Ein Winternachtstraum

Notfall Keine Komödie

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Winterstürme fegten ums Haus, es heulte und knackte in Gebälk. Ich schlief unruhig. Nach einiger Zeit fiel ich in einen Traum, der mich sehr beunruhigte:

Ein paar Straßen weiter war ein Haus abgebrannt. Seine Bewohner konnten sich retten und waren wohlauf. Aber ihre Wohnstatt war nicht mehr zu gebrauchen. Das Feuer hatte gründlich gearbeitet und vieles vernichtet. Alle Nachbarn waren nun sehr hilfsbereit und nahmen Unglückliche in ihre Wohnungen auf. Sie gaben ihnen Kleidung, Nahrung und halfen, wo Hilfe nötig war. Solidarität nennt man das wohl.

Auch in meine Wohnung zog einer der Unglücklichen ein. Herr Meise hieß der und hatte wohl auch ein solches kleines Vögelchen, unsichtbar zwar, aber in deutlich spürbarer Form, bei sich. Am ersten Tag war noch alles gut. Herr Meise aß und trank bei mir und war dankbar. Der liebe Herr Meise hatte aber einen Tick. Er glaubte an die Welt der Gartenzwerge und hielt die für reale Geschöpfe. Ich hatte bis dahin wenig mit Gartenzwergen zu tun. Ab und zu sah ich diese lustigen Figuren in Vorstadtgärten hinter grünen Zäunen. Dass es sich um eine real existierende Welt bei diesen wundersamen Wesen handeln könnte, war mir neu. Herr Meise belehrte mich eines Besseren. Bereits am zweiten Tag unseres Zusammenwohnens stellte der neue Untermieter den ersten Zwerg in meinem Wohnzimmer auf. Eigentlich war mir das nicht recht, aber aus Gründen der Gastfreundschaft, weil ich Meise seinen Tick nachsah und weil er gerade seine ganze Habe verloren hatte, tolerierte ich sein Tun. Es befremdete mich nur ein wenig.

Nach einer Woche hatte sich mein Besucher an sein Hiersein gewöhnt. Er bat mich inständig, auf seine Gefühle bezüglich der Zwerge Rücksicht zu nehmen. Mittlerweile saßen drei der Zipfelmützigen auf meinem Sofa. Noch hegte ich die Hoffnung, dass der Mitbewohner sich in Bälde eine neue Bleibe suchen oder sein altes Zuhause renovieren würde. Aber offenbar gefiel es meinem Besucher so gut bei mir, dass der an Gehen gar nicht dachte. Im Gegenteil.

Täglich erfand Herr Meise neue Geschichten um seine geliebten Zwerge, die mich dazu bringen sollten, meine Wohnung an die Existenz dieser merkwürdigen Geschöpfe anzupassen. Mein Wohnzimmer sah mittlerweile aus wie der Vorgarten von Tante Frieda. Das Klo durfte ich nur nach vorheriger Absprache betreten, weil darin eine Zwergenfamilie ihr Bad nahm und ich die natürlich nicht unbekleidet anschauen durfte.

War meine Wohnung bisher ein Ort der Zuflucht und Ruhe gewesen, wandelte sie sich nun in ein Territorium fremder Mächte. Und wie ich in Gesprächen mit meinen alten Nachbarn erfuhr, erging es ihnen ähnlich. Die Bewohner aus dem abgebrannten Haus machten gar keine Anstalten, wieder zurückzukehren. Jeder von ihnen versuchte, seine Eigenarten im neuen Hausstand auszubreiten. Die bisherigen Mieter und alteingesessenen Bewohner mussten sich in ihrem Tun an die neuen Verhältnisse anpassen. Ich merkte, dass ich mit meinem Herrn Meise noch Glück hatte. Er brachte nur seine Gartenzwerge mit. Bei Frau Müller im Erdgeschoss wohnt jetzt eine Familie, die mit Panzerwagen spielt. Soweit ich es mitbekommen habe, kann die Müllerin ihre Schlafstube nur mit einem Helm betreten und auch nur dann, wenn der Sohn ihrer Untermieter gerade keine Schießübungen veranstaltet.

Ich wälzte mich im Bett herum. Vollkommen verängstigt und verschwitzt erwachte ich am frühen Morgen und merkte erleichtert, dass alles nur ein Traum gewesen war. Mir fiel der sprichwörtliche Stein auf die Füße, ich kickte ihn durchs offene Fenster nach Draußen.

Solche komischen Sachen kommen ja nun im wirklichen Leben niemals vor.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden