Die Prora-Lüge

KdF oder NVA? Der „Koloss von Rügen“ ist im Wandel. Wurde die Wahrheit wegsaniert?

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Wer im Ostteil auf der Insel Rügen, nördlich des Seebades Binz in Richtung Sassnitz unterwegs ist, wird allenthalben auf einen auch als „Koloss von Prora“ bezeichneten Mammutkomplex aus Beton mit zahlreichen Schildern hingewiesen. „Ehemaliges KdF-Bad“, so ist zu lesen und genau so soll es der moderne Urlauber auch wahrnehmen. Hier sollte das „Seebad der 20 000“ entstehen, eine riesige Ferienanlage der nationalsozialistischen Organisation „Kraft durch Freude“. Baubeginn war 1936 und tausende Arbeiter waren bis zum Kriegsbeginn 1939 mit der Errichtung der gewaltigen Betten- und Treppenhäuser sowie Liegehallen und Gemeinschaftshäuser beschäftigt. Mit Kriegsbeginn wurden die Arbeiten eingestellt. Im Jahr 1945 standen Ruinen im Rohbau an der Küste der Prorer Wiek.

Dieser nicht fertiggestellte Gebäudekomplex, dessen Ausmaße mit fast 5 Kilometern Gesamtlänge einen gigantischen Eindruck vom Größenwahn seiner Planer ahnen lässt, wurde nie als „KdF-Bad“ genutzt. Nie hat auch nur ein einziger KdF-Urlauber hier seine Ferien verbracht. Es kann also heutigentags kein „ehemaliges KdF-Bad“ sein, was da übrig blieb, höchstens ein geplantes. Was aber in Gänze verschwiegen wird und sich nur dem erschließt, der ernsthaftes Interesse an der Geschichte zeigt: die Anlage war fast 40 Jahre lang eine der größten Kasernen der ehemaligen DDR. Zwar wird in einem Teil des Prora-Museums auf diese Tatsache aufmerksam gemacht, indessen ist die öffentliche Wahrnehmung fast ausschließlich auf die geplante Nutzung als Ferienobjekt, zumal eines aus der Nazi-Zeit, gerichtet. Dazu trägt auch bei, dass in den letzten Jahren der Ausbau zu Eigentums- und Ferienwohnungen, zu Hotel und Jugendherberge emsig voranschritt. In der öffentlichen Betrachtung ist Nutzung als Kaserne somit der als KdF-Bad vollkommen untergeordnet und offenbar nur eine Randnotiz wert. Dies steht in keiner Relation zur wirklichen Nutzung des Objektes. Ist das Kalkül?

Vergessen zu werden scheint, dass an diesem Ort unter teilweise strengster Geheimhaltung ausländische Militärangehörige aus den mit der DDR befreundeten „Bruderländern“ und zehntausende Wehrdienstleistende zu Unteroffizieren und Fähnrichen aus- und weitergebildet wurden. Und fast völlig ausgeblendet wird die Tatsache, dass in Prora stationierte Bausoldaten, welche den Dienst mit der Waffe aus unterschiedlichsten Gründen verweigerten, beim Bau des Fährhafens Mukran eingesetzt waren. Gerade dieses Kapitel bedarf auch in Zukunft einer weiteren Erinnerung und Aufarbeitung. Sowohl Wehrdienstleistende wie auch Bausoldaten wurden unter teilweise rauen, harten und manchmal sehr strengen Bedingungen im Prora-Komplex kaserniert. Während die meist länger dienenden Wehrdienstleistenden freiwilligen Verpflichtungen folgten, waren die Bausoldaten gezwungen worden, die oft schwere körperliche und teilweise sogar extrem gefährliche Arbeit beim Hafenbau zu verrichten.

Es scheint fast so, als solle der heutige Rügenurlauber vor solcherlei negativen Betrachtungen verschont werden, wenn der Monsterbau 80 Jahre nach Baubeginn noch immer das Etikett „Ehemaliges KdF-Bad“ trägt. Der weit wichtigere, weil spannendere Teil der Geschichte, nämlich die Nutzung als Kaserne im Kalten Krieg der Systeme, wird glatt unter den Teppich gekehrt. Vermutlich lässt sich damit auch weit weniger Geld verdienen als mit einem zum Resort ausgebauten Relikt aus Nazideutschland. Und fast höhnisch ist es, wenn jetzt der größte Teil des Komplexes von Touristen zum Übernachten bevölkert wird. Damit trüge die Idee der Nationalsozialisten vom „Urlaub der Volksgenossen“ doch noch Früchte, wenn auch ziemlich verspätet.

Natürlich ist es schwierig, ein solch riesiges Objekt einer angemessenen Nutzung zuzuführen. Trotzdem sollte schnellstens damit begonnen werden, auch den bisher fast vergessenen Teil der Geschichte zu beleuchten, und zwar ausführlich und ernsthaft. Solange es noch Menschen gibt, die selbst Erlebtes berichten können, darf nicht geschwiegen werden.

Prora bedarf einer Blickverschiebung!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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