Generation Smombie

Lösungen Wie alles noch viel besser wird

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Wohin steuert unsere Welt, wer beherrscht sie?

Manchmal stelle ich mir vor, wie in schummrigen Kellern, angetrieben von Betriebswirten aus der achten Etage, langhaarige Softwareentwickler mit Dreitagebart hinter leeren Pizzaschachteln schwitzen, um uns mit ihren allerneuesten digitalen Ergüssen zu erfreuen. Es gibt derzeit eine Art neue Religion, die das Smartphone und die darauf installierten Anwendungen, die generell Computeranwendungen, zu ihren Göttern macht. Ich kenne eine Kleinstadt, deren Verantwortliche ernsthaft daran glauben, ihren mittlerweile fast verwaisten Marktplatz durch eine Spiele-App zu beleben. Fast sämtliche Händler haben das Areal mangels Kundschaft verlassen, die Verkaufsinfrastruktur wurde bereits vor Jahren an die Randlagen gedrängt und nun soll es eine App richten, um die Innenstadt zu beleben. Gut Holz, oder besser gut Klick, kann man da nur wünschen. Gewinner werden vermutlich die Softwarebude und die anderen mit Kleinaufträgen zur Umsetzung der Idee versorgten Handwerksbetriebe sein. Eine schöne Variante, öffentliche Gelder ins Nirwana virtueller Welten zu überführen.

Kürzlich las ich, dass gewisse Verkehrsunternehmen mit dem Gedanken spielen, in absehbarer Zeit die schnöde alte Papierfahrkarte, neudeutsch Ticket genannt, abzuschaffen. Dem Handyfahrausweis gehört die Zukunft. Was heißt das für den reisewilligen Mitmenschen? Ohne Mobiltelefon kein Verkehr! Zumindest keiner öffentlicher auf Straße und Schiene. Hier werden zwei Dinge verheiratet, die eigentlich miteinander so gut wie nichts zu tun haben, die Fahrkarte und das Telefon. Solange das sogenannte „Handyticket“ als zusätzliche Möglichkeit des Fahrkartenerwerbs zur Verfügung steht, ist dagegen ja nichts einzuwenden. Aber ausschließlich? Und fällt das Mobilfunknetz aus, kommt dann der Reiseverkehr in Gänze zum Erliegen? Was gewinnen wir dadurch?

Der Softwaregeist ist seit Jahrzehnten aus der Flasche und nun wird er angebetet wie weiland der Herrgott der Christenheit. Statt Dinge im Diesseits besser zu machen, entwickeln wir eine App, hoffen auf das Nichtgreifbare wie die Bibelchristen aufs Jenseits. Und dabei unterscheiden wir nicht zwischen sinnvoll und sinnlos. Automaten allerorts, um Personal einzusparen. Die Anwesenheit von richtigen Menschen wird drittrangig. Es soll vorkommen, dass zwei Automaten sogar miteinander telefonieren. Der Anrufdienst eines Callcenter-Anbieters trifft auf die Mailbox des Angerufenen, Menschen sind bei diesem Vorgang vollkommen überflüssig. Wann erfolgt die Kreuzigung des Softwaregeistes, die Bändigung des virtuellen Erlösers am Kreuz des realen Lebens? Offensichtlich in absehbarer Zeit nicht. Denn wenn erst die Rollläden und Rasenmäher mit dem Smartphone gesteuert werden können, dann ist für den Kleingeist aus der Reihenhaussiedlung die Welt in Perfektion. Unterstützt wird er von den langhaarigen Dreitagebartträgern aus dem Softwarekeller.

Ein weiterer Tiefpunkt ist kürzlich bei einem Supermarkt erreicht worden, den ich gelegentlich zur Deckung alltäglichen Bedarfs aufsuche. Seit Kurzem gibt es hier die Möglichkeit des Selbstkassierens. Als Kunde darf ich jetzt die Tätigkeit des Kassenpersonals gleich mit erledigen, natürlich ohne Bezahlung und ohne Anspruch auf tarifliches Urlaubs- oder Weihnachtsgeld. Dass der Vorgang drei Mal so lange dauert, wie bei der versierten Kassiererin, ist unerheblich. Langfristig spart man Personalkosten bei diesem nicht gerade kleinen Supermarkt, der nach eigenem Bekunden angeblich die Lebensmittel liebt. Seine mitarbeitenden KassiererInnen liebt er scheinbar nicht ganz so sehr, will er die doch offensichtlich irgendwann einsparen.

Gegen das alles wäre nichts einzuwenden, wenn das Resultat Arbeitserleichterung und mehr Freizeit für die Menschen bedeuten würden. Leider richtet sich diese Art Rationalisierung aber gegen die Mehrheit der Menschen und dient letztlich allein der Renditeerhöhung. Die in der achten Etage können jubeln, ihnen verhilft die neue Gottheit zu einem höheren Kontostand.

Die Generation Smombie glaubt ernsthaft, die Menschheit mit Software glücklicher machen zu können. Zombies aus dem Entwicklerkeller sind los und befinden sich in Bewegung, aber ist die wirklich eine nach vorwärts?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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