Feiertage sind gut für die Produktivität

Kolumne Warum der Reformationstag als gesetzlicher Feiertag Sinn macht.

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Kreative wissen es: Gerade in den Pausen geschieht oft das Entscheidende, kommen die besten Ideen, gelangt ein Prozess zur Reife. Und wird „rund“. In früheren Zeiten lobte man, ersehnte man die Muse. Zeiten der Muse waren gut und als solche akzeptiert. Mit dem gesetzlich arbeitsfreien Sonntag „zur seelischen Erhebung“, wie es das Grundgesetz formuliert, hat das christlich-jüdische Erbe diesen Aspekt der BRD als wohltuenden Wochenrhythmus im Wechsel von Arbeit und Ruhe vermacht: Feiertage sind gut für die Produktivität.

Einwände der Wirtschaft

Jetzt meint die niedersächsische Wirtschaft herausgefunden zu haben, Feiertage seien schlecht für die Produktivität. Deshalb dürfe ein dauerhafter Reformationsfeiertag in Niedersachsen nicht sein.

Ist es in Deutschland also so weit schon gekommen! Die Wirtschaft als das höchste Gut. Alles ist verzweckt. Die Ökonomie will herrschen und macht das Gesellschaftliche platt?

Dabei hat gerade für die (deutsche) Wirtschaft die Reformation eine unübersehbare Bedeutung. Manche sagen, die Reformatoren hätten gar den Kapitalismus erfunden, andere verweisen auf die Bedeutung für die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft. Wieder andere nennen Martin Luthers Auslotung, konstruktive Kritik und Korrektur der ersten Auswüchse des Frühkapitalismus im 16. Jahrhundert.

Dabei erstaunlich: Kaum ist die Freie Demokratische Partei (FDP) wieder im Deutschen Bundestag, fällt sie in den alten Fehler zurück, sich als monothematische Klientelpartei zu gebärden, geschichtslos, kulturlos, kaum gesellschaftstauglich oder -fähig, mit einer kalten Reduzierung allen Lebens auf die Industriehalle. Die „Liberalen“ in Schleswig-Holstein lehnen Feiertage prinzipiell eher ab. Doch auch die dortigen Grünen wirken mit der Ablehnung leicht peinlich und provinziell in ihrer Verkennung geschichtlicher und gesellschaftlicher Relevanzen.

Katholiken und der Reformationstag

Infragestellungen eines neuen Reformationsfeiertages kommen auch aus der katholischen Welt. Dabei verdankt die heutige Gestalt der katholischen Weltkirche Martin Luther viel. Neben anderem sei hier nur an die Einführung der Muttersprache anstelle des Lateins in den jeweiligen Landessprachen erinnert. Schon dieser sowie viele andere Impulse könnten für Katholiken ein guter Grund sein, den Reformationstag mitzufeiern.

Doch vor allem die Ablasskritik Martin Luthers ist doch eigentlich längst ökumenisches Gemeingut. Denn heute, wie schon im 16. Jahrhundert (päpstlicher Erlass von 1570), ist von katholischer Seite anerkannt, dass es ein Irrweg war, die „Käuflichkeit von Heil“ zu propagieren. Auch deshalb kann die katholische Weltgemeinschaft – und muss aus inneren theologischen Gründen sogar – dankbar sein für diesen Denk-Anstoß der Reformatoren.

Man reibt sich schon die Augen, wie nur wenige Monate nach den ökumenischen Beteuerungen in 2017, ein katholischer Bischof wie Franz-Josef Bode versucht, den Evangelischen ein Bein zu stellen. Ob das klug ist? Hier wird viel ökumenisches Porzellan „aufs Spiel gesetzt“.

Etliche werden denken: Wenn das die katholische Art ist, auf die Entscheidung der Evangelischen zu reagieren, den 500. Reformationstag vor allem ökumenisch zu begehen, dann sagt das auch etwas aus.

Bischof Bode meint, der Tag symbolisiere eben auch das Faktum einer „Trennung“. Eine gute Gelegenheit zu fragen, von welcher Seite diese Trennung denn initiiert wurde? Hier wurde im Reformationsjahr 2017 in der Öffentlichkeit historisch oft sehr unsauber und ungenau argumentiert.

