Heimat

Wiederentdeckt Verstand, Gefühl oder was

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Seit einiger Zeit geistert wieder ein Begriff durch unseren Alltag, der es lange Zeit schwer hatte. Es ist das Wörtchen „Heimat“, welches die Gemüter erregt, Diskussionen auslöst, aber auch zum Nachdenken anregt. Ich hörte es zum ersten Mal als Kind aus dem Mund meines Vaters. Er war als Sudetendeutscher im Alter von 14 Jahren Opfer der Beneš-Dekrete und musste seinen Geburtsort in Nordböhmen gemeinsam mit Schwester und Eltern verlassen. Über viele Jahrhunderte lebten Tschechen und Deutsche auf diesem Gebiet zusammen, war es Heimat beider Nationalitäten. Nachdem jedoch der großdeutsche Adolf und seine Schergen einen Weltbrand entfacht hatten und bis zu achtzig Millionen Menschen starben, kannte man mit den Angehörigen der Täternation kein Pardon. Mein Vater verlor seine Heimat, trauerte ihr ein Leben lang nach. Er wollte nie wieder seinen Kindheitsort besuchen und war noch Jahrzehnte nach der Vertreibung nicht bereit, die Art und Weise des damaligen Vorgehens zu entschuldigen. Innerhalb von Stunden wurden meine Großeltern gezwungen, nur mit dem Nötigsten ausgerüstet, den Weg ins damalige Deutsche Reich anzutreten. Sie fanden eine zweite Heimat dort, wo heute meine eigene liegt.

Der Heimatbegriff hatte seit seiner Überbeanspruchung unter der braunen Herrschaft etwas anrüchiges, etwas abgestanden muffiges. Man verband das Wort mit Deutschtümelei, Musikantenstadl und Alpenpanorama, mit dem alten Bild im Goldrahmen in Omas Wohnzimmer. Doch nun haben wir sogar einen Heimatminister, der sich selbst mit einem typisch Freud‘schen Versprecher zum Minister der Heimatmuseen erklärt hat. Gehört der Begriff vielleicht gar ins Museum?

Dazu muss geklärt sein, was Heimat eigentlich ist. Schon vor einigen Jahren hatte ich gelegentlich einer Bibliothekslesung einmal die Frage aufgeworfen, ob Heimat ein Ort oder ein Gefühl sei. Beleuchtet mit unterschiedlichen Texten kamen damals die Besucher gemeinsam mit mir zu der Erkenntnis, dass es beides zu sein vermag. Es kann Ort sein, Landschaft, Stadt, Gebirge, aber eben auch das, was Menschen mit einem starken Gefühl verbinden: Traditionen, Gebräuche, Sprache und Begriffe.

Mir persönlich scheint der Begriff Heimat eng mit den Erlebnissen aus der Kindheit verbunden zu sein. Der russische Dichter Konstantin Paustowski schrieb: „Ohne Heimat kann der Mensch nicht leben, so wenig wie ohne Herz.“ Nur wer weiß, wo seine Wurzeln liegen, was ihn ausmacht und geprägt hat, kann den Kurs des eigenen Lebensschiffs steuern. In einer Zeit der enthemmten Globalisierung, in der Grenzen und Entfernungen aufgehoben scheinen, ist es umso wichtiger, den eigenen Standort zu bestimmen. Wer das Woher kennt, kann das Wohin beeinflussen.

Gerade weil wir in Zeiten gewaltiger Umbrüche und Veränderungen leben, ist der Heimatbegriff zu neuer Blüte gekommen. Nichts scheint mehr sicher zu sein: globale Flüchtlingsströme, undurchschaubare Weltpolitik, Finanzkrisen, Klimawandel, Insektensterben … die Liste ließe sich fortsetzen. Da suchen die Menschen einen Anker und finden ihn wieder im Heimatbegriff. Dagegen ist nichts zu sagen, solange Heimat nicht mit Nation verwechselt wird und eine neue Art von übersteigertem Nationalismus seine hässliche Seite zeigt. Dass diese Möglichkeit eine durchaus reale ist, scheint klar zu sein, wenn man mit offenen Augen in die politische Landschaft schaut. Aber ich halte es mindestens für fragwürdig, die Heimat mit einem christlichen Kreuz in Amtsstuben festnageln zu wollen.

„Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer“, sangen wir als Kinder. Nein, es sind nicht nur die Orte, die in uns Heimatgefühl erzeugen. Es ist die Summe von Erlebnissen und Begegnungen, es sind die Mitmenschen, ihre und unsere eigenen Geschichten, die in uns das entstehen lassen, was wir als Heimat wahrnehmen. Für mich ist Heimat dort, wo Verstand und Gefühl sich nicht im Widerstreit befinden.

Meine Gedanken zur Heimat habe ich nachfolgendem Gedicht zusammengefasst.

Heimat

Ich würde niemals Wurzeln schlagen,
In fremder Erde, in fernem Land.
Würde welken und vergehen,
Blume ohne Regen im heißen Wüstensand.

Denn ich kann nur so richtig blühen
Auf Heimatboden und mit Dir.
Sehnsuchtsvolle stille Träume,
Ein Leben lang, erfüll sie mir!

Die Stadt Stolpen östlich von Dresden hat die Heimat sogar zu ihrem Jahresthema gemacht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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