Gründen stellt es daher auch kein Problem dar, wenn irgendein Kunde eine Auszahlung seines Guthabens in Bargeld wünscht: Die Bank reduziert einfach den Buchgeldbetrag auf dem Kundenkonto und vermindert gleichzeitig ihren eigenen Kassenbestand, der vollkommen unabhängig ist von der Anzahl der Kredite, die sie vergeben hat. Sollte sie zu wenig Bargeld haben, so nimmt sie bei der Zentralbank einfach einen weiteren Kredit auf und tauscht ihre Reserven in die Lieferung von Bargeld um, wodurch sich ihr Kassenbestand wieder füllt. Bargeldauszahlungen an Kunden können sich also verzögern, wenn das Bargeld seitens der Zentralbank noch geliefert werden muss – die im gesamten System vorhandene Kreditmenge ändert sich durch eine Auszahlung jedoch nicht. Eine Geschäftsbank muss also im Idealfall immer genug Bargeld bzw. Reserven bereithalten, um eventuelle Auszahlungs- und Überweisungswünsche ihrer Kunden ohne große Wartezeiten zu erfüllen – genau das (also die Ausstattung der Banken mit minimaler Liquidität und die damit einhergehende Stabilisierung des Bankensystems) ist der eigentliche Sinn der Mindestreserve. Denn wenn aufgrund des Gerüchts einer drohenden Zahlungsunfähigkeit zu viele Kunden ihr Guthaben ausgezahlt oder überwiesen haben wollen („bank run“) und die Bank aufgrund unzureichender Sicherheiten nicht mehr an weiteres Zentralbankgeld gelangt, so ist sie tatsächlich insolvent – denn alle Einlagen, die sie von ihren Kunden und anderen Banken erhalten hat, stellen Schulden für sie dar. Die Mindestreserve dient also der Unterstützung der Zahlungsfähigkeit der Banken und nicht, wie die Multiplikatortheorie unterstellt, ihrer Fähigkeit zur Schöpfung von Kreditgeld.

c) Ist Kredit ein knappes Gut, das unter Umständen „ausverkauft“ sein kann und dessen Bestände sich dann erst wieder erholen müssen, weil einer Bank die Einlagen fehlen? Es gibt tatsächlich einen Typ von Kreditinstituten, bei denen das der Fall ist: Sie heißen Bausparkassen. Beim Bausparprinzip legen zunächst ganz viele Sparende ihr Geld zusammen und erwerben jeweils ein zukünftiges Anrecht auf ein Darlehen, das tatsächlich nur dann gewährt werden kann, wenn genügend Geld dafür zusammengekommen ist – eben wenn es „zuteilungsreif“ geworden ist. Frage: Warum muss man bei der Bausparkasse auf die Zuteilungsreife eines Darlehens warten, aber beim Sofortkredit oder einem Baudarlehen von einer Geschäftsbank nicht? Weil die Bausparkasse wirklich das gesammelte Ersparte als Kredit weiterreicht, die Geschäftsbank aber davon unabhängig und zu jeder Zeit zusätzliches Buchgeld schöpfen kann, um einem Kunden einen Kredit zu geben.

Wie kann das möglich sein? Bei einer Kreditvergabe handelt es sich zunächst nur um einen reinen elektronischen Buchungsvorgang: Die Bank schreibt sich auf ihre Aktivseite eine Forderung bzw. einen Vermögenswert und schafft im selben Augenblick eine Kundeneinlage (also eine Verbindlichkeit auf ihrer Passivseite) in derselben Höhe; und da Kundenkonten bei Geschäftsbanken definitionsgemäß nur Buchgeldbeträge speichern können und eben kein Zentralbankgeld (das können nur die Konten der Geschäftsbanken bei der Zentralbank), ist allein durch diesen Buchungsvorgang neues Buchgeld entstanden, das vorher noch nicht existiert hat. Geschäftsbanken haben in Bezug zu Buchgeld also prinzipiell dieselbe Potenz wie die Zentralbank zum Zentralbankgeld: Sie können es voraussetzungslos und zu jeder Zeit selbst schöpfen, weshalb sie eben auch zu jeder Zeit einen Kredit vergeben können.

