Könnte „Journalist“ wieder ein ehrenwerter Beruf werden?

Frage Die Chancen auf einen schöneren Journalismus stehen derzeit 50:50.

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Eigentlich sollte der Titel dieses Beitrags lauten: Wie könnte „Journalist“ wieder ein ehrenwerter Beruf werden? Ohne das Wie klingt es aber viel klarer. Ist das eine unzulässige Verkürzung? Oder macht die Auslassung das Thema erst richtig relevant?

Der Beruf des Journalisten und der Journalistin ist unter Druck geraten. Die ARD-Vorsitzende Schlesinger bemängelt einen unstatthaften Rigorismus bei vielen Vertretern besonders des Öffentlichen Rundfunks und der ARD. Der Deutsche Ethikrat hat in der Coronakrise eine „zu affirmative oder einseitig plädierende Berichterstattung der (Massen‐)Medien“ beklagt. Es ließen sich viele weitere Problemfelder anführen. Schon 2014 gaben in einer Umfrage (infratest dimap, ZAPP) 69 Prozent der Befragten an, wenig oder gar kein Vertrauen in die Berichterstattung der deutschen Medien zu haben. Es gibt ähnliche Meinungsbilder von 2011, 2015, 2018, u.a.m.

Beispiele für Vermittlungsprobleme

Bei der letzten Landtagswahl haben fast nur noch knapp über 50 Prozent der Wahlberechtigten gewählt. Selbst von diesen 50 Prozent haben nocheinmal, wie zuletzt häufiger, um die 7 Prozent (wohl mehr oder weniger bewusst) eine Kleinpartei gewählt, bei der absehbar war, dass die Stimme im Endeffekt verfällt („Sonstige“...). Zusammen mit den Stimmen der Afd, die sich selbst ausdrücklich als Protestpartei versteht, waren das somit zusätzlich rund 12 Prozent außerhalb des Spektrums, das früher einmal „die etablierten Parteien“ genannt wurde. Der Journalismus, als „der erste Platzhirsch“ der öffentlichen Meinungsbildung, hat hier also ein Vermittlungsproblem. Er hat es nicht vermocht, annähernd 60 Prozent der Wahlberechtigten plausibel zu machen, warum es richtig sein könnte, eine staatstragende Partei zu wählen...

Kassen außerhalb der Verfassung

Ob das auch an einer gewissen Einsilbigkeit liegt? Hast du eine Zeitung gelesen, weißt du, was in allen steht.“ Das mag etwas überspitzt sein, trifft aber in vielen Fällen und bei vielen Themen zu. Bei der Frage, ob es nötig ist, Sonderkassen einzurichten, rufen fast alle KommentatorInnen „ja!“, ohne dass eine echte Diskussion und inhaltliche Auseinandersetzung stattfände. So kommt auch niemand auf die Idee, dass es viel vorteilhafter und leichter ist, Sonder-Kassen außerhalb der Verfassung einzurichten. (Dort gehören sie ja, wenn schon, eigentlich hin. Verfassungsrang sollen und könnten eigentlich nur Hauptkassen haben wobei: Haben Kassen in Verfassungen überhaupt eine Rolle, Platz und Sinn? Muss jetzt jede Kasse in die Verfassung? Soziales, Umwelt? Bedeutet das jedes Jahr eine Verfassungsänderung?)

Finger weg von der Verfassung“, denken manche reflexartig, und haben vielleicht recht: Das Ding hat über 70 Jahre gute Dienste geleistet, warum sollte das jetzt nicht mehr so sein?

Ein großer Vorteil von Kassen außerhalb der Verfassung ist ja: Wenn sich nach einem halben Jahr herausstellt, dass nur die Hälfte des Geldes benötigt wird, lässt sich das viel leichter so beschließen. Auch falls mehr benötigt wird (einer der selteneren Fälle), fällt das außerhalb der Verfassung viel viel leichter. Man braucht keine Zwei-Drittel-Mehrheit, ist flexibler...

