Akteneinsicht

Geheim Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe

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Vor Hans Modrow, dem Ehrenvorsitzenden der PDS und letzten Ministerpräsidenten der DDR kann man nur den Hut ziehen. Er hat den Schneid, für sich und andere ehemalige Ostler vor dem Bundesverwaltungsgericht auf Akteneinsicht zu klagen. Nein, nicht auf die Einsicht in Stasiakten. Die ist ja in Siegermanier geregelt. Nein, auf Einsicht in Akten des Bundesnachrichtendienstes und des Verfassungsschutzes. Da ist es allerdings so, dass man dreißig Jahre lang nicht rankommt. Schwierig für einen Neunzigjährigen.

Hans Modrow wurde offenbar seit den Sechzigerjahren von den genannten Behörden im Auge behalten. Die Schlapphüte West überwachten ihn und andere Politiker Ost. Das könnte noch hingehen, es war Kalter Krieg, die Systeme versuchten, über ihre „Gegner“ in Erfahrung zu bringen, was immer in Erfahrung zu bringen war.

Wohlmeinend wäre nun anzunehmen, dass diese Bespitzelung mit der Wende und dem als Wiedervereinigung gefeierten Anschluss an die Bundesrepublik ein Ende gehabt hätte. Weit gefehlt, erst im Jahr 2013 stellte offenbar der Verfassungsschutz die Überwachung von Hans Modrow ein. Ich wage mir gar nicht vorzustellen, welcher Aufschrei durch die Gazetten ginge, wenn herauskäme, dass die Stasi bis 2013 …, lassen wir das lieber.

Mein öffentlich-rechtlicher Lieblingsfernsehkanal verstieg sich zu der Aussage, dass Modrow als Spitzenpolitiker der DDR „natürlich eine Akte beim BND hat“. Wieso „natürlich“ meine ich erwidern zu müssen. Was ist denn „natürlich“ an Geheimdienstakten, die noch dazu im vereinten Deutschland laufend aktualisiert wurden? Die Akten des östlichen Ländchens werden seit Jahren auf das Schärfste verurteilt, mit Recht, wie ich finde. Wieso sind denn die Westakten besser, frage ich?

Später dann bringt es der gleiche Kanal in einer anderen Sendung zu der Feststellung, Modrow wolle Akteneinsicht „als seien BND-Akten das Gleiche wie Stasi-Akten“. Sind sie nicht, frage ich weiter? Und worin besteht der Unterschied? Und warum wurde die Spitzelei über zwanzig Jahre nach Wende, Anschluss und Wiedervereinigung fortgesetzt? Sind die Westakten demokratisch legitimiert? Und was schützt eigentlich der Verfassungsschutz, wenn wir gar keine je vom Volk beschlossene Verfassung haben, ich erinnere an Artikel 146 Grundgesetz?

Für mich gibt es nur eine Antwort: Weil das Ganze noch immer eine Klassenfrage ist. Weil die herrschende Elite es nicht sehen kann, dass es standhafte Menschen gibt, die sich dem System nicht anbiedern wollen und können. Und ein spezielles Licht wirft es wieder einmal auf die „freien und unabhängigen Medien“, wie besagten öffentlich-rechtlichen Fernsehkanal, der schon mit der Nachricht die Wertung vornimmt, der nicht zwischen Nachricht und Kommentar zu unterscheiden weiß und sich doch als unabhängiger Journalismus wähnt.

Schon Rosa Luxemburg wusste, dass „die Freiheit immer die Freiheit der Andersdenkenden ist“. Und um genau zu wissen, was jene Anderen denken, ist ein bisschen Schnüffelei nötig. Wir ahnen es nicht erst seit Edward Snowden, dass der „freie Westen“ kaum besser als andere Systeme ist, wenn es um die geheimdienstliche Erlangung von Wissen geht, um Überwachung und Bespitzelung. Wie wir heute wissen, hatte die Staatsführung der DDR Angst vorm eigenen Volk und ließ es auf perfide Weise überwachen. Vielleicht erfahren unsere Kinder in dreißig Jahren, wovor sich die heutige herrschende Klasse fürchtete und wen sie mit welchen Methoden ausspionierte.

Staunen lässt mich immer wieder, dass der öffentliche Aufschrei nur dann nicht ausbleibt, wenn Fehlentwicklungen bei vermeintlichen Gegnern entdeckt werden. Hätte beispielsweise der russische KGB Horst Seehofer überwacht, gäbe es vielleicht sogar Sondersendungen in den öffentlich-rechtlichen „freien Medien“.

Aber so…

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Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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