Kunst ist das Licht der Welt

Zum Achtzigsten Interview mit dem Maler und Schriftsteller Matthias Wegehaupt

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Matthias Wegehaupt vor seinem Bild "Die Arche schwimmte über Baumkronen"
Aufnahme: Angelika Wegehaupt

Der auf der Insel Usedom lebende Maler und Schriftsteller Matthias Wegehaupt begeht dieser Tage seinen achtzigsten Geburtstag. Aus diesem Anlass hatte ich Gelegenheit, ihm einige Fragen zu stellen.

In Ihrer Biografie geben Sie an, dass Sie nach Abitur und Studium am Institut für Kunsterziehung an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald als Decksmann in der Hochseefischerei gearbeitet haben. Wie kam es, dass Sie als ein an der Kunst interessierter junger Mann diesen Weg gingen?

Wie kommt es, dass Sie Umwege gingen, fragen Sie. Ein Leben verläuft selten auf Schienen. Man wird durch äußere Umstände zu Umwegen gezwungen. Bei diesen Umwegen und Unterbrechungen – und es gab einige in meinem Leben – erfährt man oftmals Wesentliches über das Dasein und über sich selbst, man gewinnt an Substanz, an Mut vielleicht auch, und man spürt möglicherweise, dass die Kraft, die zum künstlerischen Beruf zwingt, allen Widerständen zum Trotz, ausreicht.

Sie sind Vater eines Sohnes und einer Tochter. Haben Sie ihr „künstlerisches Gen“ an Ihre beiden Kinder weitervererbt?

In unseren Kindern zeigen sich alle die, die vor ihnen waren: Die seit Urzeiten nie abgerissene Folge derer, die Lebensmut hatten. Ich hätte meinen Kindern, trotz deren Begabung, niemals geraten, Malerei zu studieren. Junge Leute müssen ihren eigenen Weg gehen und die Abenteuer der Suche bestehen. Das musische Gespür hilft ihnen im Leben und bereichert ihr Dasein, es öffnet die Türen zu vielen sinnvollen Bereichen. Das Kreative, Schöpferische kann sich zudem in verschiedenartigsten Berufen, Berufungen und Lebenswegen manifestieren.

Hat Ihr Lebensumfeld an der Ostsee auf der Insel Usedom, von der man ja sagt, dass hier ein „besonderes Licht“ strahlen würde, Ihre künstlerische Arbeit beeinflusst, und wenn ja, wie?

Ob die Insel Usedom mit ihrem besonderen Licht meine künstlerische Arbeit beeinflusst? Natürlich, der Ort, an dem man lebt, auch der prägt. Es ist auf der Insel lichter als anderswo, und das nicht nur, weil das glitzernde Meer und die vielen Seen das Licht des Himmels reflektieren. Es werden hier in der Tat mehr Sonnentage gezählt, als anderswo in Deutschland. Die Smog-Glocke, die sich über Großstädten aufbaut, kennen wir hier, wo zudem der Wind ist, ohnehin nicht. Und das vor allem: In Zeiten der Enge haben wir stets den faszinierenden Blick über das weite, scheinbar grenzenlose Meer.
Von der Insellandschaft wurden sommertags zu allen Zeiten interessante Menschen aus den Städten angelockt. Man lebte also abseits, aber nicht abgeschottet von neuen Gedanken, neuen Hoffnungen und den Bildern der anderen. Man konnte in der Provinz dem Provinziellen entgegen und das ist gut: Die Ablenkung hier ist gering, die Konzentration auf die Arbeit sehr gut möglich.

Gibt es eines Ihrer Werke, von dem Sie sagen würden, da steckt der ganze Wegehaupt drin, ihre Lebenssicht, ihre Seele?

Es ist mein Bestreben, dass in jedem Strich, in jedem Satz der „ganze Wegehaupt“ steckt. Das sich wandelnde Sehnsuchtsbild tanzt beim Arbeiten vor mir her. Es gibt diese Bilder, es gibt diese Texte, immer sind es Antworten auf Gegenwärtiges. Alles in der Welt wandelt sich unentwegt und auch die Herausforderungen verändern sich, immer neue Antworten müssen darum gefunden werden. Die adäquate Intensität auf einer Bildfläche als Reaktion: Das, was als ein Bild von der sich wandelnden Welt gelten mag. Es ist, als würde durch all das Neue an Erkenntnissen der Wissenschaften der Mensch unentwegt wachsen. Er steckt aber in seiner alten Haut, die nicht mitwächst, sie zerreißt. Die Kunst, die sich um das Bild der Welt bemüht, hilft, diese Risse, diese Wunden zu schließen und den Menschen wieder ganz zu machen, zu heilen, sonst könnte er nicht überleben. Es geht also um das, immer wieder neue, notwendige Bild von der Welt, in dem alles Raum hat, auch wir selber. Ich arbeite also unentwegt und hoffe auf mein Bild von morgen.

