Alle Jahre wieder

Heiland oder Kaufland Gedanken zur Adventszeit

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Nun ist sie wieder da, die Zeit der dunklen Stunden, die Nachmittage und Frühabende bei Kerzenschein, Rauchermannel und Lebkuchenduft. Die gemütlichen Vorweihnachtstage, an denen wir innehalten, zurückschauen und uns auf unsere Nächsten besinnen. Die Zeit des Plätzchenbackens und der süßen Düfte, der vorweihnachtlichen Geheimnisse, in der die Kinderaugen zu leuchten anfangen, die Pyramide sich langsam zu drehen beginnt, sie geheimnisvolle Schatten auf die Zimmerdecke wirft und so Erinnerungen an die eigene Kindheit wach werden. Wo an jedem Sonntag eine weitere Kerze entzündet wird, die Licht und Wärme in die Herzen bringt. Die symbolisiert, dass des Erlösers Geburt naht, der Heiland kommen wird und wir wieder hoffen dürfen. Die Zeit, wo unsere Tische mit immergrünem Reisig geschmückt sind, wo in der Stille gebastelt und so manche Überraschung in heimlicher Arbeit angefertigt wird. Wo wir im Kerzenschein alte Geschichten aus abgegriffenen Büchern lesen, wo wir am Kamin sitzen, während draußen die Schneeflocken wirbeln, der Mond über den Tannen steht und wir es uns so richtig gemütlich machen werden.

Wie jetzt, das ist Quatsch? Ist Ihre Vorweihnachtszeit etwa anders? Ach so, Sie müssen die Einkaufssonntage nutzen, weil Sie wochentags keine Zeit haben wegen der Arbeit. Und dabei hatten Sie sich so sehr vorgenommen, dass es in diesem Jahr anders wird. Aber was will man machen. Der Chef hat Aufträge, da kann man ihm nicht mit der Adventszeit kommen. Schließlich wird in diesem Jahr auch die Betriebsweihnachtsfeier ausfallen, ist als Jahresabschlussfeier auf den Januar verschoben, weil da mehr Zeit ist. Natürlich, das verstehe ich schon. Und der erste Adventssonntag ist verkaufsoffen, da muss man hin, na klar. Man braucht natürlich noch die eine oder andere Kleinigkeit, Geschenkpapier, rote, innen hohle Schokoherzen und natürlich auch eine neue, elektrische Weihnachtsbaumbeleuchtung. An der alten hatte im letzten Jahr die Katze geknappert und wäre dabei beinahe einem Stromschlag erlegen. Es wird wieder schön werden, inmitten hunderter kaufwilliger Weihnachtsschnäppchenjäger in der glänzend hell erleuchteten Einkaufswelt, richtig heimelig. Ja, ich würde Sie da gern begleiten.

Und am zweiten Advent muss man auf den Weihnachtsmarkt, auch klar. Der Glühwein wird wieder überteuert sein, aber es ist Tradition, ihn dort zu trinken. Man wird im Matsch stehen zwischen all den Buden, die in jedem Jahr die gleichen sind. Man wird zwischen Stricksocken und Weihnachtsbaumschmuck an einer Bratwurst nagen und sich an der schönen, engelsgleichen Musik freuen, die sich englischsprachig aus den Lautsprechern im dauergleichen Takt von Kutschpferdeglöckchen erbricht. Wie warm es uns ums Herz werden wird. Nun, auch das ist aus Gewohnheit gut.

Am dritten Advent müssen Sie Ihre Tante besuchen, ist auch wie jedes Jahr. Schließlich hoffen Sie auf die kleine Zuwendung von ihr. Können Sie ja auch gut brauchen in der Zeit von Kaufrausch und Besinnungswahn. Und während Tantchen das ganze Restjahr über vergeblich auf Ihr Kommen hofft, werden sie ihrem Besuchswunsch jetzt natürlich nachkommen, das versteht sich.

Und dann kommt schließlich der vierte Advent und Sie haben keine Gans gekauft, der Rotkohl fehlt noch und für den ersten Enkel will schnell ein Kindertablet besorgt sein, damit der Kleine am zweiten Feiertag mit dem Ding ruhig gestellt werden kann, denn Onkel Phillip, der alte Kinderschreck, hat seinen Besuch angekündigt. Und ein Baum muss schließlich auch noch her, und nicht wieder so eine Krüppelkiefer wie zum letzten Fest. Ja, es will viel sein in diesen Tagen des frohen Wahnsinns.

Spätestens nach den Festtagen fällt Ihnen dann auf, dass auch in diesem Jahr statt des Heilands nur das Kaufland wieder Ziel Ihres Trachtens war. Und Sie nehmen sich vor, dass es zur nächsten Weihnacht mal ganz anders wird. So richtig mit Ruhe und Besinnlichkeit, ganz ohne Stress und Hektik und ohne wilde Kämpfe in Großraumeinkaufstempeln. Und Sie fragen sich, wofür das eigentlich alles gut war, wenn es doch genügen würde, im Kerzenschein ein Gedicht zu lesen.

Und genau das frage ich mich auch.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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