Das böse K-Wort

Alternative Zukunft Über richtige Begriffe und falsches Zurückwollen

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Es gibt Wörter, die sind wie Kristalle. Es sind edle und reine Wörter, wie zum Beispiel „Soziale Marktwirtschaft“. „Sozial“ ist ja schon mal ein positiv besetzter Begriff und im Zusammenspiel mit „Markt“ und „Wirtschaft“ verleiht es dem, der die Wortverbindung benutzt, geradezu Kraft, Dynamik und Stärke. Es geht eine Strahlkraft von diesem Wortungetüm aus. Man fühlt sich geborgen und wohl. Und dann gibt es noch die anderen Worte. Die haben den Charme einer offenen Bierflasche nach drei Tagen in der Sonne. „Kapitalismus“ ist so eines, igitt. Böse und banal, es riecht förmlich nach Öl, Blaumann und Werkhalle. Damit hat unsere Gesellschaft nichts mehr zu tun. Wir haben, glaubt man dem, was gemeinhin die „öffentliche Meinung“ genannt wird, den Kapitalismus längst überwunden und sind in die Phase der „Sozialen Marktwirtschaft“ vorgestoßen. Das ist selbstredend etwas gaaanz anderes als Kapitalismus. Wenn mit der ein- oder anderen Reform die letzten kleinen Unzulänglichkeiten beseitigt sind, dann werden wir im Paradies leben. Kapitalismus stört nur, besser ist Marktwirtschaft mit ewigem Wachstum in sozialer Verantwortung - denn wer‘s glaubt wird selig.

Die bevorstehende Wahl, und es steht ja eigentlich immer irgendeine vor der bundesdeutschen Tür, befördert gerade im Freundeskreis die Diskussionen um die Ausgestaltung der Gesellschaft und mögliche Alternativen zu ihr. Wenn man aber, wie ich es gelegentlich tue, beide Wörter im gleichen Atemzug nennt, also „Kapitalismus“ und „Alternative“ dann ruft das bei einigen Freunden einen Grauschleier auf den Gesichtern hervor. „Gibt’s nicht“ oder „Hatten wir schon“ sind noch harmlose Reaktionen. Die herausforderndste war aber: „Du willst also zurück?“ Mit „zurück“ ist natürlich die DDR gemeint, die Zone, die „Sogenannte“, der „Arbeiter- und Bauernstaat“ und wie auch immer die Herrschaften im ostdeutschen Oberstübchen und ihre westdeutschen Entsprechungen das Ländchen zu nennen pflegten.

Um eines ganz klar zu sagen: Nein, ich möchte diese DDR, so wie sie war, nicht zurück haben, auch nicht als Geschenk verpackt. Obwohl manches offensichtlich besser organisiert war, die auch dort vorhandene Bürokratie im Vergleich zur jetzigen geradezu lächerlich und manches, wie die Arbeits- und Sozialgesetzgebung sowie die Volksbildung geradezu vorbildlich ausgestaltet war. Nein, ich möchte nicht zurück. Was ich möchte ist, einen Schritt vorwärts gehen. Wer noch immer glaubt, dass der derzeitig real existierende Kapitalismus, weichgespült und getarnt als „Soziale Marktwirtschaft“, das Ende der Geschichte sei, ist entweder blind oder blöd. Wir erleben gerade gesellschaftliche Verwerfungen und ein vollkommen falsches Zurückwollen zu nationalen Egoismen, das einem bei näherem Hinschauen Angst und Bange werden kann. Uns wird das Märchen erzählt, dass es allen, und mit allen sind nicht nur die Menschen in Deutschland gemeint, gut gehen kann in diesem System. Das ist schlechterdings unmöglich, weil das System auf Ausbeutung beruht, Ausbeutung von Mensch, Umwelt, Natur und Ressourcen. Jeder hat die Chance auf Glück, aber alle haben sie nicht.

Über die Verteilung des Reichtums in dieser Gesellschaft ist schon hinreichend berichtet worden. Dass der ärmere Gesellschaftsteil größer wird und der reichere reicher, scheint eine Binsenweisheit zu sein. Dass alle Gesellschaftsbereiche, auch jene der Daseinsfürsorge des Staates, gnadenlos den „Gesetzen der Märkte“ untergeordnet werden, ebenso. Dass das alles aber so sein und vor allem bleiben muss, ist überhaupt nicht sicher. Dass die sogenannten Klassengegensätze im derzeitigen kapitalistischen System verwischt sind, dient diesem dazu, sich zu legitimieren. Aufgehoben sind diese Gegensätze aber keinesfalls. Vielen scheint die Vorstellungskraft zu fehlen, sich eine bessere und gerechtere Gesellschaftsform auszumalen.

Und leider sind auch zwei Dinge, die wir schon in der Schule lernen mussten, nur allzu wahr. Da ist einerseits der Grundwiderspruch des Kapitalismus, also die Vergesellschaftung der Produktion mit privater Aneignung des Gewinns sowie andererseits die zyklische Herausbildung von Krisen. Beides lässt sich sehr schön in der Praxis beobachten und diese ist ja bekanntermaßen das Kriterium der Wahrheit, und das nicht erst, seit Lenin es aufschrieb. Offenbar hatten meine Lehrer Recht, auch wenn mancher von ihnen damals selbst nicht glaubte, was er uns lehrte.

Weil ich beide Systeme kennenlernen durfte, mich in beiden Gesellschaftsformen einrichten und zurecht finden musste, weiß ich, dass es etwas Besseres geben kann und muss. Mir fehlt dazu jedenfalls die Fantasie nicht. Die LINKE nennt es einen neuen, lustvollen Sozialismus. Das ist auch ein schönes Wort, eines mit Flügeln, mit denen es in die Zukunft fliegen kann. Deshalb weiß ich in etwa, was zu wählen sein wird, wenn mal wieder Wahl ist.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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