Themen der Reformation: Spiritualität

Alltag Von „Spiritualität des Wartens“ bis „Alltagsspiritualität“, gerade bei eingeschränkter Mobilität ist sie gefragt: Hier einige Beispiele reformatorischer Spiritualität.

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Die Reformation war eine Bildungsbewegung, ein Medienereignis und manches andere mehr. Insbesondere bedeutete sie eine Vertiefung und „Demokratisierung“ der Spiritualität. Heute sind an dieser Stelle die interkonfessionellen und gesellschaftlichen Grenzen schwimmend und vieles ist längst Allgemeingut.

Die Kraft des Verzichts

Dass das diesjährige Buch zur Fastenaktion „7 Wochen ohne“ schon seit Wochen ausverkauft und vergriffen ist, zeigt, dass gerade auch in unseren Tagen dem bewussten Verzicht nicht wenige Menschen etwas Positives abgewinnen können. Fasten meint oft den Verzicht auf Essen. Die Aktion „7 Wochen ohne“ weitet das Fasten auf andere Bereiche aus. Fasten vom Autofahren. Fasten von (TV-)Konsum... Fasten also als Möglichkeit zum Perspektivwechsel, als Option, Dinge anders sehen zu lernen. Banaleres und Schwergewichtigeres kann sich dabei mischen: Fasten von Süßigkeiten oder Fasten vom Hinter-dem-Rücken-Lästern steht auch manchmal auf dem Programm.

Die Reformation schaffte den Zwang zum Fasten ab. Für sie wird Fasten zu einer Übung ad libitum(aus freien Stücken): Wo der Mensch Gewinn und Nutzen daraus ziehen kann, ist es gut, wenn es aber etwa als Heilsweg propagiert wird, gar gesundheitsgefährdend wird, ist es abzulehnen. Heute will Fasten, wenn man sich darauf einlässt, z.B. zu einem bewussteren Leben verhelfen. Vielleicht auch (noch unbewusste) Abhängigkeiten aufzeigen. Oder einfach helfen, „das Wesentliche“ nicht aus dem Blick zu verlieren.

Alltagsspiritualität

Für Martin Luther sind nicht erst bestimmte spirituelle (Frömmigkeits-) Übungen oder Zeiten mit besonderer Dignität ausgestattet. Schon der Alltag, auch der Dienst am Nächsten ist eine Art Gottesdienst. Schon im ganz normalen Berufsleben tut man ein „höheres“ Werk, insofern und weil man damit ja der Gemeinschaft hilft und dient: Ein Beispiel „spiritueller“ Deutung nicht erst am Rand, sondern „mitten im Leben“.

Biographiearbeit und Identitätsbildung

Erzwungene Pausen, vielleicht gar Kerkerhaft und Gefangenschaft sind nicht selten Situationen, in denen Spiritualität sich bildet oder wächst. Für den Lutheraner Dietrich Bonhoeffer war fraglos die Zeit der Berliner Haft eine solche Zeit. In seinem bekannten Gedicht „Wer bin ichreflektiert er Fragen der Selbstwahrnehmung und der Außensicht, der Zweifel und der inneren Bewährung. Dabei geht es untergründig stets auch um die Frage, wie man wurde, wer man ist (biographisch), wo Quellen liegen, woraus man sich definiert oder definieren lässt (Identität).

Bonhoeffer lässt die Frage aber nicht in einem Selbstgespräch, das ja durchaus Stimmungen und Schwankungen unterworfen ist („bin ich der oder jener, heute dieser und morgen ein andrer?“), sondern ist so frei ein typisch lutherischer Zug die Frage an eine andere, an eine höhere Instanz abzugeben. Es sind dann also nicht „wir“ oder ich, die hier ein letzthinniges Urteil sprechen (müssen) (oder auch nur könnten). Das zu wissen, kann sehr „heilsam“ sein.

Erlösung

Manche und mancher versteht in unseren Tagen wohl recht gut, was eigentlich ein Wunsch nach „Erlösung“, was eine „Bitte um Erlösung“ heißt. „Erlöse uns von dem Bösen“ lautet eine Bitte im jesuanischen Vaterunser-Gebet, ein Gebet, das bei Martin Luther eine Zentralstellung der Spiritualität erhält und innehat. Zugleich ist das Vaterunser neben den Psalmen eines der vielleicht am Stärksten im Jüdischen verwurzelten Gebete in der christlichen Welt, woran man vielleicht anlässlich „1700 Jahre Judentum“ ebenfalls erinnern kann. Gebete wie die Psalmgebete kann man ja, ebenso wie Meditieren, als genuine Urform praktizierter Spiritualität bezeichnen (Spiritualität „at its best“).

Passion

Eine Zeit der Entbehrung kann auch Quelle der Inspiration werden, wie nicht nur das Thema Fasten zeigt. Es gibt das klassische Bild der „Wüste“ und der „Wüstenerfahrung“, die zu einer Vertiefung und einer inneren Klärung führen kann. Wird man einer Sache „entäußert“, z.B. im materiellen Sinn, kann sich zeigen, dass „es Wichtigeres gibt“: In einer Absage an „weltliche“ Bezüge haben schon manche asketischen Bewegungen versucht, eine „höhere“, transzendente Wirklichkeit zu erreichen. (Doch oft nicht gefunden.)

„Dein Reich komme“ lautet eine weitere Bitte im jesuanischen Vaterunser-Gebet. Gemeint ist natürlich auch hier nicht ein Reich „dieser Welt“, sondern das „göttliche“, transzendente. Das zwar jetzt schon im Alltag aufscheint und beginnt. Darin aber nicht aufgeht und besteht.

Der Nazarener spricht davon denn auch bevorzugt in Gleichnissen. Und kurzen Bildworten. Die durchaus ungewöhnlich und verblüffend ausfallen. Zum Beispiel in seiner Antwort, als er gefragt wird, wann und wo denn nun dieses Reich komme: „Wo das Aas ist, da sammeln sich die Geier.

Nach einem Wort des Paulus kann man die Welt in einer guten Weise immer nur „haben, als hätte man sie nicht“: Man kann vieles in ihr „gebrauchen“, aber am besten nur so – in einer inneren Freiheit – als „brauchte“ man sie nicht. (Vgl. auch die antike Unterscheidung von uti und frui.) Ein typischer Zug von Spiritualität ist es, um nochmals mit Paulus zu reden, dem sich die Reformation gerne angeschlossen hat, bei aller guten und richtigen Weltlichkeit nicht (nur) auf das Sichtbare zu sehen, sondern (auch) auf das, was nicht sichtbar ist.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

m.schuetz

Hobby-Intellektueller, angehender Humorist, (jetzt auch Spaßblogger, Aktivist und Bürgerrechtler), twittert hier nicht

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