Erst die Feier

Lutherjahr Der Feiertag zur Reformation 2017 ist ein Ereignis, das in Staat und Kirche mancher „bilanziert“, obwohl es noch gar nicht stattgefunden hat. Es scheint, das hat Methode.

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Der einen oder dem anderen ist es vielleicht schon bei der Suche nach Brückentagen im Kalender aufgefallen: In einigen Wochen steht ein besonderes Datum an. 500 Jahre Beginn der Reformation. Für Staat und Kirchen ein folgenreiches Ereignis, das mit einem bundesweiten Feiertag begangen wird.

Folgenreich war die Reformation bekanntlich schon für das Verhältnis von Staat und Kirche selbst. Während im Mittelalter die Kirche in noch fast allen Bereichen die Oberhoheit hatte, fordert ein gewisser Wittenberger Theologieprofessor namens Martin Luther die Unterscheidung von Staat und „Religion“. Weder soll die Kirche Staatsgewalt ausüben, noch soll der Staat wie eine Kirche oder Religion agieren. (Bei der folgenden Rede von Staat im 16. Jahrhundert ist dabei klar: der frühneuzeitliche „Staat“ bildet sich eigentlich gerade erst heraus.) Luther will beide Bereiche klar unterschieden wissen.

Staat und Kirche sind zu unterscheiden

Er schreibt: „Weil es denn einem jeden auf seinem Gewissen liegt, wie er glaubt oder nicht glaubt, und weil damit der weltlichen Gewalt kein Abbruch geschieht, soll sie sich damit auch zufrieden geben und ihrer eigentlichen Aufgabe nachgehen und so oder so glauben lassen – wie man kann und will – und niemanden mit Gewalt bedrängen. Denn es ist ein freies Werk um den Glauben, zu dem man niemand zwingen kann.“ (1523, Text leicht modernisiert; Zitatnachweis Weimarer Gesamtausgabe WA 11, 264, 16-20).

Staat und Kirche nach Luther:

- Der Staat soll sich aus Glaubens- und Gewissensfragen nach Möglichkeit heraushalten

- Der Staat ist allein für die Gewährleistung und Sicherung der Rechtsordnung eines Territoriums zuständig - ihm steht das Gewaltmonopol zu

- Die Kirche oder Religion soll und kann auf eigenen Einsatz von Gewaltmitteln verzichten

Damit leitet Luther einen Epochenwechsel ein. (Jeder der heute die Unterscheidung von Staat und Religion fordert, verwendet eine lutherische Formel.) Schon allein aus diesem Grund dürfte mehr als berechtigt sein, dem Ereignis „Reformation“ einen gesetzlichen Feiertag zu widmen. Denn wie wir heute wissen, geht es meistens schief, wenn der Staat „auf Religion“ macht, oder umgekehrt.

Jeder der heute die Unterscheidung von Staat und Religion fordert, verwendet eine lutherische Formel

Ein wenig baff und verblüfft blickt man jedoch in manchen Zeitungsbericht, der sich mit dem fünfhundertsten Jahrestag beschäftigt. Autor Arno Widmann behauptet zum Beispiel, Luther habe ein Bündnis von „Thron und Altar“ angestrebt und eingeführt. Ein solches Bündnis gab es zwar in der Tat vor ihm, und auch in Zeiten nach ihm. Für Luther selbst stimmt die Aussage so aber nicht.

Zu Luthers Lebzeiten waren durchaus Fälle von „Blutrache“ noch aktuell. Auch das „Fehdewesen“ wurde nur unter Mühe zurückgedrängt. Kaiser Maximilian erlaubt etwa der Reichsstadt Reutlingen im Jahr 1495, Einzelpersonen in bestimmten Fällen juristisches „Asyl“ zu gewähren. Auf „fahrlässigen“ Totschlag (wie es heute heißen würde) stand genauso wie auf Mord der Tod: Da wurde schon einmal kurzerhand Selbstjustiz geübt. Doch in Reutlingen durften fürderhin des Totschlags Verdächtige – wenigstens bis zu einem Gerichtsverfahren – sicheren Schutz genießen.

Wenn und wo Luther so großen Wert auf „obrigkeitliche“ Rechtsordnungen legt, stehen diese Zusammenhänge im Vordergrund. Es geht um eine Zivilisierung der Gesellschaft. Mit dem so qualifizierten Obrigkeitsdenken und mit der Unterscheidung (nicht Trennung) der beiden Einflussbereiche von Staat und Religion, steht Luther am Anfang einer bekanntlich bis heute hochgeschätzten Tradition (Heinz Schilling). 2017 wird deutschlandweit in einigen tausend Veranstaltungen, Konzerten, Ausstellungen und vielem mehr unter anderem auch dieser lutherischen Errungenschaft gedacht.

Die ZEIT-METHODE

Die Unterscheidung von Staat und Religion ist freilich nicht das einzige Verdienst des Reformators. Die Gründung von Schulen oder sein Einsatz für Frauenrechte sind weitere Themen, die einen staatlichen Feiertag angemessen erscheinen lassen. Auch die Rede vom Gewissen hat Luther nicht nur mit seiner Standhaftigkeit auf dem Wormser Reichstag 1521 unaustilgbar ins Geschichtsgedächtnis eingepflanzt. Schon schlicht den deutschen Begriff Gewissen hat recht eigentlich erst Luther in den deutschen Sprachgebrauch und Wortschatz eingeführt. Das ist nicht wenig.

Moment, Einsatz für Frauenrechte? Wer das eine oder andere Printmagazin der letzten Zeit aufschlägt, wird da jetzt vielleicht fragen, ob das stimmt. Hat denn Luther nicht gesagt: „Unkraut wächst schnell, daher wachsen Mädchen schneller das die Knaben“? Antwort: Wer bei einem Schriftsteller und Literaten vom Schlage Luthers ein solches Zitat als Frauenfeindlichkeit auslegt, dem ist nicht leicht zu helfen.

