Cicero und die Medienkrise

Dokumentation Die bisherigen Aufarbeitungsversuche zum „Fall Relotius“ sind instruktiv und könnten langfristig den früheren Qualitätsmedien wieder auf die Sprünge helfen.

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Ist das nun ein Silberstreif am Horizont der Medienkrise? Fünf Wochen nach Bekanntwerden der Fälschungen von Claas Relotius hat DER SPIEGEL am 24.1.2019 die ersten 28 von rund 60 Texten als „überprüft“ präsentiert. Bis 3. Februar war es auch für FAZ.net möglich, die drei in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) veröffentlichten Texte gegenzuprüfen. Vier Tage zuvor stellte Welt.de das Prüfungsergebnis zu den in der WELT erschienen sechs Beiträgen vor. Am 29.1. publizierte CICERO seine Recherche-Ergebnisse.

Dass die Branche besondere Eile an den Tag legte, lässt sich also nicht behaupten. Es könne einige „Monate dauern“, bis man Rezepte entwickelt habe, um ähnliche Vorfälle zu verhindern, lässt die SPIEGEL-Redaktion verlauten. Das wundert kaum, ist aber verheerend. Gäbe es noch ein Fass, schlüge es dem den Boden aus. Denn das heißt ja, dass noch immer, bis auf den heutigen Tag, Relotiussen Tor und Tür geöffnet ist.

Gut gebrüllt Löwe?

Schon vor einem Jahr - im Januar 2018 - schrieb im CICERO der (ehem.) Journalist und Leipziger Journalistik-Professor Michael Haller über die „Vertrauenskrise in den Medien“ (CICERO Titel 1/2018) und markierte aus seiner Sicht einige „Fehler im System“. Dass es große Glaubwürdigkeitsprobleme für die heutigen Medien gibt, ist ja nicht nur aus der Berichterstattung über die seinerzeitige Ukraine-Krise bekannt. Damals sagten in Umfragen bis zu 70 Prozent, dass sie den Mediendarstellungen keinen Glauben schenken würden. Für Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der ZEIT, gibt es auch zum Pressegebaren rund um den Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff 2012 nach wie vor Aufarbeitungsbedarf. Es ließen sich problemlos weitere „Großthemen“ der letzten Jahre und Jahrzehnte ergänzen.

Die grobschlächtige oder irreführende Berichterstattung fällt einem besonders dann auf, wenn ein Text ein Sachgebiet betrifft, in dem man sich selbst gut auskennt, etwa die Landwirtschaft, schrieb kürzlich ein Forist in die Kommentarspalten. Vermutlich steckt oft ein gerüttelt Maß an Interessenpolitik dahinter. Wie es jetzt wohl auch bei der Veröffentlichung überprüfter Relotius-Texte brancheninterne Absprachen gab (Zeitpunkt, Vorgehensweise, Art der einschläfernden Textrepräsentation in langen Textkolonnen – jedenfalls fällt das ähnliche methodenunscharfe Aufbereiten und das lange kollektive Abwarten auf).

Gut gebrüllt Löwe? Nun ja, zuspitzende Analyse ist das eine. Malaisen einfach laufen lassen, das andere. Mit dem kaugummiähnlichen Zustand der vierten Gewalt steht eben doch manches auf dem Spiel.

Gäbe es noch ein Fass, schlüge das dem den Boden aus

Dass es große Probleme gibt, bestätigt nun leider auch der Umgang mit den Relotius-Texten. Nicht nur, dass es erst eines Ordnungsrufes des Präsidenten des Bundesverbands der deutschen Zeitungsverleger bedurfte, damit die Presseorgane wenigstens so tun, als gäbe es ernsten Diskussionsbedarf. Auch der Versuch, die Problematik als dumme Tücke der Textsorte „Reportage“ abzutun, ist nicht überzeugend.

