Themen der Reformation: Zuversicht

Anthropologie Wessen sich ein Mensch versieht, qualifiziert maßgeblich sein Zeiterleben.

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Angst ist ein schlechter Ratgeber, sagt ein Sprichwort. Andererseits sind Vorsicht und Besonnenheit auch nicht zu verachten: Sie schützen vor Fehltritten. Vorsicht hat mit Furcht zu tun, mit dem abwägenden Blick voraus. Angst und Vorsicht gehören zu Konstanten des menschlichen Wesens, seit man denken kann. Genau wie die Fähigkeit, sich zu korrigieren oder aus Fehlern zu lernen. „Der Mensch heißt Mensch … weil er irrt … und weil er hofft … weil er sich anlehnt … und weil er lacht“, dichtete ein angesehener Poet.

Literarische Zeugnisse von Angst oder Hoffnung, vom sich versehen finden sich bereits viele Jahrhunderte vor Beginn unserer Zeitrechnung. „Mein Herz ängstet sich in meinem Leibe, und Todesfurcht ist auf mich gefallen. Furcht und Zittern ist über mich gekommen, und Grauen hat mich überfallen“, hören wir einen Dichter im alten Orient.

Zuversicht als Leit- und Schlüsselbegriff

Vermutlich kann man es nicht hoch genug einschätzen, dass Martin Luther in die Mitte seiner Theologie den Begriff der Zuversicht gestellt hat. Er nennt das Fiducia (lat.). Leitend bei der historischen Genese dieses Schlüsselbegriffs sind Beispiele aus dem alten Israel, namentlich die Psalmen (aus denen auch das obige Zitat „Mein Herz...“ stammt: Psalm 55,5f).¹ Schon die frühesten Vorlesungen als Theologieprofessor hielt Luther über die Psalmen (1513/15).² Eine zweite Psalmenvorlesung schloss sich 1519/21 an.³

Sosehr in den Psalmen der Wechsel zwischen verschiedenen menschlichen Grundbewegungen und existentiellen Grundregungen zu finden ist wie Furcht, Angst, Trauer, Freude, Geborgenheit usw.4, so sehr spürt Luther in der Beschäftigung mit ihnen der Frage nach, wie es denn jeweils auf der Sprach- und Wortebene zu eben diesem Umschwung individuell kommt. Welche Sprechakte leiten diesen jeweils ein?

Zuversicht des Menschen entsteht aus dem, worauf er sich verlässt, worauf er hofft, worauf der Mensch zulebt: wessen er sich versieht. Und wessen sich der Mensch versieht, qualifiziert auch sein Zeiterleben, bestimmt, ob er etwas als Erfolg oder Misserfolg betrachtet, ob er zufrieden oder unzufrieden ist.

Anmerkungen

1 Einschlägig sind etwa Ps 46,2; Ps 62,8f; Ps 71,5; Ps 91,2; Ps 142,6; uvm.

2 Der Psalter, der ja das Gebetsbuch des alten Israels darstellt, war auch Gegenstand der ersten eigenständigen Veröffentlichung Luthers im März 1517, der tägliche Umgang mit Psalmen war nicht zuletzt fester Bestandteil seiner monastischen Existenz. Seine Operationes in Psalmos, 1519 im Druck erschienen, bestehen aus fortlaufenden Psalmenauslegungen.

³ Auch Beispiele aus dem Neuen Testament sind für Luther dann natürlich einschlägig, wobei naheliegenderweise z.B. die verschiedenen „Fürchtet euch nicht“- oder „Friede sei mit euch“-Sequenzen besondere Bedeutung haben. Der Begriff „Zuversicht“ selbst ist im NT interessanterweise nicht allzu häufig vertreten allerdings im neutestamentlichen Brief „An die Hebräer“ (über den Luther 1517/1518 eine Vorlesung hielt), siehe z.B. Hebr 11,1 u.a. (Die inhaltliche Sache ist im NT verstärkt belegt und aufgenommen durch Äquivalentbegriffe wie etwa Pistis (gr.). In systematischer Hinsicht kann diese begriffliche Übertragung kategorial an derselben Stelle gesehen werden wie etwa die Aufnahme des alttestamentlichen Prophetenwortes über die feste Zuversicht in Habakuk 2,4 [vgl. dazu die Übersetzung in der griechischen Septuaginta (LXX): ὁ δὲ δίκαιος ἐκ πίστεώς μου ζήσεται.] im neutestamentlichen Brief an die Römer 1,17, eine der Kardinalstellen dann für Luthers Grundeinsicht: „Der Mensch lebt aus dem, wessen er sich fest versieht“ oder: „Der Mensch lebt aus Zuversicht.“)

Vier klassische Texte Luthers machen die Schlüsselstellung deutlich, auf strukturell je verschiedenen Ebenen a) formal logische Begriffsebene, b) existentiell (anthropologisch) individuell affektive Ebene, c) in testamentarischer Hinsicht:

