Das mir mögliche tun

Gelesenes Letzte Worte des Dichterförsters Gottfried Unterdörfer

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„Auch Bäume leben vom Laub der alten Jahre.“ ist ein Satz aus dem neuen Buch, das aus der Feder des Dichterförster Gottfried Unterdörfer (1921–1992) stammt. Sein Sohn Burkhard Unterdörfer hat dankenswerterweise den bisher unveröffentlichten Text für eine breite Öffentlichkeit zugänglich gemacht und im „Via Regia Verlag“ herausgegeben.

Dieses Laub dürfen wir jetzt aufsammeln und teilhaben an einem ganzen Försterjahr. Denn genau darum handelt es sich: ein Lebensjahr im Oberlausitzer Revier. Der Autor schildert familiäre Erlebnisse, berufliche Begebenheiten, Gedanken zu gelesener Literatur oder erlebten Theateraufführungen genauso wie Veränderungen in der Natur. Letztere sind menschengemachte durch den nahen Tagebau oder jahreszeitlich bedingte. Letztlich hat Unterdörfer einen messerscharfen Blick auf die Dinge in seinem Umfeld.

Persönlich wird das Erzählte stets an zwei Punkten: die ihn prägenden Erlebnisse aus Kriegstagen, die ihn zeitlebens nicht losließen und die tief kirchlich geprägte Weltsicht. Beides, der christliche Humanismus, die Nächstenliebe und Menschenfreundlichkeit stellt er immer wieder den Begebenheiten in Kriegstagen gegenüber, in denen er versucht hatte, sich genau diese Menschlichkeit zu bewahren. Ein unmöglicher Zwiespalt, dem vermutlich alle begegneten, die aktiv den Krieg erlebten.

Was das Buch auszeichnet, ist die vollkommen unaufgeregte Sicht des DDR-Alltags. Genau in dieser Weise haben ihn ja viele ehemalige DDR-Bürger erlebt, jenseits von jeglichen offiziellen Verlautbarungen und vor allem jenseits von Staatssicherheit und Spitzeltum. Die gab es, sie kamen aber im Leben von vielen nur marginal oder gar nicht vor. Und so ist es nicht verwunderlich, dass sie in den Aufzeichnungen des dichtenden Försters nicht vorkommen.

Stattdessen immer wieder Reflexionen zu ihn beschäftigender Literatur. Und ihn scheint vielfältiges literarisches Interesse geleitet zu haben. Darunter Schriftsteller wie Litschutin und Paustowski aus dem Russischen oder der französische Lusseyran. Ein gebildeter Mann war dieser Unterdörfer, der seinen Platz am Tisch von Malern und Dichtern genauso ausfüllte wie im Pausenwagen der Mitarbeiter in Wald und Flur. Besonders menschlich sind die Schilderungen von persönlichem Unvermögen, sei dies im Umgang mit anderen oder bei handwerklichen Arbeiten.

Ja, dieser Gottfried Unterdörfer war einer von uns, hatte wie wir alle, seine Fehlbarkeiten und bekannte sich zu ihnen. Das vermag beim Leser des 248-seitigen Buches manches Lächeln aufs Gesicht zaubern, aber auch Verständnis wecken. Ich hatte bei der Lektüre viel Vergnügen und fand so manchen Gedankensplitter des Autors, in dem ich mich wiederentdeckte. „Glück stellt Ansprüche, Freude ist genügsam.“ oder „Es gibt immer eine spätere Sicht, die dem, was war, nicht gerecht wird.“ sind Sentenzen, die zeitlos sind und die zum Nachdenken anregen. Letztere birgt eine tiefe Wahrheit, wenn bedacht wird, wie viel Halbwahres über unser Leben in der DDR bisher geschrieben und berichtet wurde.

Das vorliegende Buch ist ein kleiner, aber wichtiger Beitrag, nach Jahrzehnten des Anschlusses an die alte Bundesrepublik das Leben im Osten besser zu verstehen. Und Aktualität gewinnen die Worte, wenn Gottfried Unterdörfer schon zu seiner Zeit erkannte, was heute unumstößliche Wahrheit ist: „Wir müssen unser Verhalten zur Natur überdenken und unsere Abhängigkeit von ihr einsehen bis hin zu eigenem Verzicht, wenn wir nicht wollen, dass sie uneins wird mit uns. Menschen können ihr Versagen einander vergeben. Die Natur vergibt nicht. Sie reagiert. Und Verlierer ist immer der Mensch.“

Ergänzt wird der Text durch Holzschnitte von Johannes Lebek (1901–1985), die jedes Kapitel und damit jeden Monat einleiten und auf magische Weise mit den Worten eine Symbiose eingehen.

Mir spricht Gottfried Unterdörfer aus dem Herzen, wenn er schreibt: „Ich habe Achtung vor schreibenden Arbeitern, vor arbeitenden Arbeitern, die außerdem noch schreiben.“ Mit diesen Worten wird er mir zum väterlichen Freund und Kollegen.

Danke, Burkhard Unterdörfer, für dieses Buch ihres Vaters.

Gottfried Unterdörfer „Blätter unter Licht und Schatten“, Via Regia Verlag Königsbrück 2019,
ISBN 978-3-944104-33-1

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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