Lasst uns in eine Partei eintreten

Über Tribünensitzer Denn sie hat doch immer recht

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In einer der üblichen Fernsehdebatten, in denen viel geredet, wohl aber wenig erreicht wird, äußert sich ein weiblicher Gast, offenbar eine SPD-Parteisoldatin, mit folgender, sinngemäßer Aussage*:

Seit der Wahl in Amerika ist die Zahl von Parteieintritten, besonders bei SPD und Linken auffällig gestiegen. Offenbar hätten die Menschen begriffen, dass sie von der Zuschauertribüne heruntersteigen und an der politischen Willensbildung aktiv mitwirken sollten.

Ja, Donnerlittchen noch mal. Das Wahlvolk soll also von der Zuschauertribüne herabsteigen um in den Parteien mitzutun. Soweit ich das System verstanden habe, und es liegt ganz allein bei mir, falls dem nicht so sei, ist das Volk doch in unserer sogenannten Demokratie der Souverän. Und da stellen sich doch sogleich Fragen. War die Aussage ein Versprecher oder ein Versprechen? Ist der Souverän etwa gar nicht die Instanz der Macht, die ihren Willen mehrheitlich in Wahlen äußert? Sind es etwa doch die Parteien, die sich, unabhängig vom Wählerwillen, ihr Süppchen kochen und es unter sich aufteilen? Ist die turnusmäßige Wahl der Abgeordneten, sonst ja immer als das demokratische Werkzeug Nummer eins propagiert, doch nicht die wichtigste und vor allem auch folgenreichste Instanz der parlamentarischen Demokratie?

Nicht erst in den letzten Jahren ist das Vertrauen in die politischen Eliten der Parteien massiv geschwunden. Wahlbeteiligungen und Umfragen sprechen ein deutliches Zeichen. Gerade die Parteien, die es schon seit Jahrzehnten immer wieder schaffen, die Menschen an der Nase herum zu führen, halten sich für die unfehlbare und die Menschen selig machende Kraft im Staat.

Und ausgerechnet eine Vertreterin jener Partei, die federführend an den Hartz-Gesetzen geschraubt hat, die sich stark macht für Kriegsbeteiligungen im Ausland und wider besserer Erfahrung noch immer glaubt, sie würde sich für „die Menschen“ einsetzen, verrät uns nun die Strategie der Zukunft. Wir sollen offenbar möglichst geschlossen in Parteien eintreten. Dann ließe sich das störrische Volk bestimmt besser regieren. Wer der Parteidisziplin unterliegt oder einem Fraktionszwang gehorchen muss, lässt sich offenbar leichter steuern. Das Volk ist der Querulant auf den billigen Plätzen, man lässt es aber in den dem Glauben, der Souverän zu sein.

Wir treten alle der einen oder anderen Partei bei, das ist doch mal eine gute Idee! Wir verlassen unseren komfortablen Sitzplatz auf der Zuschauertribüne und begeben uns in den Sumpf des Parteialltags, den Kleinkrieg karrierefreudiger Parteibuchträger. Die Parteispitzen sollten schon mal ein paar Leute zur Kandidatengewinnung abstellen. Schon bald ist mit Masseneintritten zu rechnen, glaubt man der Tendenz, die jene Parteifrau erfreut behauptete.

Denkt wirklich jemand ernsthaft, dass sich der soziale Unfrieden, die Spaltung der Gesellschaft in mehr Reiche und noch viel mehr arme Menschen, die allenthalben sichtbaren Widersprüche durch mehr Parteimitglieder überwinden ließen? Dass wir durch noch mehr Filz und Verstrickung und durch das, was man früher Beziehung nannte und heute Netzwerk heißt, die gesellschaftlichen Probleme lösen könnte? Wäre es nicht viel sinnvoller, den Souverän zu stärken, indem man ihn beispielsweise seinen Präsidenten wählen ließe? Aber auch der wird wieder von den Parteien und von ihnen genehmen Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wirtschaft bestimmt und steht ja eigentlich schon fest. Insofern ist die Aussage mit der Tribüne ja sogar zutreffend. Dort sitzen die klatschenden Statisten, verurteilt zum Zuschauen und Handheben im legislativen Rhythmus.

Wir alle werden schon bald erleben, was das Wahlvolk in Deutschland will. Und manche sollten dann nicht überrascht sein. In Parteien eintreten gehört aber, glaube ich, nicht zu den vorrangigen Wünschen in der Bevölkerung, auch wenn sich manche Parteimitglieder für unfehlbar halten.

Bis zu den nächsten Wahlen wird man uns alle bei Laune halten, mit unterhaltsamen Talkshows und vor allem mit skurrilen Gedanken von Leuten, die zu wissen glauben.

*Sendung „Hart aber fair“ vom 12.12.2016

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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