Eine Ahnung bekommen

Textanalyse/Meditation Was die Weihnachtsgeschichte so alles zu erzählen hat.

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Rund um Weihnachten ist sie wieder hie und da verlesen worden, die Weihnachtsgeschichte. Hirten auf dem Felde, funkelnde Sterne, der Stall. Eine herzerwärmende Szenerie.

Herzallerliebst: Das Kind im Stroh. Je nach Variante gesellen sich noch Ochs und Esel mit dazu (keine Ahnung was das soll). Das Himmelslicht am Horizont huscht durch das Bild.

Herzerweichend: Nicht nur für Kinderherzen! Die Weihnachtsgeschichte rührt gerade auch Erwachsene. Die ja doch auch alle einmal Kinder waren. Und sich gerne wieder einmal in diese Welt versetzen lassen mögen. Weihnachten erzählt nicht zuletzt von der Sehnsucht nach einer heilen Welt.

Ein Sehnsuchtsort

Wie im Traum begegnet eine fast süßliche Urszenerie. Seliger Kinderschlaf, Geborgenheit, himmlische Ruh'. Unzählige Weihnachts-, Wiegen-, Kinderlieder singen davon in allen Tonlagen. Allzu verträumt? Wird da nicht arg viel (hinzu)gedichtet?

Um eine Ahnung zu bekommen, hilft vielleicht, die verschiedenen Vorlagen zu sichten, die in der Weihnachtsgeschichte alle anklingen.

Der „Stoff“ stammt aus dem Judentum.

Wie im Paradies

Da ist dieser altjüdische Text vom spielenden Kind, das seine Hand ins Nest der Natter hält, und nichts passiert. Löwe und Kalb grasen (!) in aller Ruhe nebeneinander, Schaf und Wolf tun sich nichts: Ein durch und durch friedliches Idyll. Es ist das altjüdische Prophetenwort eines Jesaja, das in der Weihnachtsgeschichte mitzuhören ist.

Genauso wie die Ankündigung der Geburt des kleinen Kindes, das als künftiger „Friedensfürst“ gefeiert wird. Es sind die großen Verheißungstexte von Schwerter zu Pflugscharen, von einziehender Gerechtigkeit.

Besonders zu denken ist an die Prophetentradition des Micha, die im Matthäusevangelium wie im Lukasevangelium durchklingt: die Geburt in Bethlehem. Gerade für Micha geht es um die herzustellende Gerechtigkeit.

Zuletzt ist es die Urszene im Paradies, das wiederhergestellt wird („Heut schließt er wieder auf die Tür, zum schönen Paradeis“): kein Mangel, keine Not. Ein Ort, wo alles gut, versöhnt und richtig ist. Eia, wärn wir da.

Wieder eine Ahnung von Gott haben

Führt man sich das vor Augen, wird einem klar, warum da nun selbst die Engelschöre singen müssen. Weihnachten ist ja voller Engelsbotschaften: „Fürchtet euch nicht.“ Ehr in der Höh und Frieden auf Erden… Und das alles beginnt an diesem unscheinbaren Ort, in diesem kümmerlichen Stall. Die Weihnachtsgeschichte erzählt davon, dass mehr ist zwischen Himmel und Erde, als sich in den gelehrtesten Kompendien, großen Zahlenwerken oder mit kleinlicher Erbsenzählerei fassen lässt. Laut Bethlehemgeschichte ist es Gottes weihnachtliche Art, auf so unscheinbare Weise in die Welt zu kommen.

Man muss kein Kind sein, um sich davon anstecken zu lassen. Man kann dann für den Alltag, wenn denn die Festtage vorüber sind, wieder eine Ahnung von Gottes heiler Welt bekommen haben. Die altjüdischen Geschichten jedenfalls sind voll davon.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

m.schuetz

Hobby-Intellektueller, angehender Humorist, (jetzt auch Spaßblogger, Aktivist und Bürgerrechtler), twittert hier nicht

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