Demokratiegeplapper

Inhaltsloses Reden Je öfter von ihr geredet wird, umso unglaubhafter wird sie, die Demokratie

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Anlässlich der Verleihung des Deutschen Buchhandlungsspreises wurde verlautbart, dass „die Buchhandlungen die Keimzellen der Demokratie wären“. Welchen Wahrheitsgehalt haben diese Worte?

Einen geringen, wenn man bedenkt, dass die Zahl der Buchhandlungen in den letzten Jahren nicht zugenommen hat. Oder ist die Aussage gerade deshalb richtig? Besucht der geneigte Leser eine solche Einrichtung, lachen ihm die auf den vermeintlichen Bestsellerlisten gepriesenen Bücher entgegen. Nichts gegen die Buchhandlung an der Ecke mit ihren Standardangeboten, sie als „Keimzelle der Demokratie“ zu bezeichnen, ist, mit Verlaub, ein wenig überzogen.

Wie sich überhaupt das Wort Demokratie einer inflationären Benutzung erfreut. Stets wird von selbiger gesprochen, wenn Politiker fast aller Richtungen das derzeitige System preisen wollen. Dabei hat es die wirkliche „Volksherrschaft“ schwer, um nicht zu sagen, dass die meisten Entscheidungen nicht auf dem Willen einer Mehrheit der Bevölkerung beruhen.

Wenn sich Herr A. mit Herrn B. wöchentlich einen televisionären Schlagabtausch liefert, ohne sich zu überzeugen versuchen, ist das nur Theater, und nicht mal gut gemachtes. Demokratisch sein wollende Theateraufführungen, welche vorgaukeln, die Menschen im Land könnten mit ihrer öffentlichen Meinung auch nur das geringste ändern. Statt diese Meinung zu respektieren, wird nur vorgespielt, das Volk hätte das letzte Wort. Eine Pseudodemokratie reinsten Wassers, politische Mimikry.

In unserem Landkreis ist seit Monaten die Strecke einer Regionalbahn stillgelegt und wird mit Schienenersatzverkehr bedient. Welche Bahnen führen, lägen die Entscheidungen darüber beim Souverän? Man hat uns eingeredet, dass durch die Privatisierung der Bahn alles besser würde. Die Praxis als Kriterium der Wahrheit sieht leider anders aus. Es war in der zonalen DDR schlechterdings unmöglich, eine Bahnstrecke stillzulegen, weil die Werktätigen damit zur Arbeit fuhren. Eingaben bis ins Politbüro wären die Folge gewesen. Und die Reaktion der Menschen heute? Stillschweigende Akzeptanz der neoliberalen Gegebenheiten. Im Gegenteil, man hat Verständnis für die wirtschaftlichen Entscheidungen der Großkonzerne, Banken und Krankenkassen, wenn sich mal wieder etwas „nicht rechnet“.

Das Denken in Geldbeträgen ist den Leuten so in Fleisch und Blut übergegangen, dass die wenigsten in der Lage sind, sich eine andere Basis als Geld zur Entscheidungsfindung nur vorzustellen. Würde man den Menschen ein Bekenntnis abverlangen, es gäbe sicher eine Mehrheit für den Schwur „Ich gelobe bei meinem Mammon, alles Handeln dem Gewinnstreben unterzuordnen“.

Und die Medien spielen dieses Spiel des Schönredens mit, hinterfragen die herrschende Ordnung kaum und benutzen das Wort Demokratie genauso oft wie Politiker an Stellen, wo es nicht hingehört. Politische Herrschaft wird weder im Buchladen noch in den Medien ausgeübt. Die politische Herrschaft hat in der gegenwärtigen Ordnung noch immer das Kapital und damit die Entscheidungsgewalt über weite Teile des Lebens in unserem Land. Diese Tatsache lässt sich nicht dadurch aus der Welt schaffen, weil sie mantraartig dementiert wird. Das dürfen wir nie vergessen, auch dann nicht, wenn wir gelegentlich mal ein systemkritisches Buch im Buchhandel erstehen. Kritische Bücher machen den Buchhandel noch lange nicht zum Ort demokratischer Willensbildung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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