Themen der Reformation: Soziale Wohlfahrt

Wirtschaft Wie sich wirtschaftliche Entwicklung und Armutsbekämpfung ergänzen, zeigt beispielhaft die reformatorische Idee einer gemeinsamen kommunalen Kasse.

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In Diskussionen über Wirtschaftsfragen wird immer wieder darauf hingewiesen, dass unter den wohlhabenden, gut entwickelten Ländern auffällig viele protestantisch geprägte sind. So etwa Deutschland, dann die skandinavischen Länder, Finnland, Schweden, Norwegen, auch Großbritannien, die USA.

Wahrscheinlich gibt es dafür mehrere Gründe.¹ Martin Luther hat in seinen Schriften immer wieder darauf wert gelegt, dass es eine gemeinsame Aufgabe und Verantwortung der jeweiligen Stadt, und des jeweiligen Landes, auch und gerade für das Wohlergehen der jeweiligen Bevölkerung gibt.

Es wäre auch leicht eine Ordnung darüber zu machen“

Wichtiges Gestaltungselement wird dabei die Idee einer kommunalen Kasse zur Armenversorgung. (In Wittenberg zunächst die sog. „Beutel Ordnung“, so hieß sie tatsächlich [Ist auch Ihr Geld Beutel in Ordnung?], dann auch der sog. „gemeine Kasten“, sprich eine „gemeinsame Kasse“ die in einer Truhe verwahrt wurde: daher schließlich der Name „Kastenordnung“).

Ausgangspunkt dafür ist das Jahr 1520, als Luther in einer² seiner vier sogenannten reformatorischen Hauptschriften schreibt:

Es ist gewiss eines der größten Bedürfnisse, dass alle Bettelei abgeschafft würde in der ganzen Christenheit. Es sollte jedenfalls niemand unter den Christen betteln gehen. Es wäre auch leicht eine Ordnung darüber zu machen, wenn wir den Mut und Ernst dazu täten, nämlich dass jede Stadt ihre armen Leute versorgte“

Es könnte ja jede Stadt die Ihren ernähren… So könnte man auch wissen, welche wahrhaft arm sind oder nicht.“

Man kann in diesen knappen Sätzen die oder doch eine Begründung der Entwicklung hin zu modernen Wohlfahrtsstaaten sehen. Das „Neue“ daran ist z.B. dass der Stadt als „kommunaler Träger“ eine aktive Verantwortung zugeteilt wird. Den Schlüssel zur Kasse haben z.B. zehn Beauftragte der Stadt: Drei Bürger, drei Bauern, zwei Stadträte, zwei Adlige der Stadt. Aus der Kasse finanziert werden lokale Vorsorge-, Bau- und Bildungsvorhaben und in besonderer Weise die Armenversorgung, Witwen- und Waisenunterstützung, Stipendien für mittellose Kinder, Darlehen für Gesellen u.a.m.

Ist gegen Armut kein Kraut gewachsen?

Dass sich das lutherische Anliegen der Armutsbekämpfung mit ganz ähnlichen Anliegen heutiger päpstlicher Initiativen deckt, dürfte leicht zu sehen sein. Indem Luther ganz von der jeweiligen Region und Stadt aus denkt, ist zudem ein klassisches Moment katholischen Subsidiaritätsdenkens enthalten.

Ein naheliegender Vorteil der gezielten, organisierten Armenfürsorge dürfte nicht zuletzt darin liegen, dass die jeweiligen Aufwendungen wesentlich effektiver eingesetzt wurden als bei einer ungeplanten, spontanen „Bettlerversorgung“, was dann seinen bescheidenen Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der beteiligten Landstriche gehabt haben mag. Weniger strukturelle Armut bedeutet bekanntlich mehr „Kaufkraft“, Prosperität usw. Vielleicht auch daher der Zusammenhang zu „wohlhabenden, gut entwickelten Ländern“ (s.o.)? (Noch heute wird in Krisen immer wieder gesagt, dass z.B. Deutschland aufgrund struktureller Grundentscheidungen „besonders gut“ „durch die Krise“ kommt.)

Die vorgeschlagene kommunale Kasse wurde eingeführt 1521/2 in Wittenberg, 1523 in Leisnig, 1526 in Hamburg, 1536 im damaligen Herzogtum Württemberg, um nur einige Stationen zu nennen. Schlussendlich in einem Großteil der lutherischen Territorien³. Innerhalb von zehn bis 15 Jahren hat sich somit die Idee vom sächsischen Wittenberg aus weit in den Süden, und bald bis weit in den Norden z.B. Norwegens, verbreitet. In Württemberg z.B. wurde 1536 auch dadurch der Grundstein für eine langfristige und recht gedeihliche Entwicklung hin zum Vorzeige- und „Musterländle“ gelegt.

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¹ Z.B. der protestantische Berufsgedanke, das besondere Berufsethos.

² „Von des christlichen Standes Besserung“, 1520.

³ Für die erste gedruckte Ordnung von 1523 – nach Beratungen mit Luther verfasst und mit dessen tätiger Mithilfe in Leisnig eingeführt – schrieb der Reformator auch eine (heute berühmte) Vorrede und gab beides im Druck heraus. Die „Ordnung eines gemeinen Kastens“ mit Luthers warmer Empfehlung zur Nachahmung erlebte noch 1523 acht Auflagen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

m.schuetz

Hobby-Intellektueller, angehender Humorist, (jetzt auch Spaßblogger, Aktivist und Bürgerrechtler), twittert hier nicht

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