Reform oder nicht Reform

Theologen-Disput Vor 500 Jahren fand die Leipziger Disputation statt.

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Wer wird gewinnen? Das war eine viel gestellte Frage, als der Wittenberger Theologieprofessor Martin Luther auf seinen Kollegen von der Ingolstädter Universität traf. Das akademische Streitgespräch zwischen den beiden Parteien dauerte knapp drei Wochen vom 27. Juni bis 15. Juli 1519. Die Stadt Leipzig hat dieser Tage daran erinnert mit einer Disputation zwischen Gregor Gysi und Thomas de Maizière.

Wer wird gewinnen? Wir können das heute noch nicht abschließend sagen, denn die Debatte dauert ja noch an, mindestens ca. zwei Wochen (15. Juli). Nachdem zunächst einer seiner Wittenberger Kollegen die Disputation eröffnet hatte, trat am 4. Juli Luther in die Diskussion ein.

Spannend sind jedenfalls einige Aussagen, die damals im Schwange waren.

So vertrat Luther etwa die Ansicht, dass es abzulehnen sei, Abweichler („Häretiker“) mit dem Tode zu bestrafen.

Wie gesagt, müssen wir jetzt vielleicht noch gar nicht entscheiden, ob dem zuzustimmen sei. Vielleicht gibt es ja auch Argumente für die Gegenmeinung? Es war auch in gewisser Hinsicht „naheliegend“ und nicht ganz „uneigennützig“ von Luther, das so zu vertreten, denn er selbst wurde ja damals mit dem Scheiterhaufen bedroht.

(Bekanntlich gab es einen darauf spezialisierten Orden – Ordo Praedicatorum OP, die Dominikaner –, der damit beauftragt war, Häretikern auf die Spur zu kommen. Der Dominikanerpater Johann Tetzel hatte schon kurz nach der Veröffentlichung seiner 95 Thesen gegen den Ablasshandel [1517] angekündigt, Luther binnen kurzer Zeit auf den Scheiterhaufen zu bringen.) Der Prozess gegen Luther war damals schon eröffnet.

Die Leipziger Disputation 1519

Interessanterweise kamen sich die beiden Parteien in Leipzig in wesentlichen Fragen erstaunlich nahe. Bei der Ablassfrage, ob Vergebung käuflich sei (was ja eigentlich der Auslöser für die „Luthersache“ gewesen war), zeichneten sich streckenweise klare Verständigungsmöglichkeiten ab, und auch bei der theologischen Frage, ob die göttliche Gnaden-Zusage ein frei zugeteiltes Geschenk sei, ergaben sich durch Rückbezug auf frühere kirchliche Lehrentscheidungen („Augustin – Pelagius“) sichtlich Einigungsoptionen.

Damit hat die Leipziger Disputation in der Tendenz spätere Ergebnisse der kirchengeschichtlichen Entwicklung vorweggenommen, denn auch heute besteht in diesen Fragen weitgehende Einigkeit (vgl. zuletzt: Brief von Papst Franziskus an die Kirche in Deutschland, 29.06.2019).

Es wäre also auch in Leipzig sicher möglich gewesen, statt einem furchtbaren Dissens, einen fruchtbaren Disput über theologische Sachthemen zu erreichen. Doch die Ingolstädter Seite hatte sich ein anderes Ziel gesteckt. Der Reformtheologe Luther sollte aus der Kirche gedrängt werden, bald würde ihm der Prozess gemacht. Deshalb wurde er gezielt zu Aussagen gedrängt, die ihn in ein schlechtes Licht stellen sollten.

Haben Mehrheitsentscheidungen von Synoden immer recht?

Wenn man die Leipziger Disputation auf die wichtigsten Kernpunkte „eindampft“, erhalten deshalb heute wie damals zwei Aussagen Luthers besondere Aufmerksamkeit.

1. Die Vermutung Luthers, dass Kirchenkonzile in ihren Mehrheitsentscheidungen auch irren können. Diese wird z.B. heute aufgrund vielschichtiger Konstellationsverschiebungen von streng konservativen katholischen Gruppierungen wie etwa der „Piusbruderschaft“ (und anderen) geteilt, weil man z.B. Entscheidungen des 2. Vatikanischen Konzils (1962-65) dezidiert ablehnt und für irrig hält. Hier stimmen also ausgerechnet konservative Katholiken mit dem Leipziger Luther überein.

2. Dass Luther in Leipzig nach dem historischen Vorbild der orthodoxen Ostkirchen dem Papst ohne Umschweife einen Ehrenprimat zugesteht, jedoch gleichzeitig fragt, was der Primat in der konkreten Ausübung bedeutet und mit welcher Begründung das geschieht. Hier geht es letztlich um die Frage, ob sich das Papstamt bereits in der Urchristenheit findet und aus den biblischen „Urschriften“ mit einer unumschränkten Lehrautorität begründen lässt, bzw. ob es in seiner damaligen Machtfülle nicht eher eine Folge von „Verweltlichung“ kirchlicher Strukturen war.

Worauf gründet sich der Petrusdienst und wie wird er richtig ausgeübt?

Eine gewisse Aktualität hat die Sache dadurch, dass derzeit ja ein „synodaler Weg“ in der Katholischen Kirche Deutschlands beschritten wird, bei dem einige ausgesuchte Themenbereiche einer erweiterten Erörterung zugeführt werden sollen.

Aber wie gesagt, wem man da zustimmen soll, und wer gewinnt, das müssen wir heute vielleicht gar nicht sagen. Vielleicht ist es auch gar nicht so einfach, zu sagen, auf welche Seite man sich stellen soll? Die Leipziger Disputation hat in einer ganz bestimmten historischen Konstellation stattgefunden. Was wäre geschehen, wenn man versucht hätte, sich ernsthaft statt feindselig mit den lutherischen Anfragen zu befassen? Ist eher der Ingolstädter und Johann Tetzels Meinung zuzustimmen? Hat Luther recht behalten und gewonnen? Manche sagen, die Ingolstädter Seite hätte gewonnen.

Ich weiß das gar nicht so genau – aber die Disputation ist ja auch noch eine Weile im Gange.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

m.schuetz

Hobby-Intellektueller, angehender Humorist, (jetzt auch Spaßblogger, Aktivist und Bürgerrechtler), twittert hier nicht

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