Denn es handelt sich ja auch um mutmaßlich gefälschte„Protokolle“, Porträts, „Meldungen und ihre Geschichte“, gar Filmkritiken.

Beim Salonmagazin CICERO sind es nun insgesamt 18 Texte, die im Fokus stehen. Das ist ein respektables Ausmaß, beinahe in SPIEGEL-Dimension. Doch zu allein vier Texten davon hat die Redaktion auch fast eineinhalb Monate nach Prüfungsbeginn laut eigenen Angaben „Bisher keine Informationen“, ob deren Inhalt stimmt. Ein Armutszeugnis. Im Klartext heißt das: Außer dass ein Individuum mit journalistischer Grundausbildung einmal behauptet hat, jene Texte gehörten veröffentlicht, gibt es keinerlei Anhaltspunkte für die Richtigkeit und den Wahrheitsgehalt dieser Zeitungsmeldungen. Und: Uns als Redaktion ist das egal.

Wirkliche Mühe scheint man sich jedenfalls nicht gegeben zu haben. Auch hier dokumentiert sich so leider nur wieder aufs Traurigste die bekannte Postulate-Presse, die der Republik schon so lange so sehr zu schaffen macht. Das ist einfach trübsinnig erschütternd, ernüchternd, verstörend, oder beides.

Die große Chance, den Fall Relotius zur „Image- und Substanz-Politur“ der Medien zu nutzen, droht so vertan zu werden.

Postulate-Presse und Herdenjournalismus

Im CICERO finden sich bei den fraglichen Textgenres auffallend viele Interviews. Ein vorsichtiger Lösungsvorschlag hier: Für Interviewtexte kann man sich im Normalfall eine Freigabe des Interviewten einholen und diese intern dokumentieren… Doch selbst da, wo die Interviewpartner bekanntere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sind, gestaltet sich die Nachrecherche (wenn sie denn ernsthaft unternommen wurde) offensichtlich schwierig: Mangels eigener Recherche(-Ergebnisse) verweist CICERO an mehreren Stellen kurzerhand auf andere Medien, z.B. die FAZ (wo ähnliche Interviews abgedruckt waren).

Ein leider generell verbreitetes Verfahren, das zugleich eines der Grundübel der Misere darstellen dürfte, dokumentiert sich so selbst noch beim Krisen-Aufklärungsversuch: Die eine unsichere Quelle schreibt von der anderen unsicheren Quelle ab und übernimmt unbesehen deren Darstellungen. Ein gefährliches Schneeballsystem…

Oder, wie der freche Volksmund sagt, eine Art „Herdenjournalismus“. Aus dem schnell die berühmte „Sau“ entstehen kann, die ungeschützt durchs Dorf getrieben wird. Auch dafür gibt es viele Beispiele, historische Persönlichkeiten wie Figuren der Zeitgeschichte. Im Falle Christian Wulffs handelte es sich beim gehetzten und „erlegten“ „Tier“ immerhin um das Staatsoberhaupt der BRD.

Chancen und des Pudels Kern

Gut, dass in der WELT sich jetzt auch Mitglieder der Redaktion den kritischen Leserfragen stellen. In der Aufarbeitung der WELT kann man übrigens lernen, dass Claas Relotius auch dpa-Meldungen verfasste. „Eine ausgezeichnete Nachrichtenagentur, mit der wir gern zusammenarbeiten“, notiert dazu Chefredakteur Michalsky.

Neben dem verbreiteten Gesinnungsjournalismus, dem bewussten Weglassen von Informationen und dem beliebten Skandalisieren (H.M. Kepplinger) nähern wir uns bei der Bearbeitung der Medienkrise mit dem methodischen Methodendefizit, ideologischen Setzungen und dem blinden Abschreiben womöglich und allmählich doch des Pudels Kern.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

m.schuetz

Hobby-Intellektueller, angehender Humorist, (jetzt auch Spaßblogger, Aktivist und Bürgerrechtler), twittert hier nicht

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