Was passiert nun aber, wenn ein Kunde seinen frisch erhaltenen Kredit in Bargeld ausgezahlt haben möchte? Sollte die Bank tatsächlich keinen Kassenbestand mehr haben, so müsste sie sich zunächst Reserven bei der Zentralbank ausleihen und sie wie oben beschrieben in Bargeld umtauschen – erst durch den Auszahlungswunsch des Kunden ist sie also verpflichtet, ihren selbst erschaffenen Kredit mit Zentralbankgeld zu hinterlegen. Auch wenn das Geld aus dem Kredit an eine andere Bank überwiesen werden soll, so ist Zentralbankgeld nicht unbedingt nötig dafür, denn die Banken könnten zum Zahlungsausgleich ja einfach einen Zahlungsaufschub bzw. ihrerseits ein Kreditverhältnis über das Bankenkontokorrentkonto vereinbaren. Banken können daher prinzipiell und auch faktisch Kredite gewähren, ohne dass ihnen vorher irgendwelches Geld zugeflossen sein muss. Da der Geldschöpfungsmultiplikator aber genau das unterstellt, wird er beispielsweise sowohl von der Deutschen Bundesbank als auch von der Bank of England zurückgewiesen. [1]

d) Aus allem Vorhergesagten ergibt sich damit zwingend, dass die Mindestreservepflicht für die Kreditvergabefähigkeit von Geschäftsbanken keine Rolle spielt. Aus Sicht der Zentralbank ist eine Mindestreserve – neben der bereits erwähnten Sicherstellung der Liquidität des Bankensystems – deshalb interessant, weil sie für eine kontinuierliche Nachfrage der Geschäftsbanken nach Reserven sorgt, wodurch sie den Zins am Interbankenmarkt (also den Preis, für den sich Geschäftsbanken gegenseitig Reserven leihen) besser steuern kann. Im Euroraum gibt es für den Interbankenmarkt zwei wesentliche Leitzinsen, nämlich einmal den aktuell bei 0,25 Prozent liegenden Spitzenrefinanzierungszins (das ist der Preis, für den sich Banken kurzfristig Reserven bei der EZB leihen können) und den zur Zeit bei -0,5 Prozent liegenden Zins der sogenannten Einlagenfazilität, den Banken bekommen (bzw. aktuell zahlen müssen), wenn sie ihre überschüssigen Reserven bei der EZB anlegen. Diese beiden Zinssätze legen den Zinskorridor fest, mit dem Geschäfte am Interbankenmarkt abgeschlossen werden können, denn dort haben die Banken die attraktive Möglichkeit, für das Ausleihen von Reserven weniger als 0,25 Prozent zu zahlen und für das Anlegen von Reserven mehr als -0,5 Prozent Zinsen zu erhalten (bzw. weniger als 0,5 Prozent dafür zu zahlen). Durch das Hin- und Herschieben überschüssiger Reserven können die Banken die Zentralbankliquidität effizienter unter sich aufteilen, wodurch sie weniger Kosten tragen und die volkswirtschaftlich bedeutende Dienstleistung des Zahlungsverkehrs optimiert wird. Und da Zentralbankgeld, solange es nur auf den Konten der Geschäftsbanken bei der Zentralbank liegt, nicht in die Realwirtschaft gelangt, ist ein Überschuss an Reserven (entgegen der aktuellen medialen Angstmacherei) für die Inflationsrate vollkommen unerheblich.

Eine andere Geldpolitik ist möglich

Schlussendlich kontrolliert die Zentralbank also nicht die umlaufende Geldmenge, sondern den Marktzins, der das Wachstum von Buchgeld (also die Schöpfung und Vergabe von Krediten) indirekt beeinflusst. Wer dieses neu geschöpfte Buchgeld erhält, steuern die Geschäftsbanken durch ihr Kreditvergabeverhalten. Da vermögendere Haushalte in den Augen einer Geschäftsbank stets eine höhere Bonität haben als ärmere Haushalte, erhalten erstere üblicherweise mehr Kredit, den sie tendenziell in Vermögenswerte (wie etwa Immobilien, Aktien oder Staatsanleihen) investieren – auf diese Weise reproduziert und verstärkt sich die bestehende Vermögensverteilung, während die Gefahr von Instabilitäten auf den Finanz- und Kapitalmärkten zunimmt.