Zur Erinnerung: Im Herbst 1518 wurde der päpstliche Gesandte Thomas Cajetan für ein Verhör Martin Luthers ausgesandt, damit dieser entweder seine Ablasskritik widerrufe – oder eingekerkert wird.

Anders als von der Wirtschaft wird von katholischer Seite ein neuer Feiertag aber nicht grundsätzlich abgelehnt. Als Alternative wird der Buß- und Bettag genannt (bis 1995 bundesweiter Feiertag). Auch unter dem Hinweis, dass Neubesinnung und Umkehr, Buße und innere Einkehr in vielen Religionen eine Bedeutung habe. Und als ein Hinweis auf das immer wieder neu herauszustellende Friedens-Potenzial von Religion. Doch der Reformationstag hat schon auch seinen Eigenwert.

Jüdische Gemeinde

Am ehesten nachvollziehbar sind die Einwände, die die Jüdische Gemeinde in Niedersachsen vorbringt. Sie nennt antijüdische Invektiven des späten Martin Luther. Aus der Erfahrung der Shoah im 20. Jahrhundert heraus wird – das ist verständlich – ein mehr als großes Fragezeichen hinter einen Reformationsfeiertag gesetzt.

Allerdings wird man kaum eine geschichtliche Großbewegung und Epochenzäsur mit globaler Ausstrahlung, wie sie die Reformation darstellt, wegen einzelner Spätschriften zu einer einzigen Thematik eines ihrer Hauptvertreter in toto unter Verdikt stellen.

Das wäre sicher eine unstatthafte Reduzierung der Komplexität der Reformation auf einen Einzelaspekt.

Viele der gängigen Geschichtsdarstellungen zu Luther und der Reformation behandeln die Jahre 1517 - 1530 als die entscheidende Phase. Bis dahin spielt das Thema „Judentum“ so gut wie keine Rolle. Der späte Luther wird für die Folgejahre oft überhaupt nicht mehr erwähnt, weil er z.B. von Historikern als für die Außenwirkung längst nicht mehr so einflussreich erachtet wird. Hier haben manche Medien in 2017 einen falschen Eindruck erweckt und ein Zerrbild der Geschichte präsentiert. (An dieser Stelle wäre dann noch manches andere zu Vorgeschichte, genauen Umständen u.a.m. ins rechte Licht zu rücken).

Es wäre so vermutlich eher unklug, wenn die Einführung eines Reformationsfeiertages an Einwänden der Jüdischen Gemeinde scheitern sollte. So gut nachvollziehbar und zu respektieren die Einwände auch sind. Unter den gesellschaftlichen „Playern“ ist heute die Evangelische Kirche hierzulande einer der stärksten Verbündeten für die jüdischen Gemeinden. Den Tag, an dem diese Evangelische Kirche den Beginn ihrer Existenz begeht, grundsätzlich abzulehnen, erscheint auch deshalb als nicht wirklich opportun.

Politik

In Niedersachsen hat Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) im Oktober 2017 mit und vermutlich auch wegen der Ankündigung zur Einführung eines Reformationsfeiertags die Landtagswahl gewonnen. Dieses Wahlversprechen wird man kaum gebrochen sehen wollen. Gewissermaßen hat mit der Wahl auch bereits eine Abstimmung über das Vorhaben stattgefunden.

Die Auswirkungen der Reformation auf die deutsche Geschichte und die staatliche Entwicklung sind Legion und kaum zu überschätzen. Schulpflicht, Sozialwesen (z.B. Hamburg 1528), Bildungswesen insgesamt, säkulares Rechtswesen, u.a.m…

Der Reformationstag ist daher nicht nur ein kirchlicher Tag. Der Staat als Staat hat der Reformation eine ganze Menge zu verdanken.

Evangelische Kirche

Dennoch bleibt der Reformationstag natürlich auch ein kirchlicher Feiertag. Luthers Maxime 'Zum Erhalt des Friedens muss im Zweifel sogar das Recht weichen' ist bis heute bedenkenswert, Elemente zur Selbstkritik, Buße, Umkehr und zum Innehalten hält der Reformationstag allemal bereit. Als Tag der „seelischen Erhebung“ hat er Deutschland viel zu geben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

m.schuetz

Hobby-Intellektueller, angehender Humorist, (jetzt auch Spaßblogger, Aktivist und Bürgerrechtler), twittert hier nicht

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