Die Vorwendezeit im Rückspiegel

Ansichtssache Über Jahresendfiguren und Jugendweihe

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Es war im Jahr 2005. Damals wurde bekannt, dass eine Mutter im Brandenburgischen im Laufe der Jahre ihre Kinder kurz nach der Geburt tötete. Ein schauderhaftes Verbrechen war ans Tageslicht gekommen und bewegte bundesweit die Gemüter. Ein Verbrechen, für das es keine Entschuldigung geben kann und dessen Täter, in diesem Fall die Täterin, die ganze Härte der Gesetze treffen muss. Leider gab und gibt es immer wieder solche grausamen Fälle, und es besteht kaum Hoffnung, dass es jemals möglich sein könnte, solche Delikte ganz auszuschließen oder zu verhindern.

Der damalige Innenminister des Bundeslandes Brandenburg, sein Name ist mittlerweile im Meer der Geschichte untergegangen, war jedoch der Ansicht, die Ursache für dieses Kapitalverbrechen wäre in der Zwangskollektivierung in der ehemaligen DDR zu finden. Die Menschen aus dem Osten seien offenbar moralisch und ethisch unterbelichtet, und die Ursache dessen läge im System DDR. Die „unmenschlichen“ Zwänge, denen die DDR-Bürger ausgesetzt waren, wären Ursache für heute durchgeführte Gewaltverbrechen.

Zwar ging ein Sturm der Entrüstung ob dieser Einschätzung durch das Land, aber seither verstummen die Stimmen nicht, die das frühere Leben der Menschen im Osten in einem, sagen wir, etwas fragwürdigem Licht erscheinen zu lassen. Bei mir regte sich damals und regt sich auch heute noch der Widerspruchsgeist. Immer und immer wieder wird das Leben, welches der Großteil der Menschen im ehemaligen Osten in Anstand und Würde lebte, verunglimpft oder herabgewürdigt.

Bereits kurz nach dem Anschluss an die alte Bundesrepublik, den wir heute als Wiedervereinigung zu bezeichnen pflegen, gab es den merkwürdigen Trend, das Leben der „Ostler“ als etwas weniger wertvoll, anständig, würdevoll oder, wenn man so will, als ein falsches Leben einzuordnen. Was einer wirklichen Vereinigung fehlte, war die Lebensleistung der Ostdeutschen zu würdigen und sie als gleichberechtigte Partner zu sehen. Die vermeintlichen Sieger der Geschichte verhielten sich, wie sich Sieger oftmals verhalten: herablassend.

Ich möchte die DDR wirklich nicht zurückhaben. Trotzdem wünsche ich mir eine gerechte Betrachtung der damaligen Verhältnisse. Ich musste mir gemeinsam mit vielen anderen Ostdeutschen lange Zeit erzählen lassen, wie wir gelebt haben. Dieses heute offizielle Bild der DDR stimmt mitunter recht wenig mit dem überein, was ich persönlich erlebte. Ein kleines und vielleicht auch blödes Beispiel sei folgendes: Es wurde verlautbart, dass es in der DDR den Begriff Weihnachtsengel nicht gegeben habe. Die kleinen, hölzernen und oftmals mit viele Liebe handgefertigten Gegenstände hätten „geflügelte Jahresendfigur“ geheißen. Das treibt mir die Röte ins Gesicht. Teils aus Scham, teils aus Wut. Es mag ja sein, dass auf dem Verkaufsartikel dieser offizielle Begriff draufgestanden hat, aber benutzt wurde er von niemandem zwischen Rostock und Suhl. Ich möchte darauf hinweisen, dass auch in aktueller Zeit kein Mangel an merkwürdigen Begrifflichkeiten herrscht.

Ebenso wenig zutreffend waren neulich die Aussagen meines „Lieblings“-Drittprogramms, welches suggerierte, die Jugendweihe wäre eine Ost-Erfindung und von der DDR-Führung politisch instrumentalisiert worden. Ersteres ist sie mitnichten und letzterem konnten Mutige mit Rückgrat widerstehen. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts gab es erste freireligiöse Feiern als Alternative zu denen der Christen. Wobei auch ein Bedauern von Seiten des Senders darüber mitschwang, dass im atheistischen Osten zu wenige Jugendliche die Konfirmation bevorzugen würden. Weltanschauliche Neutralität der Öffentlich-Rechtlichen sieht so nicht aus.

Nicht zum Lachen ist mir, wenn ich die Häme sehe, mit der das Leben im Osten dargestellt wird. Es gibt nur wenige Reportagen, Berichte, Rückblicke, die das DDR-Leben mit einer gewissen Wahrhaftigkeit darzustellen versuchen. Das ist schade, könnte man doch gelegentlich lernen, was besser laufen könnte in einer Welt der Vielfalt und Gegensätze.

Ich widerspreche Adorno ausdrücklich: es gibt sehr wohl „ein richtiges Leben im Falschen“, für all jene nämlich, die mutig und anständig genug waren und sind und die das entsprechende Hinterteil in der Hose hatten und haben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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