Glück im Unglück

Betrachtung Über die ostdeutsche Unzufriedenheit

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Glück im Unglück

Foto: Adam Berry/Getty Images

Obwohl die eigentliche Aufgabe der Deutschen Post das Befördern von Briefen und Paketen ist, beschäftigt sich das Logistikunternehmen auch mit einem eher fern liegenden Thema und gibt zum wiederholten Male einen sogenannten Glücksatlas heraus. Dabei haben die Herrscher über Briefmarken und Poststempel herausgefunden, dass die Ostdeutschen offenbar weniger glücklich sind als ihre Brüder und Schwestern jenseits des ehemals stark bewachten innerdeutschen Zaunes. Und nun rätselt der ein oder andere Fachmann, woran das wohl liegt.

Nachdem man eine Volkswirtschaft treuhänderisch den Bach hinunter geschickt hat, ganze Landstriche wegen vorgeblich nicht konkurrenzfähiger Produkte ihrer Industrie beraubt wurden, Menschen schuldlos ihre Arbeitsplätze verloren haben, setzt nun nach drei Jahrzehnten das Rätselraten über vermeintlich weniger glückliche Ossis ein. Das ist mindestens bemerkenswert. Interessanterweise waren dieselben, nicht marktfähigen Ostprodukte vor dem Mauerfall gut genug für Quelle und Co., als Billigware die westliche Kundschaft zufrieden zu stellen.

Den Ostdeutschen wurde ein Wertekostüm übergestülpt, das ihnen weder richtig gefiel noch vollkommen passte. Statt einer Vereinigung auf Augenhöhe erfolgte ein Anschluss an ein System, welches selbst der Erneuerung bedurft hätte. Ihrer Lebensleistung beraubt, finden sich heute viele Ostdeutsche als Protestwähler und Wutbürger wieder. Damit sind sie jedoch ein sensibel funktionierender Seismograph für gesellschaftliche Verwerfungen, die in zunehmendem Maße zutage treten. In dieser Rolle werden sie von der herrschenden Klasse aber nicht wahrgenommen, sondern als „Rechte“ oder als „Populisten“ diffamiert. Solange das so ist, werden die Alternativdeutschen weiter mit Zuwachs rechnen dürfen.

Viele Menschen östlicher Herkunft erkennen mittlerweile, dass ihnen in der Schule ein Bild vom Kapitalismus vermittelt wurde, welches heute ziemlich genau ins Schwarze trifft. Die Ostdeutschen hätten wissen können, worauf sie sich einließen, als sie sich mit Haut und Haar an den Westen verkauften. Sie wollten ein Leben in der alten Wohlstands-Bundesrepublik, bekamen aber eines im globalisierten Finanzkapital. Nun wächst die Systemkritik, insbesondere unter denjenigen, die noch in der DDR sozialisiert wurden. Und das zurecht, wie ich finde.

Jene Eigenschaft, welche man den Ostdeutschen von Anfang an als „Jammern“ unterstellt hat, ist die offene, im Freundes-, Familien- und Kollegenkreis schon immer in der ehemaligen DDR üblich gewesene kritische Betrachtung gesellschaftlicher Realitäten. Ich erinnere mich gut an stundenlange gesellschaftspolitische Diskussionen bei Bier und Kerzenlicht. Solche Diskussionen über eine alternative gesellschaftliche Ordnung, ein anderes, besseres Zusammenleben jenseits von Konkurrenz- und Renditedenken finden heute, insbesondere unter vielen jüngeren Menschen, kaum noch statt. Stattdessen Brot und Spiele, sattgemachte Staatsbürger, die kritiklos schlucken, was man ihnen hinwirft, denen ihr Smartphone wichtiger ist als ihre Zukunft.

Im Gegensatz zu den bundesdeutsch erzogenen Mitmenschen halten viele der im Osten erwachsen Gewordenen den Kapitalismus nicht für gottgegeben oder naturgesetzlich und schon gar nicht für das Ende der Geschichte. Daraus resultiert eine prinzipielle Kritik am derzeitigen Gesellschaftssystem, welches durch seine allein auf Gewinn orientierte Ausrichtung ziemlich viele humanistische und ethisch wertvolle Regeln des Zusammenlebens derzeit zu vergessen scheint.

Ein Zitat von Hermann Kant aus seinem Roman „Das Impressum“ mag verdeutlichen, wie manche Ostdeutsche zuweilen ticken:

„Bei uns hier, hier im Land, ist Geld immer noch eine schöne Sache, aber es ist doch im Ganzen keine mehr, die mehr aus dir macht, als du bist.“

Diese Tatsache ist von der Realität leider längst überholt worden.

Viele Westdeutsche fassen eine Kritik an den bestehenden Verhältnissen als persönliche Beleidigung auf und kontern mit dem Vorwurf der Undankbarkeit. Dabei ist es eine Tugend, sich nicht selbstzufrieden zurückzulehnen, stets kritisch zu bleiben und nicht so zu tun, als wäre die Welt in Ordnung. Sie ist es nämlich nicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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