Zum „sich versehen“ vergleiche die berühmte Auslegung zum 1. Gebot (WA 30 I, 132ff), Was heißt einen Gott haben oder was ist Gott?Antwort: Ein Gott heißet das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten“, alsowessen du dich versiehst: woran du dein Herz hängst und worauf du dich verlässt,das ist eigentlich dein Gott. Zum Abschied von einem primär angstmachenden Gott hin zu einem zuallererst getroste Zuversicht schenkenden Gott vergleiche den berühmten Rückblick Luthers (1545) auf seine Grundeinsicht bis dahin hasste ich geradezuden angstmachenden, strafenden Gott … , bis ich auf den Zusammenhang der Worte achtete … , nämlichdass der Mensch geschenkweise, durch Zutrauen, sich-verlassen und Zuversicht in die richtige Stellung zum Göttlichen kommt, da fühlte ich mich, als wäre ich geradezu erneut in das Paradies eingetreten, usw.(WA 54, 179ff, lat.). Als summarisches Vermächtnis kann zudem der „letzte Zettel“ von 1546 gelten mit dem Ausspruch: Wir sind Bettler, das ist wahr(gemeint ist hier eine „geistliche Bettlerschaft“). Zum existentiell individuellen Nachvollzug vgl. die nachstehende Psalterinterpretation.

4 Mit seinen verschiedenen Vorreden und Nachworten zum Psalterbuch (1524, 1525, 1528, 1531, 1545) hat er dem ein eindrückliches Sprachdenkmal gesetzt, besonders die Vorrede von 1528 gilt vielen als Perle literarischer Prosa, daraus hier einige Auszüge (Text teilweise modernisiert):

„wenn man wünschen sollte, dass aus allen Exempeln, Legenden, Historien das Beste gelesen und zusammengebracht und auf die beste Weise gestellet würde, so müsste es der jetzige Psalter werden. […]

Es ist ja ein stummer Mensch gegen einen redenden schier als ein halb toter Mensch zu achten. Und kein kräftigeres noch edleres Werk am Menschen ist als reden. Zumal der Mensch durchs Reden von anderen Tieren am meisten geschieden wird, mehr als durch die Gestalt oder andere Werke. [...]

Zudem tut der Psalter noch mehr […] dass wir in den Grund und Quelle ihrer Worte und Werke, das ist in ihr Herz sehen können, was sie für Gedanken gehabt haben. Wie sich ihr Herz gestellt und gehalten hat in allerlei Sachen, Gefahr und Not. [...]

Denn ein menschliches Herz ist wie ein Schiff auf einem wilden Meere, welches die Sturmwinde von den vier Orten der Welt treiben. Hier stößt her Furcht und Sorge vor zukünftigem Unfall. Dort fährt Grämen her und Traurigkeit, von gegenwärtigem Übel. Hier weht Hoffnung und Vermessenheit, von zukünftigem Glück. Dort bläset her Sicherheit und Freude in gegenwärtigen Gütern.

Solche Sturmwinde aber lehren mit Ernst reden und das Herz öffnen und den Grund herausschütten. Denn wer in Furcht und Not steckt, redet ganz anders von Unfall, als der in Freuden schwebt. Und der in Freuden schwebt, redet und singt ganz anders von Freuden, als der in Furcht steckt. Es geht nicht von Herzen (spricht man) wenn ein Trauriger lachen oder ein Fröhlicher weinen soll. Das ist: Seines Herzens Grund steht nicht offen und ist nicht heraus.

Was ist aber das meiste im Psalter, denn solch ernstlich reden in allerlei solchen Sturmwinden? Wo findet man feinere Worte von Freuden als die Lob-Psalmen oder Dank-Psalmen haben? Da siehest du allen Heiligen ins Herz wie in schöne köstliche Gärten [Luther: wie in schöne lustige Gärten], ja wie in den Himmel, wie feine herzliche köstliche Blumen [Luther: wie feine herzliche lustige Blumen] darinnen aufgehen von allerlei schönen fröhlichen Gedanken gegen Gott für seine Wohltaten.

Umgekehrt, wo findest du tiefere, kläglichere, mitleiderregendere Worte, von Traurigkeit, als die Klage-Psalmen haben? Da siehst du abermals allen Heiligen ins Herz, wie in den Tod, ja wie in die Hölle. [...]

Daher kommts auch, dass […] ein jeglicher, in welcherlei Sachen er ist, Psalmen und Worte darinnen findet, die sich auf seine Sachen reimen und ihm so eben sind, als wären sie allein um seinetwillen also gesetzt, dass er sie auch selbst nicht besser setzen noch finden kann noch wünschen mag. [...]

Denn er lehrt dich in Freuden, Furcht, Hoffnung, Traurigkeit gleich gesinnt sein und reden […]

Summa: Willst du die heiligen Christlichen Kirchen gemalet sehen mit lebendiger Farbe und Gestalt in einem kleinen Bild gefasst, so nimm den Psalter vor dich, so hast du einen feinen, hellen, reinen Spiegel, der dir zeigen wird, was die Christenheit sei. Ja, du wirst auch dich selbst darin und das rechte Gnothiseauton [Erkenne dich selbst] finden. Dazu Gott selbst und alle Kreaturen.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

m.schuetz

Hobby-Intellektueller, angehender Humorist, (jetzt auch Spaßblogger, Aktivist und Bürgerrechtler), twittert hier nicht

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