Auch der Spiegel lebt jetzt von Gnade

Medienkommentar Erste Leser sind bereit, der Spiegel-Redaktion ihre schweren Fehler bei der Relotius-Berichterstattung zu verzeihen.

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Man kann ja nicht behaupten, dass der Spiegel mit Häme überschüttet worden ist. Als im Dezember letzten Jahres die jahrelangen Fälschungen im Spiegel durch seinen Reporter Claas Relotius bekanntgeworden sind, waren die Reaktionen eher nachsichtig und milde. Zwar gab es bei vielen Lesern einen Aufschrei. Doch in den Medien wurde selbst von ärgsten Konkurrenzblättern nur verhalten mit dem Finger auf die Fälschungsmalaise gezeigt. Man schien bereit, dem Magazin die Fehltritte zu verzeihen. Zu Schadenfreude ließ sich kaum jemand hinreißen. Auch aus der Politik kamen aus verschiedenen Gründen keine scharfen Verurteilungen.

Nach mehrmonatiger interner Aufarbeitung ist jetzt ein erster Bericht zu Folgerungen aus dem Fälschungsskandal erschienen. In großer Offenheit wird dabei Einblick in die Arbeit der Redaktion gegeben.

Zum Umgang mit Fehlern

Der Auflistung ausführlicher Verbesserungsmaßnahmen zur „Fehlerkultur“ und zu „Journalistischen Standards“ darf man sicher auch als unbedarfter Medienbeobachter Respekt zollen. Zum siebzehnseitigen Bericht wäre und ist dabei freilich noch viel zu sagen (Interessant z. B. das Thema „Manipulationen aus weltanschaulichen Gründen“ (S. 15 bzw. Heftseite 144) und der bemerkenswerte Umstand, dass in der „unabhängigen Kommission“ einer der involvierten Chef-“Ermittler“ während des Aufklärungsdramas (S. 8 / Heftseite 137) hier einen Bericht über seine eigene Tätigkeit anfertigt und gegenzeichnet.

Der Bericht selbst indes gibt offen zu, dass es noch weitere Fälle von Fälschungen gab. Und gibt.

So wird man vorerst resümieren können: Der jetzige Bericht wird sicher kaum mehr als einen ersten Zwischenbericht darstellen können. Von den „Folgerungen“ ist bis jetzt ja auch noch kaum etwas umgesetzt.

Fazit: Auch der Spiegel lebt jetzt von Gnade. Er lebt davon, dass ihm Leser seine Fehltritte verziehen haben und verzeihen.

Die gute Nachricht: Es ist gar nicht schlimm, von Gnade zu leben. (Das galt ja ohnehin schon immer.) Doch nun auch darum zu wissen, macht realistischer. Und vor allem: menschlicher.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

m.schuetz

Hobby-Intellektueller, angehender Humorist, (jetzt auch Spaßblogger, Aktivist und Bürgerrechtler), twittert hier nicht

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