Die Triebe treiben aus

Leitkultur Innenministerielle Ausfallerscheinungen

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Pünktlich zum Frühjahr treiben nun auch Stilblüten zur angeblichen deutschen Leitkultur aus
Pünktlich zum Frühjahr treiben nun auch Stilblüten zur angeblichen deutschen Leitkultur aus

Foto: DAVID GANNON/AFP/Getty Images

Allenthalben treiben es die Blüten auf die Spitze. Von Rot über Orange, Weis und Blau bis hin zum Violett, es blüht in den Vorgärten, was die Erde hergibt. Und nun kommen auch noch die Stilblüten hinzu, unter anderem die unseres Ministers für die inneren Angelegenheiten, der es sich wenige Monate vor den Wahlen nicht nehmen lässt, ins Horn zu stoßen, in nämliches Horn leitkulturtrunkener Nationalisten. Beinahe scheint es so, als habe der Minister für Inneres einen über den Durst getrunken, oder er hat Visionen. Woher sonst kommen seine Eingebungen? Kehrt der Mann etwa sein Innerstes nach außen? Sollen Neubürger und Alteingesessene wirklich glauben, was er da als Leitkultur für einzubürgernde Ausländer abgesondert hat?

Beispiele gefällig?

„Wir sagen un­se­ren Namen. Wir geben uns zur Be­grü­ßung die Hand.“ Lieber Herr Innenminister, ich weiß ja nicht, wie das bei Ihnen ist. In der Straßenbahn oder im Bus ist es aber eher unüblich, seinen Namen zu sagen und nur die wenigsten geben den anderen Fahrgästen die Hand. Möchten Sie, dass sich die ausländischen Neubürger in Deutschland lächerlich machen? Sie haben überhaupt nicht erwähnt, wann und wo wir unsere Namen sagen müssen und die Hand geben sollen. Und gilt ihre Aussage auch für Herrentoiletten? Gehört es sich ab sofort, beim Herantreten ans Pissoir seinen Namen zu sagen und den Anwesenden die Hand zu reichen, so sie die gerade nicht zum Festhalten von Kleinigkeiten benutzen? Ist Ihre Aussage als aktuelle Empfehlung oder als Anweisung zu interpretieren?

„Schü­ler ler­nen – manch­mal zu ihrem Un­ver­ständ­nis – auch das, was sie im spä­te­ren Be­rufs­le­ben wenig brau­chen.“ Die Praxis ist das Kriterium der Wahrheit und offenbar gilt die Aussage auch für Minister.

„Wir leis­ten auch Hilfe, haben so­zia­le Si­che­rungs­sys­te­me und bie­ten Men­schen, die Hilfe brau­chen, die Hilfe der Ge­sell­schaft an. Als Land wol­len wir uns das leis­ten und als Land kön­nen wir uns das leis­ten. Auch auf diese Leis­tung sind wir stolz.“ Warum bekommen dann in Pflegeberufen Tätige das, was sie bekommen und nicht den Gegenwert dessen, was sie leisten in diesem und für dieses Land und seine Menschen? Ich werde das Gefühl nicht los, ihr Deutschland und das, in welchem ich lebe, sind auf unterschiedlichen Erdteilen beheimatet.

„Un­se­re Ver­gan­gen­heit prägt un­se­re Ge­gen­wart und un­se­re Kul­tur.“ Sie können mich dumm schimpfen, Herr Minister, aber gilt das nicht global und zu allen Zeiten, für alle Völker?

„Wir sind Kul­tur­na­ti­on. Kaum ein Land ist so ge­prägt von Kul­tur und Phi­lo­so­phie wie Deutsch­land.“ Es fehlt hier der unbedingt noch notwendige Hinweis auf das Abendland, in welchen die Einwohner noch in Fellen umherliefen, als die Ägypter und Griechen schon eine Hochkultur hatten. Hier scheint sich zu zeigen, dass der Herr Minister vor Zeiten wirklich zu seinem Unverständnis lernte.

„In un­se­rem Land ist Re­li­gi­on Kitt und nicht Keil der Ge­sell­schaft.“ In immer stärkerem Maße leben die Menschen hier ohne diesen Kitt, weil ihn eine aufgeklärte Zivilisation durch einen ethischen Humanismus zu ersetzen weiß. Mit 36% der Bevölkerung bilden die konfessionslosen Deutschen die größte Gruppe mittlerweile.

„Wir sind auf­ge­klär­te Pa­trio­ten. Ein auf­ge­klär­ter Pa­tri­ot liebt sein Land und hasst nicht an­de­re.“ Herr Minister für innere und andere Angelegenheiten, ich liebe meine Frau, für die Liebe zu einem ganzen Land gebricht es mir persönlich wahrhaftig an Zuneigung und Leidenschaft. Und ich sage Ihnen als gelernter DDR-Bürger, der ja schon die Sowjetunion sowie Marx, Engels und Lenin lieben sollte: Die Zuneigung zu einem Staat verlässt den Bürger in genau dem Moment, wo einer aus der Obrigkeit diese Zuneigung erzwingen will. Je mehr Patriotismus ministeriell eingefordert wird, umso weniger wird die Obrigkeit „geliebt“. Es gab da mal einen, der beschwor seine Liebe sogar mit den Worten „Ich liebe doch alle, alle Menschen.“ Das war einer seiner letzten Auftritte, dann war dieser Mann verschwunden. Und ich glaube gar, der war auch Minister…

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Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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