Feindbild Internethandel

Wandel beim Handel Über Apotheker, Buchhändler und andere Benachteiligte

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Das soll also mal wieder etwas verboten werden, weil der Zeitgeist etwas anderes will als der althergebrachte Mainstream es vorschreibt. Diesmal sind es die Apotheker, die jammern und mit ihnen weint unser aller Gesundheitsminister. Nachdem der Europäische Gerichtshof die Preisbindung auf rezeptpflichtige Arzneimittel gekippt hat, möchte nun der Herr Minister qua Verordnung von oben den Versandhandel mit Medikamenten auf Rezept ganz verbieten. Da hat er aber eine gute Idee ausgeschwitzt, der Minister. Wenn wir in unserem deutschen Ländchen auch sonst alles dem ach so freien Markt überlassen, hier scheint es eine Grenze zu geben. Und die wird mit Sicherheit nicht im Interesse der sogenannten Verbraucher, in dem Fall also der Patienten gezogen, sondern ganz sicher im Interesse der Pharmaindustrie und letztlich der an ihr verdienenden Apotheken.

Argumentiert wird natürlich, wie so oft, ganz anders. Es ist die Beratung, die in der örtlichen Apotheke viel kompetenter und besser sei, als sie je von der Versandapotheke durchgeführt werden könne. Nun ja. Wenn ich möchte, dass mir meine Nachbarn, die in der Warteschlange hinter mir stehen, zuhören, wenn mir der Apotheker die Anwendung des neuesten Mittels gegen Hämorrhoiden oder gegen Bluthochdruck erklärt, dann hat die klassische Apotheke natürlich ihren ganz besonderen Charme. Mancher bevorzugt aber doch lieber das ausführliche Begleitschreiben der Versandapotheke, das im stillen Kämmerlein zu lesen ist und wo bei auftretenden Fragen telefonisch Rücksprache gehalten werden kann. Da hört, wenn überhaupt, nur ein Nachrichtendienst und nicht die halbe Nachbarschaft mit. Ich habe jedenfalls noch keine Apotheke gesehen, in der man einzeln und so verschwiegen abgefertigt worden wäre, dass die Mitwartenden die Krankheit nicht hätten erraten können, die den vom Apotheker Beratenen befallen hat.

Und während die Apotheke vor Ort vollgestopft ist mit allerlei Schönheitsmitteln, Zahnpaste, Lutschbonbons und Wässerchen, die eher in die Handelskategorie eines Drogeriemarktes gehören, muss ich für meine rezeptpflichtigen Arzneimittel in mindestens jedem zweiten Fall zweimal zur Apotheke laufen. Das erste Mal, um das Rezept abzugeben und dann noch mal, weil das Gewünschte nicht vorrätig ist, erst bestellt werden muss und somit abgeholt werden will. Für ältere kranke Menschen ist das eine Zumutung. Die Versandapotheke hat den Charme, dass ich nirgendwohin gehen muss, das Rezept per Post wegschicke und ich die Lieferung zeitnah ins Haus erhalte. Jetzt frage ich Dich, lieber Apotheker, was ist denn nun für den Patienten besser und einfacher? Findest Du die Antwort selbst heraus? Und wenn ja, wird sie auch unser Gesundheitsminister herausfinden?

Wenn der nun aber kraft seines Amtes den Apothekenversandhandel einschränken möchte, dann kann ja der Kulturminister vielleicht gleich mitziehen. Denn mit der gleichen Krise wie die Apotheken muss sich auch der stationäre Buchhandel auseinandersetzen. Der floriert im Internet, der kleine Buchladen vor Ort hat zu kämpfen. In ersterem erhalte ich jedes Buch der Welt sofort, in letzterem trifft der Händler mit seinem Sortiment eine Vorauswahl, die manchmal schmerzt, weil es nur die Handvoll Bestseller ist, die der Kunde zu Gesicht bekommt. Natürlich kann auch die Buchhandlung, je nach ihrem bevorzugtem Buchgroßhändler, fast alle Bücher liefern. Aber auch hier muss der Kunde zweimal hingehen. Hat der Händler ein Online-Angebot, kann man bei ihm zwar im Internet bestellen, muss aber trotzdem die Ware persönlich abholen. Da kann ich mein Buch doch auch gleich liefern lassen, oder? Und ist die Beratung im Fall der Bücher besser bzw. überhaupt nötig? Wer für seine Lektüre Beratung braucht, sollte vielleicht das Lesen aufgeben?

Der stationäre Handel mit Gütern, die man wenig oder gar nicht vor dem Kauf sinnlich prüfen oder (an)probieren will, die man einfach kaufen möchte oder muss, verlagert sich mehr und mehr ins Netz. Dazu gehören Ersatzteile, Verbrauchsmaterialien, Videofilme, Bücher und eben auch die benötigten Medikamente. Das kann man bedauern, verhindern wird man es auf lange Sicht nicht.

Wer in seine bevorzugte Internet-Suchmaschine den Begriff „Ausgestorbene Berufe“ eingibt, bekommt einen kleinen Einblick, welche Wandlungen sich im Laufe der Zeit in verschiedensten Branchen bereits vollzogen haben. Und daran konnte nie eine Ministerverordnung je etwas ändern! Oder kennen Sie noch jemanden, der Kinoerklärer, Lohgerber oder Laternenanzünder ist?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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