Wenn aber die EZB Herrin über das Zentralbankgeld ist und ohne Inflationsgefahren die Geschäftsbanken mit Reserven stützen kann – warum darf sie dann nicht auch die Regierungen direkt mit Zentralbankgeld unterstützen, so wie es in Kanada schon seit 2011 (übrigens ohne Anstieg der Inflationsrate) erfolgt? Eine Regierung muss das Geld für sinnvolle Investitionen nicht vorher über die Steuer einnehmen – sie kann sich theoretisch einfach bei ihrer Zentralbank verschulden, um in Infrastruktur zu investieren, eine Jobgarantie und ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen oder einen Staatsfonds aufzulegen, der das umlagefinanzierte Rentensystem um einen Kapitaldeckungsbaustein ergänzt.

Dass Geld knapp zu sein hat, und zwar insbesondere für eine Staatsregierung, ist kein Naturgesetz. Es ist eine Setzung, ein Axiom, eine Forderung von Leuten, die sich innerhalb der Ökonomie sehr stark mit den neoklassischen und monetaristischen Theorieströmungen identifizieren können, die seit Jahrzehnten den ökonomischen Diskurs beherrschen und mit einem absolutistischen Gültigkeitsanspruch alternative Erklärungsansätze diskreditieren. Ökonomie aber ist keine exakte Naturwissenschaft, sondern eine Sozial- und Gesellschaftswissenschaft, und als solche muss sie es sich gefallen lassen, dass gesellschaftliche Phänomene stets uneindeutig sind und daher auf sehr viele verschiedene Weisen interpretiert werden können, von denen manche schlüssiger, andere weniger schlüssig sind. Aus genau diesem Grund ist Geld eine Fantasie, eine gesellschaftliche Übereinkunft, eine vom Menschen selbst geschaffene Fiktion (Inflation und die Angst vor ihr wären dann so etwas wie „Fiktionskrisen“), deren Gesetzmäßigkeiten und Funktionsweise er beliebig verändern könnte, wenn er es nur wollte. Die moderne marktkonforme Demokratie, die als „Soziale Marktwirtschaft“ zu bezeichnen sich verbietet, wenn man noch ein wenig Anstand hat, ist in aller Munde; wann also debattieren wir endlich darüber, wie ein demokratiekonformer Markt aussehen könnte?

[1]: Bereits 1995 heißt es in einer Publikation über Die Geldpolitik der Bundesbank:

„Über die Spannungsverhältnisse am Geldmarkt beeinflußt die Bundesbank mittelbar die an den nachgelagerten Kredit- und Kapitalmärkten herrschenden Bedingungen. Auf etwas längere Sicht lenkt sie über diese Übertragungskanäle das Kreditangebotsverhalten der Banken und die Geld- und Kreditnachfrage der Wirtschaft in die von ihr gewünschte Richtung. Im Ergebnis wird sich damit die monetäre Expansion auf ein Tempo zubewegen, das mit der Einhaltung des Geldmengenziels vereinbar ist. Es liegt in der Natur dieses mittelbaren Steuerungsverfahrens, daß die erforderlichen Korrekturen der an den Märkten herrschenden Finanzierungsbedingungen und die Beeinflussung des Geldmengenwachstums nicht nur Zeit erfordern, sondern auf kürzere Sicht auch nie mit letzter „Treffsicherheit“ vorgenommen werden können. Die Bundesbank tastet sich daher gewissermaßen durch einen flexiblen Einsatz ihrer geldpolitischen Instrumente an die angestrebten Ergebnisse heran. Dieser Übertragungsmechanismus, in dem sich die Impulse der Notenbank mittelbar niederschlagen, ist mitbestimmt durch die Eigenarten des Mindestreserve- und Refinanzierungssystems in Deutschland (vgl. S.122ff.) und das typische Geschäftsverhalten der hiesigen Kreditinstitute.