Was bewog Sie als Maler, nebenher zur Feder zu greifen und zu schreiben?

Warum ich schreibe? Manches, was gesagt werden will, gehört in die erzählerische Welt der Literatur und eben nicht auf die Bildflächen der Maler.
Wenn ich spüre, dass das, was mich bedrängt, anderswo nicht gesagt wird, muss ich mich eben selbst bemühen, die Leere, die sich mir zeigt, zu füllen. Schreiben heißt formulieren, heißt eine Intensität zu erschaffen und etwas zu Ende denken. Ein Roman ist wie ein Ding, an dem man arbeitet wie an einer Skulptur. Alles mit dem Meißel entfernen, was nicht dazugehört. Ein Roman ist ein Wesen und gleichzeitig für den Schreibenden eine Welt, in die er sich hinein begibt. Und das ist das Schöne: Man darf in diesem anderen Metier weiterarbeiten, wenn man beim Malen müde geworden ist und kann an etwas erinnern, damit es gegenwärtig bleibt.

Ihr erstes Buch, „Die Insel“, zeichnet ein durchaus differenziertes Gesellschaftsbild der ehemaligen DDR. Gerade auch am Ende des Buches wird ihr Protagonist Unsmoler nicht glücklich nach seiner Flucht. Wie ist heute, nachdem Jahrzehnte vergangen sind, Ihre Sicht auf die DDR?

Die Sicht auf die DDR? Sie war unsere Normalität. Man erkennt manches erst jetzt, da man Grenzen und Defizite gegenwärtiger Entwicklungen sieht, und die Wandlung der Maxime, die Hauptsache es rechnet sich, in die noch extremere Forderung unentwegter, kurzsichtiger Profitmaximierung, als dürftig und gefährlich begreift. Im Roman DIE INSEL erliegt der Protagonist weit entfernt vom heimatlichen Ufer der nostalgischen Verklärung der DDR-Inselwelt, auch das ist gefährlich.

In Ihrem zweiten Buch „Schwarzes Schilf“ schildern Sie die Geschehnisse um einen Menschen, der scheinbar mitten im Leben steht und doch seine Arbeit verliert. Er rettet sich, indem er eine Reise auf einem Segelboot unternimmt. Ist auch das Kritik an den Verhältnissen, ist für Sie auch die heutige Gesellschaft kritikwürdig?

Jede Gesellschaft ist kritikwürdig – würdig der Kritik. Beim Reden und Nachdenken über Staat und Welt darf das Prinzip der Dialektik nicht außer Kraft gesetzt werden. Mangelnder korrigierender Widerspruch bringt nämlich nicht nur Diktaturen um.

Inwieweit kann Ihrer Meinung nach Kunst verändernd auf die Gesellschaft einwirken?

Kunst hält unseren Blick lebendig. Kunst führt Alternativen vor. Kunst wendet sich gegen ein erstarrtes Bild von der Welt und stellt überkommene Weltbilder in Frage. Kunst tastet sich auf unserem Weg in die Zukunft voran in die Finsternis, dorthin, wo wir noch nicht sind, dorthin wo es noch nicht licht ist, dorthin wo weder Gebautes, Erstarrtes, Festgefahrenes den Weg versperrt. Sie wagt sich dorthin, wo nicht Zäune errichtet, oder Mauern gebaut sind, dorthin, wo die Weite ist, egal wo wir wohnen. Sie ist erhellend und wirft einen Lichtschein auf den Weg, den wir mit Hoffnung gehen. Kunst ermöglicht manchmal aber auch ein Innehalten während des gedankenlosen Hastens in den nächsten Tag. Kunst lässt etwas entstehen, das etwas vorstellbar und sichtbar macht, das Räume, die vor uns liegen grenzenlos werden lässt. Kunst kann mehr sagen, als rational erfassbar ist, Kunst schafft ein vorläufiges Bild des wunderbaren, rätselhaften, grenzenlosen Geistigen. Das ist elementar wichtig, denn eine geistlose Gesellschaft wäre zu Fürchterlichem fähig.

Lieber Matthias Wegehaupt, ich danke Ihnen sehr für Ihre interessanten Antworten und wünsche Ihnen zu Ihrem runden Geburtstag viel Gesundheit, Muße und Kraft für die weitere künstlerische Arbeit.

Die Fragen stellte Matthias Stark.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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