Über Inflation und ihre Ursachen

Eurozone Weil zu hohe Staatsschulden zu Inflation führen sollen, darf die EZB die Staaten nicht direkt finanzieren. Ein Blick in die Historie entkräftet diesen Zusammenhang jedoch

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In der Eurozone gelangen Staaten an Geld, indem sie sich vom europäischen Bankensektor einen Kredit geben lassen. Der wiederum leiht sich das Geld von der EZB – die Euroländer zahlen also mit sogenanntem Zentralbankgeld. Wenn der Bankensektor Staaten als nicht mehr kreditwürdig erachtet (wie das etwa in Griechenland 2010 der Fall war), kann er ihnen den Geldhahn komplett zudrehen, weshalb europäische Staaten tatsächlich zahlungsunfähig werden können. Diese Regelung ist allerdings eine geldpolitische Entscheidung der Euroländer, die für das Funktionieren der Volkswirtschaft nicht notwendig ist; in Kanada oder den USA etwa können die Regierungen direkt einen Kredit bei ihrer Zentralbank aufnehmen, sodass diese Staaten tatsächlich niemals pleitegehen können.

In der Europäischen Union hatte man sich 1992 mit dem Maastricht-Vertrag für ein Verbot der direkten Staatsfinanzierung durch die EZB entschieden, weil man fälschlicherweise immer noch davon ausgeht, dass eine zu hohe Staatsverschuldung automatisch mit Inflation und Geldentwertung einhergeht. Um die Staatsdefizite in der Eurozone zu begrenzen, wurde daher der private Bankensektor dazu ermächtigt, die Höhe der staatlichen Verschuldung zu überwachen und die Regierungen in ihrem Ausgabeverhalten somit zu „disziplinieren“.

Tatsächlich aber ist eine Korrelation zwischen Staatsverschuldung und Inflation bzw. Geldmengenausweitung und Inflation empirisch nicht zu beobachten, wie Datenbestände der letzten 50 Jahre für die USA zeigen. Inflation als kontinuierliche Geldentwertung ist eher dann vorhanden, wenn die volkswirtschaftliche Gesamtnachfrage das Gesamtangebot an Gütern und Dienstleistungen übersteigt. Nachfragen und konsumieren kann aber nur, wer auch das nötige Geld dafür hat und somit Kaufkraft besitzt. Inflation taucht also erst dann auf, wenn die gesamtgesellschaftliche Kaufkraft höher ist als das, was die Volkswirtschaft an Gütern und Dienstleistungen produziert und bereitstellt; es ist daher gerade der Zusammenhang zwischen Inflation und der Veränderung der Kaufkraft (ausgedrückt als Kostenfaktor der Unternehmen), der eine sehr enge und eindeutig beobachtbare Korrelation aufweist.

Wenn aber die Kaufkraft unter den Privathaushalten und Unternehmen zu ungleichmäßig verteilt ist, dann gibt es Leute, die weniger nachfragen können, als sie eigentlich benötigen, und Leute, die so viel Kaufkraft haben, dass sie davon gar nicht mehr alles ausgeben können. In der Folge findet ein gewisser Teil der Kaufkraft nicht mehr zurück in den Wirtschaftskreislauf, wodurch Unternehmen weniger Umsatz und geringere Gewinne machen, Beschäftigte entlassen müssen und die Arbeitslosigkeit steigt. Der Staat kann dann zu 100, 1000 oder gar zu 10.000 Prozent seines BIP verschuldet sein – wenn das daraus entstehende Geldvermögen innerhalb des Privatsektors nicht gleichmäßig genug verteilt und etwa nur bei einem einzigen Haushalt konzentriert ist, dann wird es keine Inflation geben.

Da die Volkswirtschaft aufgrund des Kaufkraftdefizits unterausgelastet ist, hat der Staat nun die Möglichkeit, durch höhere Staatsausgaben (letztlich also durch eine weitere „Verschuldung“ bei der Zentralbank) den Mangel an Nachfrage auszugleichen und die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Solange er dabei die Produktionskapazität des Unternehmenssektors nicht überfordert und keine Vollbeschäftigung herrscht, kann es daher logischerweise auch nicht zu einem nennenswerten Anstieg der Inflationsrate kommen. Falls doch, kann der Staat durch Erhöhungen etwa der Einkommens-, Mehrwert- oder Unternehmenssteuer dem Privatsektor wieder Kaufkraft entziehen und so inflationären Tendenzen entgegenwirken.

Wer sich also im Euroraum eine höhere Inflationsrate wünscht, der setzt mit der geldpolitischen Ausweitung der Zentralbankgeldmenge durch die EZB aufs falsche Pferd. Es wären nämlich vor allem fiskalpolitische Maßnahmen wie eine Anhebung des Arbeitslosengeldes, die Abschaffung von Mehrwert- und Unternehmenssteuern, die Absenkung von Sozialabgaben für niedrige Einkommen und die Einführung einer staatlichen Jobgarantie, die die Kaufkraft der Privathaushalte erhöhen und sich damit positiv auf das allgemeine Wirtschaftswachstum auswirken würden. Den politischen Willen für diese Maßnahmen sucht man freilich vergebens.

Zusammengefasst tätigen Staaten oder Staatengemeinschaften mit eigener Zentralbank (wie etwa die EU oder die USA) ihre Ausgaben rein über Verschuldung, und zwar durch die Schöpfung immer neuen Geldes, wodurch der Privatsektor überhaupt erst Geldvermögen ansparen kann. Die Finanzierung öffentlicher Aufgaben wie der gesetzlichen Rente, sozialer Transferleistungen oder Investitionen in die allgemeine Infrastruktur ist daher niemals das entscheidende Problem gewesen. Wichtiger ist vielmehr die Frage: Schafft der Staat es, ausreichend realwirtschaftliche Ressourcen (also Arbeitskraft, Rohstoffe und Wissen) zusammenzubekommen und sie nachhaltig zu bewirtschaften, um seine Aufgaben zu aller Zufriedenheit zu erfüllen?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maximilian Runge

Studierter Germanist und Philosoph, dem Gemeinwohl verpflichtet. Selbständiger Finanzberater. Beschäftigt sich mit Geldtheorie und deren Kritik.

Maximilian Runge

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