Ökonomie oder Esprit?

Eine Skizze Das meistgelesene Buch der Welt ist immer für eine Überraschung gut.

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„Sie werden lachen: die Bibel“, lautet die vielzitierte Antwort von Bert Brecht auf die Frage, welches Buch ihn am meisten beeindruckt habe. Auch als Theatermensch muss man sich also nicht schämen, heimlich unter der Bettdecke die Abmessungen der Arche Noah zu studieren. Goethe wurde ebenfalls zeitlebens vom Buch der Bücher inspiriert. „Die Bibel ist so voller Gehalt, dass sie mehr als jedes andre Buch Stoff zum Nachdenken und Gelegenheit zu Betrachtungen über die menschlichen Dinge darbietet“, schrieb der Dichterfürst.

Bibellesen ist also hilfreich, nützlich und gut.

VERZWECKUNG

Dabei muss niemand fürchten, durch Bibellesen gleich ein zweiter Paulus zu werden was auch etwas hoch gegriffen wäre vielleicht wird man nur ein großer Literat, wie Goethe oder Brecht. Der Tendenz, alles zu verzwecken, muss auch dringend gewehrt werden. Schließlich hat alles seine Zeit, Steine sammeln und Steine wegwerfen, weiß der weise Salomo (Kohelet 3).

Ohne Kenntnis der Bibel lässt sich ja auch weder die deutsche Geschichte, noch die Europas, weder ihre Literatur noch ihre Kunst im Ansatz verstehen.

Das heißt natürlich nicht, dass jeder Langobarde mit der Bibel unter dem Kopfkissen genächtigt hätte. Und doch hat man über Jahrhunderte mit den biblischen Geschichten Lesen, Schreiben und Leben gelernt.

EGOISMUS

Man kann beim Blättern in biblischen Gleichnissen und Rätselworten, durch epische Erzählungen und kurze Standpauken also ruhig etwas umherstreunen: Mal sehen, was mich gerade anspricht.

Denn die Bibel ist vielseitig wie das Leben: Es finden sich altorientalische Liebeslieder (Hoheslied). Es finden sich echte Weisheitstexte und (bewusst) dumme Reden; kluge Worte sowie (bewusste und unbewusste) Narrenreden. Hier findet sich auch die berühmt-berüchtigte kommunistische Urstelle (sie hatten alles gemeinsam, Apg 2,44f).

Nein, nichts Menschliches ist diesem Buche fremd.“ Übermut wie bei Zachäus, Zuversicht wie in Moria, Neid wie bei den Donnersöhnen. Der große erste Teil der Bibel (AT) ist ja das Gebetsbuch, das Erfahrungsbuch des alten Judentums. Es finden sich Vertrauenslieder wie Psalm 23. Texte für Leute, die Mut und Ausdauer benötigen. Texte für Leute, die trauern. Wir erfahren vom Aufstieg großer Reiche (und auch von ihrem Niedergang). Also alles mitten aus dem Leben gegriffen.

Was freilich ist der Vielfältigkeit all der Lebensläufe gewachsen, den verschiedenen Temperamenten, Zeitumständen, Zielen? Antwort: Eben eine Sammlung wie in tausend Sturmwinden geschliffener Traditionen, ein Erfahrungsschatz von tausenden von Jahreneben wie die Bibel.

Manche sagen, dass sie selbst drin stehen. Sie sehen sich in einer Figur wie Hiob oder Thomas. Sie lesen die jüdischen Psalmen, als wären sie gerade für sie selbst geschrieben. Sie hoffen auf den Tag, an dem Letzte Erste werden.

GOTTVERTRAUEN

Die Abmessungen von Noahs Arche betrugen: Dreihundert Ellen in der Länge, fünfzig Ellen in der Breite und dreißig in der Höhe. Sie hatte drei Stockwerke, eines unten, das zweite in der Mitte, das dritte oben. Abmessungen sind schnell gelernt. Was aber soll man damit anfangen? Was bedeuten schon „Vermessungen? Kommt es darauf an? Ob sie fünfzig oder vierzig Ellen Höhe hatte? Es ist doch mehr und anderes gefragt, als Zahlen wissen, Abmessungen.

BEFREIUNG

Auch das neuzeitlich, selbstironisch gebrochene Subjekt ist ja noch immer: Subjekt. Das heißt mal mit guter Laune, mal mit schlechter Laune… Seine Welterfahrung ist manchmal etwas unvermessen „fragmentiert“, vielschichtig und vielfältig. Gerade so, wie die tausend Geschichten in der Bibel. Die gerade deshalb auch in tausend Brüchen, als Erfahrungsbuch, als Lebensbuch, immer wieder Neuanfänge setzen kann.

Sicher nicht zufällig hat sich ein epischer Dichter wie Tolkien bei seinem Herrn der Ringe ausgiebig in der Bibel und bei biblischen Motiven bedient, wie sich leicht zeigen lässt (siehe nur Moria).

FRIEDE

Seelenfrieden entsteht und „Friede auf Erden“ wird deshalb auch stets in einer Art von Weltüberwindung; Frieden und Harmonie: indem die Leser in denselben Geist (Esprit) einstimmen. Wie beim Meditieren, „im persönlichen Gebet“, im immer wieder lesen.

Nebenbei erhält man eine kleine Kirchenkunde (insbesondere mit dem Alten Testament natürlich auch eine Religionskunde z.B. des Judentums) und kann den einen oder anderen jahrhundertealten Brauch besser nachvollziehen und verstehen. Übrigens auch die Weihnachtsgeschichte, mal mit, mal ohne Ochs und Esel, wie die Ostergeschichte. So ist etwa die Taufe die große Zusage: Brauchst keine Angst zu haben“, es genügt. Die deshalb auch schon kleinsten Kindern mitgegeben und nicht vorenthalten wird.

Nocheinmal Goethe: „Ich bin überzeugt, dass die Bibel immer schöner wird, je mehr man sie versteht, das heißt, je mehr man einsieht und anschaut, dass jedes Wort, das wir allgemein auffassen und im besondern auf uns anwenden, nach gewissen Umständen, nach Zeit- und Ortsverhältnissen einen eigenen, besondern, unmittelbar individuellen Bezug gehabt hat.“

Angaben von Bibelstellen nach der üblichen Zitierweise: Buch(kürzel), Kapitel, Vers.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

m.schuetz

Hobby-Intellektueller, angehender Humorist, (jetzt auch Spaßblogger, Aktivist und Bürgerrechtler), twittert hier nicht

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