Ehre, wem Ehre gebührt

Ruhmlos Über unsere Erinnerungskultur

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Wer gehört eigentlich auf den Sockel eines Denkmals, respektive in die Logen- und Ehrenplätze von Ruhmeshallen? Sind es die, welche Großes leisteten mit ihrem Tun, sei es als Wissenschaftler, Künstler, Sportler oder gar als Politiker, wenngleich letztere meist maßlos überschätzt werden. Oder sind es jene, die durch ihre tagtägliche Arbeit erst die Grundlage für die wenigen anderen bereiten, damit diese Herausragendes schaffen können?

Es scheint in den letzten Jahren Mode geworden zu sein, am Bild der zu Ehrenden oder Geehrten herum zu kratzen, in ihrem Lebenslauf die dunklen Stellen zu suchen und zu finden, um ihnen die Ehre zu verweigern oder, wenn das nicht geht, sie wenigstens in schlechtes Licht zu rücken. Da ist eine ganze Horde Erbsenzähler und Haar-in-der-Suppe-Finder unterwegs, um jene Dunkelpunkte in den Biografien ausfindig zu machen. Die Pranger sind auf den Marktplätzen der Eitelkeiten aufgestellt und warten auf Benutzung.

Ich denke da an jenen, mittlerweile verstorbenen, Literaturwissenschaftler, der glaubte, den Romancier Erwin Strittmatter vom Thron stoßen zu müssen, weil er eine Mitgliedschaft des Schriftstellers in einer SS-Einheit entdeckt zu haben meinte. Das führte dazu, dass man dem bereits lange verstorbenen Autor im Jahr 2012 die Anerkennung zum 100. Geburtstag weitgehend verweigerte. Politische Korrektheit geht ja über alles, zumindest dann, wenn sie nützlich ist und unter anderem dazu dient, den ehemaligen Osten und seine Protagonisten zu verunglimpfen. Die Untersuchungen, mit denen ein Historiker von der Geburtsstadt Strittmatters betraut worden ist und die sich das einiges kosten lässt, dauern an und werden möglicherweise nur eines ergeben: nichts Verwertbares.

Sogar dem bislang vollkommen unverdächtigen, populärwissenschaftlichen Schriftsteller Bruno H. Bürgel sagte man im Jahr 2008 plötzlich die Nähe zum NS-Regime nach, weil er sich auf ein paar, möglicherweise faule, Kompromisse einließ, um während der Nazizeit gedruckt werden zu können. Seine Haltung zum Bärtchenträger Adolf ist jedoch hinlänglich bekannt und in vielen Briefen und Schriften nachzulesen. Der politischen Korrektheit wegen hoffe ich sehr, dass heutige Autoren um Himmels willen keine Kompromisse eingehen. Sie ist nämlich die Vorstufe zur (Selbst-)Zensur!

Wenn ich erzähle, dass ich ein Buch des Schriftstellers Wilhelm von Polenz gelesen habe, wird mir reflexartig, so mein Gegenüber Polenz überhaupt kennt, der Antisemitismus des Autors vorgehalten. Genauso geht es gerade Martin Luther, der von so manchem auf seine antijüdischen und frauenfeindlichen Äußerungen reduziert und deshalb abgelehnt wird.

Und nun hat es in den letzten Wochen Täve Schur, die Radsportlegende aus der ehemaligen DDR erwischt. Ihm wird ein Platz in der (virtuellen) Ehrenhalle der Sportler verweigert. Begründung ist natürlich Nähe zum Arbeiter- und Bauernstaat und Verteidigung von dessen Sportsystem, das einher geht mit sogenanntem „Staatsdoping“, was immer das gewesen ist. Möglicherweise waren die Politbürorentner ja wirklich gedopt? Ich hoffe nur, dass bei allen, die die Ehre hatten, in der „Hall of Fame des deutschen Sports“ aufgenommen zu werden, auch auf ihre politische Gesinnung geachtet wurde. Die muss offenbar stimmen. Wird hier eigentlich die sportliche Leistung oder die politische Haltung gewürdigt? Das Ganze erinnert mich massiv an die Art und Weise, wie sie auch im Osten gang und gäbe war. Im Westen gab es selbstverständlich kein Doping, und wenn, dann wenigstens keines von Staats wegen. Als ob das einen Unterschied machen würde!

Die Ehrung ehemaliger und gegenwärtiger Leistungen ist immer auch politisches Kalkül. Nicht umsonst werden gern mal nach erfolgreichen Revolutionen Straßennamen ausgetauscht. An Leistung und Größe des bisher Geehrten hat sich zwar nichts geändert, wohl aber an deren Bewertung durch diejenigen, die glauben, im Besitz von Wahrheiten zu sein. Gern wird dabei auch mit zweierlei Maß gemessen. Zu Fehlschlüssen kommt aber leicht, wer bei der Beurteilung von Personen die historischen Umstände außer Acht lässt.

Ich behaupte, dass die Sockel unserer Denkmale leer blieben, würden wir nur jene ehren, die eine blitzblanke weiße Weste hätten. Jene Menschen, die nicht irren und fehlerfrei sind, müssen nämlich erst noch geboren werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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