Coronakrise

Für die Aufarbeitung der Coronakrise hält der Deutsche Ethikrat fest: „Wie gut Staat und Bevölkerung kommunizieren, hängt entscheidend von der Vermittlung durch die Medien ab. Diese stehen deshalb nicht nur in der Verantwortung, gesellschaftliche Entwicklungen in der Breite zu begleiten und insbesondere staatliche Herrschaftsausübung kritisch zu hinterfragen.“ Es geht auch darum „Einseitigkeiten entgegenzusteuern“. Liegt hierin ein Schlüssel, wie „Journalist“ wieder ein ehrenwerter Beruf werden kann?

Zitate aus der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates:

„Das Vertrauen der Menschen in den deutschen Staat als Demokratie, Rechtsstaat und Bundesstaat hat in der Pandemie gelitten. Die Zustimmung in der Bevölkerung zu den Infektionsschutzmaßnahmen wie der Schließung von Kitas, Schulen und Hochschulen, Grenzschließungen und Verbot von Großveranstaltungen lag im März 2020 laut der Mannheimer Corona‐Studie noch bei über 90 Prozent, ließ dann aber im Laufe der Pandemie deutlich nach. Am stärksten nahm die Zustimmung zu den Kita‐, Schul‐ und Hochschulschließungen ab; dieser Maßnahme stimmten schon im Juni 2020 nur noch weniger als 25 Prozent der befragten Menschen zu.“

„Massenmedien und insbesondere die öffentlich‐rechtlichen Rundfunk‐ und Fernsehanstalten haben gerade in Krisenzeiten die für eine republikanisch verfasste Demokratie unverzichtbare Aufgabe, das strittige Für und Wider von Maßnahmen in einer räsonierenden Öffentlichkeit hör‐ und sichtbar zu machen. Der kritische Teil dieser Aufgabe wurde zu Beginn der Corona‐Krise nicht immer im wünschenswerten Maß erfüllt.“

„Eine zu affirmative oder einseitig plädierende Berichterstattung der (Massen‐)Medien versäumt es, die Meinungs‐ und Willensbildung einer demokratischen Öffentlichkeit mit unerlässlichen Gegenakzenten zu stimulieren. In diesem Sinne ist dem selbstkritischen Meinungsartikel aus dem Neuen Deutschland zuzustimmen: „Krise und Ausnahmezustand dürfen nicht als Anlass dienen, auf kritischen Journalismus zu verzichten. Denn gerade dann ist er gefordert! ...“

„Eine zentrale Rolle übernahmen ferner einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, insbesondere aus den Bereichen der Virologie und Epidemiologie, wobei Politikberatung und Information der Öffentlichkeit eng verflochten waren. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anderer Disziplinen spielten eine deutlich geringere Rolle. Zum Teil entstand der Eindruck einer direkten und nicht weiter rechtfertigungspflichtigen Ableitung politischer Entscheidungen aus Zahlen ...“

„Diesseits konkreter medienrechtlicher Vorgaben (etwa Trennung von Bericht und Kommentar, Ausgewogenheit) besteht ferner die allgemeinere, demokratietheoretisch und ethisch fundierte Erwartung, Einseitigkeiten entgegenzusteuern und sie auszugleichen. In einer Demokratie müssen – in den Grenzen der Meinungsfreiheit – sämtliche relevanten Stimmen zu Wort kommen, sowohl von Betroffenen als auch von Expertinnen und Experten unterschiedlicher Disziplinen.“

Quelle: Stellungnahme des Ethikrates vom Anfang April 2022 „Vulnerabilität und Resilienz in der Krise“ (Zitiert nach der Vorabfassung)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

m.schuetz

Hobby-Intellektueller, angehender Humorist, (jetzt auch Spaßblogger, Aktivist und Bürgerrechtler), twittert hier nicht

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