Es wäre nicht nur aus diesem Grund verfehlt anzunehmen, die Bundesbank könnte ihr Monopol über die Schaffung von Zentralbankgeld unmittelbar dazu benutzen, das Wachstum der Geldmenge auf ganz kurze Sicht – also etwa von Woche zu Woche oder von Monat zu Monat – genau auf dem vom Geldmengenziel vorgezeichneten Pfad zu halten. Die Bundesbank kann weder die Expansion der Geldmenge in beliebiger Weise unmittelbar beschränken, indem sie überschießende Nachfrage der Banken nach Zentralbankguthaben einfach unbefriedigt läßt, noch ist sie in der Lage, eine zu schwache Nachfrage nach Zentralbankgeld durch die Schaffung von Überschußguthaben der Kreditinstitute so nahtlos auszugleichen, daß die Ausweitung der Geldmenge zu keinem Zeitpunkt hinter den gesteckten Zielen zurückbleibt. Vielmehr liegt es in der Natur des komplexen Geldschöpfungsprozesses, in dem Notenbank, Kreditinstitute und Nichtbanken zusammenwirken, daß die Bundesbank nur durch entsprechende Gestaltung der Zinskonditionen und sonstigen Bedingungen, zu denen sie laufend Zentralbankguthaben bereitstellt, mittelbar darauf hinwirken kann, daß die Geldmenge sich in dem angestrebten Rahmen entwickelt. Die Bundesbank setzt auch aus diesem Grund nur Jahresziele für das Geldmengenwachstum fest.

Eine einzelne Bank beurteilt ihren Liquiditätsstatus nicht einfach danach, wie hoch ihre tatsächlichen Guthaben bei der Notenbank sind, sondern bezieht auch ihre Geldmarktforderungen gegenüber anderen Banken sowie ihre unausgenutzten Verschuldungsmöglichkeiten bei der Notenbank und am Interbankengeldmarkt in ihr Kalkül ein. Überschüssige Zentralbankguthaben oder unausgenutzte Refinanzierungslinien bilden daher keinen unerläßlichen Ausgangspunkt der Geldschöpfung, solange ein funktionierender Geldmarkt unter Banken besteht. Entschließen sich die Banken aber erst einmal zur Expansion ihrer Aktiva oder nutzen die Bankkunden die von den Kreditinstituten verbindlich eingeräumten Darlehenszusagen aus, wird der Geldschöpfungsprozeß zunächst auch ohne Zutun der Notenbank in Gang gesetzt. Damit entsteht – nachdem die zur Kredit- und Geldmengenexpansion führenden Entscheidungen von Wirtschaft und Banken bereits gefallen sind – unvermeidlich ein zusätzlicher Bedarf an Zentralbankgeld für das Bankensystem als Ganzes, da Bargeldumlauf und Mindestreserve-Soll zunehmen. Dieser Bedarf ist kurzfristig nahezu unelastisch: Zum einen regulieren die Banken normalerweise ihre laufende Mindestreserveposition ohne nennenswerte Überschußguthaben. Zum andern sind sie innerhalb eines Kalendermonats kaum in der Lage, durch Umdispositionen im Aktiv- und Passivgeschäft mit der Nichtbankenkundschaft die Höhe ihres – zur Monatsmitte bereits feststehenden – Reserve-Solls noch wesentlich zu beeinflussen. Die Bundesbank kommt somit nicht umhin, auf ganz kurze Sicht den Zentralbankgeldbedarf der Kreditinstitute zu befriedigen und dabei zeitweilig unter Umständen mehr Zentralbankguthaben bereitzustellen, als dies der Zielpfad für das Geldmengenwachstum eigentlich zuließe.“ (S. 91f.)

Dass Sparen als Anhäufung von Bankguthaben keine volkswirtschaftliche Voraussetzung für die Kreditvergabe durch Geschäftsbanken ist, findet sich zudem in der bereits 1944 veröffentlichten Publikation Kredit und Sparen des Ökonomen Hans Gestrich (S. 62-83).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maximilian Runge

Studierter Germanist und Philosoph, dem Gemeinwohl verpflichtet. Selbständiger Finanzberater. Beschäftigt sich mit Geldtheorie und deren Kritik.

Maximilian Runge

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