Eine lange Leitung

Hilfe(los) Moderner Service

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Meine Frau rief mich an und ich verstand sie nicht. Nun wird mancher sagen, es ist ja nicht selten, dass Ehemänner eine lange Leitung haben, wenn es um das Verstehen der eigenen Frau geht. In dem Fall nun verstand sie mich jedoch klar und deutlich, ich aber hörte nur Stille im Telefon. So etwas nennt man auch einseitige Verständigung. Schöne neue Telefonwelt, dachte ich. Internettelefonie ist toll, wenn sie funktioniert. Das Problem war ein sporadisches und zog sich über mehrere Tage hin. Mal hörte man sich, mal nicht. Das nervte mehr oder weniger, je nachdem, wer am anderen Verbindungsende am Gespräch beteiligt war. Eine Art Schwiegermuttertelefonie, man hört sie nicht und das ist oftmals gut so. Als das Problem massiv wurde, wollte ich meinen Provider des Vertrauens kontaktieren. Zunächst versuchte ich, eine Störungsmeldung übers Internet abzusetzen. Fehlanzeige, kein Formular für Defekte aller Art. Nur die Möglichkeit der telefonischen Meldung einer Telefonstörung. Unklar bleibt, wie der Kunde das bei gestörtem Anschluss machen soll.

Ich rief also an und hatte Glück. Mein Problem trat gerade einmal nicht auf. Nachdem ich mich durch mehrere Auswahlmenüs hindurchgewurstelt und die Frage, ob ich möchte, dass mein Gespräch mitgeschnitten wird, mit einem lauten „Nein“ beantwortet hatte, meldete sich am anderen Ende eine glücklich-zufriedene männliche Stimme und fragte, was er denn für mich tun könne. Ich war, weil Firmen heutigentags mit ihrem eigenen Business überfordert sind, in einem Callcenter gelandet. In Callcentern wird mittlerweile die gesamte Inkompetenz unserer Nation gebündelt. Outsourcing heißt das neudeutsch, wenn man zwar das Geld des Kunden gern einstreicht, aber sonst möglich wenig mit ihm zu tun haben möchte. Idealfall ist, keinen Kundenkontakt bei gleichzeitigem Bankeinzug vom Kundenkonto.

Mein freundlicher Gesprächspartner erklärte mir, dass er mir helfen könne. Das beruhigte mich einigermaßen. Er hätte das schon ein paar Mal gehört, einseitige Verständigung, aber es gäbe Tricks. Ich solle doch mal bitte die „Max- und Moritzbox“ vom Strom trennen, eine Minute warten und dann wieder den Strom zuführen. Mein Einwand, dass ich das schon gemacht hätte, ließ er nicht gelten. Außerdem solle ich die Basisstation meines Schnurlostelefons stromlos machen, die Batterien aus dem Handgerät entfernen und das Ganze in umgekehrter Reihenfolge wieder zusammenbauen. Auf meinen leisen Zweifel hin, dass ich nicht glaube, dass dieses Vorgehen mein Problem lösen würde, lies er mich wissen, dass er es schon täte.

Ich offenbarte meinem Helfer am anderen Telefonleitungsende, dass ich beruflich mit eben dieser Technik befasst wäre und mich ein wenig auskenne. Ich hielte das Problem für tieferliegend, also mithin für ein richtig technisches. Er wolle meine Kompetenz nicht in Frage stellen, müsse aber darauf bestehen, dass ich seinen Handlungsanweisungen Folge leiste. Ich solle tun, wie empfohlen und in den nächsten Tagen beobachten. So wurde ich kurzfristig tageweise freier Beobachter meines Telefonanbieters. Was aber das Problem nicht löste und die Frage aufwarf, was technisch unbedarfte, anderweitig beschäftigte oder schlicht alte Menschen tun, deren Anschluss mal nur eingleisig telefoniert. Hilfe, gar vor Ort und ohne eigene Mitwirkung ist wohl erst nach massiver Beschwerde zu erhalten. Dabei wäre es technisch ziemlich leicht, das Verhalten meines Telefonanschlusses zu überwachen und mithin dem Fehler auf die Schliche zu kommen. Service und Kundennähe, die so oft beschworenen Tugenden der neuzeitlichen „Dienstleistungsgesellschaft“ sind leere Worthülsen, wenn es wirklich mal auf Nähe und Hilfe ankommt. Unter dem Kostendruck bleibt echter Service eben auf der Strecke.

Nach ein paar Tagen des stillen Beobachtens rief ich erneut meinen Anbieter an. Offenbar hatten sich noch weitere Kunden gemeldet, denn man offenbarte mir, dass wirklich ein Problem vorläge, an dessen Beseitigung bereits mit Hochdruck gearbeitet würde. Ich war erleichtert. Es besteht also berechtigte Aussicht auf neuerliche Zweigleisigkeit beim Telefonieren mit meiner Frau. Denn was gibt es Schöneres als gegenseitiges Verstehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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