Luther forderte als einer von wenigen und als einer der ersten, dass auch Mädchen Lesen und Schreiben lernen sollten. Er führt für damalige Verhältnisse (etliche diskutierten noch, ob Frauen den Tieren gleichzustellen seien) mit seiner respekt- und liebevoll „Herrn Käthe“ angeredeten Frau eine erstaunlich „moderne“ Ehe auf Augenhöhe. In seinem Testament versucht er in einem beispiellosen Akt, entgegen der Gesetzeslage, seine Gemahlin als vollgültige Erbin einzusetzen – und hofft natürlich, damit Schule zu machen. Ist das ein „Frauenfeind“?

Luther und die Frauenrechte

Zum Thema Luther, Katharina von Bora sowie Frauen der Reformation gibt es mittlerweile vielseitige Literatur, im Dutzend (vgl. als prominentes Beispiel Petra Gerster/Christian Nürnberger: Der rebellische Mönch, die entlaufene Nonne und der größte Bestseller aller Zeiten, Gabriel-Verlag 2016; u.v.a.)

Doch eine Wochenzeitung wie DIE ZEIT behauptet aus ganz bestimmten und wohlkalkulierten Gründen einfach mal drauf los: 'Luther hatte etwas gegen Frauen'. Eine völlig ahistorische und intellektuell nicht redliche Vorgehensweise. Allerdings ein Muster, das sich 2017 des Öfteren beobachten lässt. Man nähert sich, vielleicht zum ersten Mal seit langem, der Zeit des Mittelalters. Und alles, was dort finster, fremd und unmodern erscheint, verbindet man blindlings mit dessen vielleicht berühmtesten Exponenten Luther. Das lässt sich beim Themenfeld „Thron und Altar“ nachweisen, genauso beim Thema „Frauenrechte“. Und noch in einer ganzen Reihe weiterer Bereiche. Man könnte dies die ZEIT-METHODE nennen. (Oder genauer: Die falsche ZEIT-METHODE).

Die BISMARCK-METHODE

Wo immer etwas Großes ist, sind Neider ja nicht ferne. Das gilt in Deutschland doppelt. Und so wird noch ein weiterer Methodenkniff eingesetzt, um der Epochengestalt Luther irgendwie beizukommen. Rund 70 Ausstellungen rund um die Reformation gibt es laut Zählung einer Berliner Tageszeitung (ebenfalls wie DIE ZEIT aus der Holtzbrinck-Gruppe) derzeit rund um die Hauptstadt. Das könnte als ein Gradmesser genommen werden für Relevanz, Vielfältigkeit (nebenbei auch für „Substanz“) und für die anspruchsvolle Auseinandersetzung mit einem Thema. Doch alles lässt sich schlechtreden, wenn man nur will. Die hohe Anzahl wird dann einfach als „Gedenk-Overkill“ tituliert.

Interessanterweise ist es bei diesemFünfhundertjahr-Jubiläum so, dass manche in der Lage sind, das Ereignis zu bilanzieren, obwohl es noch gar nicht stattgefunden hat. (Es ist ja noch einige Tage hin bis 31. Oktober…) Die Süddeutsche Zeitung meldet schon im Sommer, dem Jubiläum fehle es grundsätzlich an Interesse.

Doch mit Zahlen und Statistiken lässt sich eben alles machen, wie schon der „binsenhafte“ Otto von Bismarck wusste. Dass man jede Statistik beinahe beliebig für eigene Zwecke „hindrehen“ und interpretieren kann (z.B. je nach Zeitpunkt), beweist die deutsche Tagespresse immer wieder und in einem fort.

Interessanterweise ist es so, dass manche das Ereignis bilanzieren, obwohl es noch gar nicht stattgefunden hat.

Niemand kann wahrlich der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vorwerfen, dass sie einen Luther-Triumphalismus oder einen Luther-Kult betreibe. Auf dem Kirchentag 2017 in Berlin, der so gut oder so schlecht besucht war, wie die meisten vorigen Kirchentage, musste man ja in Wahrheit im Programm nach Luther suchen. Das gilt erst recht für die Weltausstellung Reformation im Wittenberger Stadtgraben. Womöglich war gerade der fehlende Luther- und Reformationsbezug ein Grund für punktuelle zögerliche „Nachfrage“.

Denn der Wissensdurst rund um Luther selbst ist riesig. Die Einschaltquoten beim ARD-Filmevent mit Devid Striesow im Februar waren mit 7,3 Millionen Zuschauern so überraschend hoch, dass tags darauf Programmdirektor Herres den Quotenhit mit einer eigenen Stellungnahme bedachte. Die Luther-Playmobil-Figur gilt mit über einer Million Exemplaren mit Abstand als die jemals Meistverkaufte. Das 360-Grad-Panorama „Luther 1517“ von Yadegar Asisi zählte zur Halbjahresbilanz schon rund 300 000 Besucher. Kurz: Luther hat ein Millionenpublikum.

Zwei Dinge sind an diesen Zahlen auffällig. Erstens, dass sie ein klares Interesse an Person und Werk des Reformators dokumentieren. Zweitens, dass es sie gibt: Denn diese Zahlen gab und gibt es eben schon seit Mitte 2017. Wenn die Süddeutsche von mangelndem Interesse an der Reformationszeit und an Martin Luther schreibt, dann ist sie (das kann man dann die BISMARCK-METHODE nennen) einseitig und selektiv.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

m.schuetz

Hobby-Intellektueller, angehender Humorist, (jetzt auch Spaßblogger, Aktivist und Bürgerrechtler), twittert hier nicht

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